Mittwoch, 2. Februar 2011

Hereafter

Eine normale Beziehung? Medium George (Matt Damon) versucht, Melanie (Bryce Dallas Howard), die er im Kochkurs kennen gelernt hat, den Wunsch nach einer Seance abzuschlagen.

4.5 Sterne

Der Tod und seine Konsequenzen für die Lebenden war schon immer ein grosses Thema in Clint Eastwoods Filmen, egal ob die betreffende Figur William Munny, Walt Kowalski, Frankie Dunn oder Jimmy Markum heisst. Doch in Hereafter, einem von der Kritik mit gemischten Gefühlen aufgenommenen Film, wirft der Regie-Altmeister erstmals einen Blick darauf, was einen nach dem Tod denn erwartet, oder wenigstens erwarten könnte. Obwohl er dabei thematisch Neuland betritt, überzeugt Eastwood durch seine gewohnten Qualitäten und holt aus Peter Morgans (The Queen, The Last King of Scotland, Frost/Nixon) unvollkommenem Drehbuch sehr viel heraus. Unterstützt wird er dabei durch einen grösstenteils starken internationalen Cast. Hereafter mag kein Meisterwerk wie Gran Torino, Mystic River oder Million Dollar Baby sein, doch ein grundsolider Film, von dem sich weniger begabte Regisseure eine Scheibe abschneiden könnten, ist es allemal.

Trotz aller negativen Rezensionen ist Hereafter immerhin bei den Oscars für die besten Spezialeffekte nominiert, eine Nomination, die er überraschenderweise dem Favoriten für den Gewinn - Tron: Legacy - abgeluchst hat. Obwohl Clint Eastwood und die Kategorie "Best Visual Effects" nicht wirklich kompatibel scheint, hat die Entscheidung der Academy doch ihre Berechtigung. Der Film beginnt nämlich mit einer wuchtigen Inszenierung des verheerenden Tsunamis, der Ende 2004 den Indischen Ozean heimsuchte. Wer sich bei Videospielen auskennt, weiss, dass die Animation von Wasser nach wie vor die Achillesferse der SFX-Industrie ist. Doch hier wirkt das nasse Element für einmal unglaublich echt. Die Szene ist hervorragend choreografiert und gefilmt (von Eastwoods Hauskameramann Tom Stern) und ist in jeder Hinsicht wesentlich effektiver als jede vergleichbare Sequenz in 2012. Der Schrecken der Welle ist fühlbar und macht die Anfangsszene umso packender. Im weiteren Verlauf verzichtet Clint Eastwood allerdings auf jedwede Effekthascherei. Auch beschäftigt ihn weniger die Frage, wohin der Tod eigentlich führt, sondern mehr wie Sterbeerfahrungen, seien sie nun primärer oder sekundärer Natur, sich auf die Lebenden auswirken. Zu diesem Zweck ist Hereafter auf drei Charaktere fokussiert: auf die Journalistin Marie, die während des Tsunamis kurzzeitig tot ist und dabei eine mögliche Nahtod-Erfahrung macht; den Bauarbeiter George, der versucht, seine Gabe - oder sein "Fluch", wie er es nennt - mit Toten zu kommunizieren, hinter sich zu lassen; und den Jungen Marcus, dessen geliebter Zwillingsbruder von einem Auto angefahren wurde und seinen Verletzungen erlag. Peter Morgans Drehbuch gelingt es zwar, überwiegend eine stimminge Atmosphäre der Neugierde zu zelebrieren, gerät aber ein paar Mal in allzu sentimentale Fahrwasser, besonders in Marcus' Geschichte, über die einen dann aber sowohl die guten Schauspielleistungen, als auch Eastwoods meisterhafte Regie hinweghelfen. Doch Morgans Skript ist keineswegs schlecht. Seine Charaktere sind interessant und wie er sie mit ihrer jeweiligen Situation umgehen lässt, ist überaus elegant gemacht. Vor allem in den ruhigen Momenten ergänzen sich seine Dialoge, Eastwoods inszenatorischer Spürsinn und Tom Sterns unverkennbarer Filmstil perfekt. Vor allem in Georges Nebenplot entstehen so einige spannungsgeladene, berührende Szenen.

Ohne eine hochkarätige Besetzung hätten diese Szenen aber wohl kaum diese Aussagekraft. Vor allem Matt Damon, der den Spagat zwischen Action- und Drama-Schauspieler, der seine Karriere zu dominieren scheint, weiterhin vorzüglich schafft, übertrifft sich einmal mehr selbst mit seiner Darstellung des Ex-Berufsmediums George. Er vermittelt einem seine Einstellung, dass seine Fähigkeit, mit Toten zu reden, ein Fluch sei, äusserst glaubwürdig. George ist wahrlich nicht zu beneiden, da das Besondere an ihm eine normale Beziehung zu jemand anderem vollkommen unmöglich macht. Diese andere Person ist Melanie, die er im Kochkurs, der von einem herrlichen Italo-Stereotypen, gespielt von Steve Schirripa (The Sopranos), geleitet wird, kennen lernt. Die Möglichkeit einer Beziehung ist in dem Moment dahin, in dem sie George um eine Seance bittet, woraufhin sie auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Melanies relativ kurzer Auftritt ist ein besonders denkwürdiger, weil sie von der superben Bryce Dallas Howard dargestellt wird. Howards Performance ist der Inbegriff einer guten Nebenrolle und verhilft Melanie dazu, nicht nur ein Love-Interest vom Fliessband zu sein, sondern wirklich einen Eindruck zu hinterlassen.

Doch Cécile de France, wunderbar in Xavier Giannolis Quand j'étais chanteur, braucht sich überhaupt nicht hinter Damon und Howard zu verstecken. Ihre Faszination mit dem, was hinter dem Vorhang des Todes liegt, spiegelt in gewisser Weise die Neugierde des Films wider. Im Unterscheid zu Hereafter ist de Frances Marie aber darauf aus, Belege für ein Leben nach dem Tod zu finden, was ihre Herausgeber, die ein Buch über François Mitterand erwarten, aber nicht gut heissen. De France, stets eine kluge Schauspielerinnen-Wahl, überzeugt auch unter Eastwoods Regie. Die schwächsten Glieder im Bunde sind - wenig überraschend - auch gleichzeitig die jüngsten. Frankie und George McLaren spielen den kleinen Marcus bzw. seinen Zwillingsbruder Jason. Obwohl die beiden keine schlechte Leistung bieten, zeigt sich ihr Schauspiel etwas inkonsistent. Soll heissen, es variiert zwischen sehr guten Szenen und Szenen, wo die Emotionen etwas gezwungen scheinen. Dennoch haben beide McLarens Potential als Schauspieler und mindern den Wert von Hereafter kaum.

Auf den ersten Blick scheint Hereafter ein für Clint Eastwood untypischer Film zu sein. Das Thema mag nicht eines sein, das spezifisch für Eastwood geschrieben wurde (Peter Morgans erste Ansprechperson war Steven Spielberg); aber er weiss, wie er einem Stoff seine eigene persönliche Note verleihen kann. Einerseits natürlich mit seiner souveränen Inszenierung. Doch andererseits auch mit der Betonung von Aspekten, die während seiner Regie-Karriere immer wieder aufkeimten. Denn Eastwood ist ein unverbesserlicher Romantiker, der in seinen Filmen immer wieder Platz für Liebe und Zuneigung findet. Auch in Hereafter. Trotz aller Trauer, mit der sich die Charaktere hier auseinandersetzen müssen, obsiegt am Ende die Liebe. Und nur einem Weltklasse-Regisseur wie Clint Eastwood gelingt es, den Kitsch von dieser Erkenntnis fernzuhalten.

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