Donnerstag, 15. September 2011

A Separation

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Berlinale-Abräumer A Separation startete mit so viel Vorschusslorbeeren in den Kinos, dass man eigentlich nur enttäuscht werden konnte. Oder? Falsch. Asghar Farhadis Psychodrama ist ein stilles Meisterstück, das auch noch die höchsten Erwartungen zu übertreffen vermag.

Die Ehe von Nader (Peyman Moaadi) und Simin (Leila Hatami) steht vor dem Aus. Sie will mit der gemeinsamen Tochter Termeh (Sarina Farhadi) aus dem Iran auswandern, er will bei seinem an Alzheimer erkrankten Vater bleiben. Als Simin schliesslich auszieht, stellt Nader mit der streng gläubigen Unterschichtlerin Razieh (Sareh Bayat) eine Haushaltshilfe ein. Diese verschweigt ihrem Mann (Shahab Hosseini) aber ihre Anstellung. Als Nader eines Nachmittags von der Arbeit nach Hause kommt, findet er die Wohnung leer und seinen Vater ans Bett gefesselt vor. Als Razieh von einem privaten Termin zurückkommt, wirft er sie hinaus, woraufhin sie ihn beschuldigt, die Fehlgeburt ihres Kindes ausgelöst zu haben.

Der Iran wird im kollektiven Bewusstsein gerne als abgeschottetes Land mit einer durchs Band streng muslimischen Gesellschaft angesehen. Doch Asghar Farhadi zeigt in A Separation (Original: Jodái-e Náder az Simin), dass es auch im Iran einen unspektakulären Alltag gibt, zu dem eine gebildete, säkulare Mittelschicht ebenso gehört wie westliche Kleidung und iPhones. Und genau diese Gesellschaft, das iranische Bürgertum des 21. Jahrhunderts, nimmt Farhadi in seinem Film mit einer ruhigen und faszinierenden Eindringlichkeit unter die Lupe, wie man es bislang nur von Meistern wie Claude Chabrol gesehen hat. Die Themen, die dabei aufgegriffen werden, könnten mannigfaltiger nicht sein: Der ewige Kampf zwischen dem sozialen Stellenwert von Glauben und aufgeklärter Weltlichkeit findet ebenso Erwähnung wie derjenige zwischen Arbeiterklasse und Bildungsbürgertum. Auch Abtreibung, die Prioritätenfrage von Familie und Staat sowie die immer tiefer werdende Kluft zwischen Tradition und Moderne werden nicht nur angeschnitten, sondern eingehend beleuchtet.

Simin (Leila Hatami) und ihr Noch-Ehemann Nader (Peyman Moaadi) vor dem Richter.
Durch diese Themenvielfalt entsteht aber keineswegs ein überladener, gehetzter oder etwa gar pathetischer Film. Farhadi hat es hervorragend verstanden, diese Ladung an gewichtigem Subtext in seine meisterhaft konstruierte, facettenreiche Geschichte einfliessen zu lassen und sie mit einer bewundernswerten Ruhe und Nüchternheit zu untersuchen – ohne den Film dabei aber der emotionalen Komponente zu berauben. Dies ist zu einem schönen Teil der exzellenten Charakterzeichnung zu verdanken, die sich über das Schema von Pro- und Antagonisten hinwegsetzt und jeder einzelnen Figur glaubwürdige und nachfühlbare Motivation verleiht. Grossen Anteil an diesem Realismus hat auch das fantastische Schauspiel-Ensemble, welches bei der diesjährigen Berlinale die Darstellerpreise verdientermassen als Einheit entgegennehmen durfte. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass Asghar Farhadis Werk zu den am besten gespielten dieses Jahres gehört.

A Separation ist ein an innerer Spannung und Aussagekraft kaum zu überbietendes Drama ohne Schnickschnack und Manipulation, das einen das Kino nicht deprimiert, sondern beeindruckt, aufgewühlt und bewegt verlassen lässt. Ein Meisterwerk.

★★★★★★

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen