Sonntag, 27. Februar 2011

The King's Speech

Selbstvertrauen ist alles: Sprachtherapeut Lionel (Geoffrey Rush, rechts) versucht Albert (Colin Firth), den zukünftigen englischen König, Mut einzuflössen und ihm klar zu machen, dass er sein Stottern überwinden kann.

4 Sterne

Der grosse Favorit der diesjährigen Oscarverleihung ist The King's Speech, ohne Frage. In ganzen zwölf Kategorien ist er nominiert und das grösste Geheimnis ist im Moment nur noch, mit wie viel Abstand er seine Konkurrenten - allen voran David Finchers Meisterstück The Social Network - hinter sich lassen wird. Man sollte ihm den Erfolg nicht direkt übel nehmen, da es sich um einen wirklich guten Film handelt. Die Betonung liegt allerdings auf "gut". The King's Speech gehört zu den filmischen Werken, an denen es grundsätzlich nicht viel auszusetzen gibt, die einen aber auch nicht zu überwältigen vermögen. Die Meinung vieler Kritiker und insbesondere die der Gilden des US-Filmbusiness mögen etwas anderes suggerieren, aber aus der Sicht dieses Kritikers ist Tom Hoopers Film über den stotternden englischen König George VI nichts anderes als ein urbritisches Period Piece, das gefällt und unterhält, der Welt aber nichts Neues bietet.

Die beste Beschreibung der Qualität von The King's Speech ist wohl die banalste von allen: Er ist gut, nicht mehr und nicht weniger. Tatsächlich ist die einzige Disziplin, in der sich Tom Hoopers Streifen besonders hervor tut, das Schauspiel seiner beiden Hauptakteure. Colin Firth übertrifft als George VI - oder Bertie, wie er von den anderen Figuren meist genannt wird - seine letztjährige Performance als verzweifelter homosexueller Lehrer, die durch ihre Feinfühligkeit und Eindringlichkeit bestach, in Tom Fords A Single Man. Seine beeindruckendste Leistung ist aber nicht einmal sein makelloses Stottern an sich, sondern der Umstand, dass er den Sprachfehler nicht zu einem alles einnehmenden Charakterzug seiner Figur - und diese selbst damit zu einer Karikatur - werden lässt. Bertie ist weit mehr als ein verzweifelter Adeliger, der keinen Satz ohne Hänger aufsagen kann, was zu einem schönen Teil Firths Verdienst ist. Das Drama seiner Behinderung wird nie über- oder untertrieben und es ist dem Film - und auch Firth - hoch anzurechnen, dass die Titel gebende Rede nicht in perfektem Vorleseenglisch gehalten wird, sondern dass sich durchaus auch Pausen und schwierige Passagen darin finden, in denen sich der innere Kampf des Königs wider Willen abzeichnet. Auch wenn Colin Firth dieses Jahr erneut seinem Oscar-Konkurrenten Jeff Bridges (True Grit) schauspielerisch knapp unterlegen ist, darf man sich für den Briten freuen, wenn er die Goldstatuette im Kodak Theater entgegennehmen wird. Wer in der Oscar-Nacht auch auf der Bühne stehen könnte, ist sein Co-Star Geoffrey Rush, ein Schauspieler der Sorte "Immer gut, egal wie mies der Film", der für seine Rolle als David Helfgott in Shine bereits mit einem Hauptrollenoscar ausgezeichnet wurde. Rush spielt den Australier Lionel, den ruhigen, ironischen und vor allem bürgerlichen Gegenpol zum verbitterten und zu einem gewissen Grade naiven Monarchen. Lionel ist freiberuflicher Sprachtrainer, mit dem Bertie über die Jahre eine tief greifende Freundschaft entwickelt und an welchem er auch vor seiner grossen Kriegsrede festhält - trotz aller Zweifel des Erzbischofs von Canterbury (verkörpert von der Schauspiellegende Derek Jacobi). Geoffrey Rush betritt, mehr noch als Firth, gemessen an der Figurencharakterisierung, kein darstellerisches Neuland. Aber es ist ihm dennoch gelungen, seinen Lionel nicht bloss als aufgestellten Comic Relief erscheinen, sondern ihn ein Eigenleben entwickeln zu lassen, das auch vor ein paar tragischen Andeutungen nicht Halt macht. Die dritte Hauptfigur, deren Verkörperung die Aufmerksamkeit der Academy auf sich gezogen hat, ist Berties Frau Elizabeth - heute wohl eher unter dem Namen Queen Mum bekannt - , gespielt von Helena Bonham Carter. Ihre Leistung ist zweifelsfrei von guter Qualität, geht aber neben denjenigen von Firth und Rush beinahe unter - was bedauernswert ist, da Elizabeth immer mehr zum wichtigsten emotionalen Rückhalt Berties wird. Viel mehr als Carters Auftritt bleibt die Nebenrolle Sir Michael Gambons (Extraerwähnung "and..." im Abspann) als Berties Vater George V in Erinnerung. Gambon, der männiglich mittlerweile nur noch mit der Harry-Potter-Reihe assoziiert wird, ist nur in zwei kurzen Szenen zu sehen, hinterlässt mit seiner kraftvollen Präsenz einen bleibenden Eindruck. Neben den fünf hier erwähnten Schauspielern geben sich weitere Starmimen die Ehre - von Guy Pearce als Berties älterer Bruder und abdankender König Edward VIII bis hin zu Timothy Spall als Winston Churchill.

Urbritisch ist nicht nur die Besetzung von The King's Speech, sondern auch die Inszenierung. So britisch sogar, dass man sich mehrfach in einem gediegenen BBC-Episodendrama wähnt. Ob das nun ein gutes Zeichen ist, bleibe dahingestellt. Tatsache ist, dass Tom Hoopers Regie die Stringenz und Stilsicherheit seines vorangegangenen Werkes The Damned United vermissen lässt. Der Film ist zwar keineswegs langweilig, doch stellenweise etwas gar steif inszeniert. Echte emotionale Spannung wie während der klimaktischen Rede oder der Szene, in der Herrscher (Bertie) und Bürger (Lionel) symbolisch die Rollen tauschen, bleibt die Ausnahme. Einen gewissen Anteil daran dürfte auch David Seidlers unstetes Drehbuch haben, welches er schon zu Lebzeiten Queen Mums in Planung hatte; es blieb dann in der Schublade, da die greise Königinmutter auf Seidlers Wunsch nach ihrem hoheitlichen Placet sinngemäss geantwortet haben soll: "Only over my dead body!" Seidler beweist Fingerspitzengefühl, Charme und Witz, wenn es um Dialoge und Charakterentwicklung geht. Seine Figuren sind lebende Menschen und nicht Schablonen. Die Gespräche sind mit britischen Humor, wenn auch von der eher allzu braven Sorte, gespickt, die problemlos zu unterhalten wissen, selbst wenn der Versuch, die beiden Hauptakteure als "Leute wie du und ich" zu porträtieren, auf der verbalen Ebene teils etwas dick aufgetragen wirkt - siehe den fluchenden Bertie. Aber Seidler zeigt Schwächen im Storyaufbau. The King's Speech behandelt einen Zeitraum von 14 Jahren (1925-1939), die man als Zuschauer aber nicht fühlt. Überhaupt liegt darin das ganze Paradox des Drehbuchs: Während die Entwicklung der einzelnen Charaktere von David Seidler ungemein elegant angelegt hat, holpert der Prozess des Anfreundens von Bertie und Lionel ein wenig. Es ist zwar nachvollziehbar, dass die beiden immer mehr Sympathien füreinander entwickeln, doch das Ganze scheint sich schubhaft und nicht graduell abzuspielen. Auch das ist einer der Gründe, warum sich das Gefühl, man wohne einer TV-Miniserie bei, nur schwer loswerden lässt. Und interessanterweise besteht Tom Hoopers bisheriges Schaffen überwiegend aus Fernseh- und Miniserien (darunter der kommerzielle wie kritische Erfolg John Adams).

Natürlich dürfen bei einem Period Piece dieses Typs, die Schauwerte nicht fehlen. Diese sind fürwahr ein Genuss. Ausstattung und Kostüme vermitteln einem die Atmosphäre im England der 1930er Jahre makellos. Hinzu kommt der wunderschöne, nostalgische Score von Alexandre Desplat, der, wie man es sich inzwischen von Desplat gewohnt ist, mehr auf leise Stücke setzt, als auf dramatische Orchestrierung - ein willkommener Trend, zumindest in den Augen, respektive Ohren, dieses Rezensenten.

Sich negativ über The King's Speech zu äussern, fällt zugegebenermassen schwer. Nur, und das ist der Knackpunkt, ist es fast genauso schwierig, den Film mit Lobgesängen einzudecken. Tom Hoopers neuer Film ist in gewisser Weise eine Zelebrierung sowie eine teilweise Wiedererweckung des alten "Hollywood" der 1930er- und 1940er Jahre. Daran ist nichts Schlechtes, doch es braucht mittlerweile mehr, um einen wirklich sensationellen Film zu machen. Es darf auch einmal mit der einen oder anderen Konvention gebrochen werden - eine Praktik, die Tom Hooper durchaus beherrscht, wie The Damned United bewies. Wie die Academy dies goutieren wird, wird sich weisen. Und obwohl man den Oscars nicht zuviel Bedeutung beimessen sollte, ist das diesjährige Rennen in vielerlei Hinsicht auch ein Wettstreit zwischen "New Hollywood" und "Old Hollywood" - ein Wettstreit, der von entscheidender Bedeutung für das zukünftige Filmgeschäft sein kann.

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