Sonntag, 12. Oktober 2008

Burn After Reading

5.5 Sterne

Die Gebrüder Joel und Ethan Coen - für viele die besten Regisseure unserer Zeit - fühlen sich nicht so richtig wohl, wenn ihre Arbeit von der Allgemeinheit gelobt wird und sie mit Oscars belohnt werden. So drehten sie jeweils gleich im Anschluss an solche eher ernsten Projekte - Blood Simple, Fargo oder Barton Fink, der allerdings auch die etwas spinnerte Coen-Handschrift trägt - lustige, leichte und quasi bedeutungslose Filme - Raising Arizona, The Big Lebowski und O Brother, Where Art Thou?. Meistens waren diese Filme unter den Kritikern verpönt und genossen kein hohes Ansehen. Erst im Nachhinein wurde zum Beispiel die Genialität eines Dude (Jeff Bridges in The Big Lebowski) entdeckt. Auch Burn After Reading wird die Fanmasse von No Country For Old Men enttäuschen. Coen-Aficionados hingegen werden ihre helle Freude haben.

Wenn man sich auf Wikipedia über Joel und Ethan Coen schlau macht, entdeckt man das Kapitel "Stylistic Devices". Gewalt sei ein wiederkehrendes Stilmittel bei den beiden Brüdern, heisst es da. Auch Missverständnisse, Geld, verschiedene Darstellungen von Amerika und eine spezielle Form des Dialogs finden in diesem Kapitel Erwähnung. Alle diese Elemente findet man auch in Burn After Reading.

Die Brüder sagten bereits in mehreren Interviews, dass die Idee zu Burn After Reading eigentlich nur entstand, weil sie ein Drehbuch schreiben wollten, in welchem George Clooney, Brad Pitt, Frances McDormand, John Malkovich und Tilda Swinton vorkommen. Dieses Skript schien ihnen so gefallen zu haben, dass aus der Denkübung ein echter Film entstand, den sie gleich im Anschluss an No Country For Old Men drehten. Die Schauspieler werden auch der Hauptgrund sein, warum Otto Normalkinogänger Interesse am neuesten Werk der Coens bekunden wird. Die Darsteller spielen ganz im Sinne des Films: Niemand weiss, was er oder sie tun soll. Dies fängt beim heimlichen Helden von Burn After Reading - John Malkovich - an. Er spielt den CIA-Veteranen Osbourne Cox, der gerne mal einen über den Durst trinkt und das loseste Mundwerk in ganz Langley Falls besitzt. Sein Fluchen wird im Werk der Coen-Brüder wohl nur noch von Jeff und Walter in The Big Lebowski übertroffen und er ist sogar noch wütender und brutaler als Ralph Fiennes in Martin McDonaghs In Bruges. Unsympathisch? Natürlich! Aber damit ist er in Burn After Reading nicht allein. Katie Cox, gespielt von Oscar-Gewinnerin Tilda Swinton, ist eine eiskalte Zicke und wohl noch die intelligenteste Figur des Films, was allerdings nicht viel heisst. Swinton spielt hervorragend und gefällt hier sogar besser als in Michael Clayton. Ihr Gegenpart aus dem Anwaltsfilm mimt hier ihren Liebhaber: George Clooney schlüpfte in die Rolle des paranoiden Sexsüchtigen Harry Pfarrer und vollendet damit seine "Idioten-Trilogie" - nach O Brother, Where Art Thou? und Intolerable Cruelty. Er trifft leider nur einmal auf seinen guten Freund Brad Pitt, der wohl die nächste Kultfigur im Coen-Universum wird. Chad Feldheimer ist ein ausgemachter Schwachkopf, der Wörter, welche ihm nicht einfallen wollen mit "Shit" ersetzt, und dem es an Selbstvertrauen nicht mangelt. Und zu guter Letzt sollte man auch noch Frances McDormand, Ehefrau von Joel Coen, nicht vergessen. Ihre Figur ist zwar unscheinbar, aber genauso intrigant und unsympathisch wie der Grossteil der anderen Akteure. Sie bringt zudem eine sehr zynische Komponente - den amerikanischen Jugendwahn - sehr gekonnt rüber. In kleineren Rollen sind überdies noch J.K. Simmons und Richard Jenkins zu sehen, die beide einige Lacher zu verbuchen haben.

Worüber man sich bei Joel und Ethan Coen selten beschweren kann, ist das Drehbuch. Auch hier haben sie ein Meisterwerk sondergleichen geschrieben. Die ganze Erpressungsgeschichte ist in gesundem Masse überzeichnet und mit sehr viel Ironie gewürzt. Burn After Reading ist ein aufgeplusterter Agentenfilm, der alles andere als ernst gemeint ist und immer mehr in Verstrickungen und Verschwörungen abdriftet. Dennoch wird auf der Leinwand nicht herumgeblödelt, sondern es wird eine überaus spannende Geschichte erzählt, welche zwar etwas Denkarbeit erfordert, sich aber als nicht übertrieben kompliziert erweist, was ein problemloses Mitkommen ermöglicht. Einmal mehr begeistern auch die meisterhaft geschriebenen Dialoge der Coens. Jeder dämliche Spruch passt perfekt zur jeweiligen Figur, jedes "Fuck" ist brillant gesetzt und fügt sich herrlich in den Erzählfluss ein.

Leider holpert der Film während der Exposition einige Minuten lang etwas, doch das ist schnell vergessen - allein schon der Score von Carter Burwell, der geschickt mit Kontrapunktierungen arbeitet, ist ein Meisterstück sondergleichen. Vielfach werden Szenen mit einer bombastischen Orchestrierung unterlegt, sodass der Zuschauer sich der Sinnlosigkeit des Moments nicht einmal voll bewusst ist - ein gelungener Seitenhieb auf überkandidelte Agentenstreifen wie beispielsweise die Bourne-Trilogie.

Auch die Kameraführung erinnert an einen Spionagefilm, vor allem die Eingangssequenz, in welcher aus dem All in das CIA-Hauptquartier hineingezoomt wird. Dem Kameramann Emmanuel Lubetzki - bekannt aus Filmen wie Ali, Hearts in Atlantis oder Children of Men - soll an dieser Stelle in aller Form gratuliert werden.

Auch wenn man dabei sehr vereinfacht, könnte man sagen, dass Joel und Ethan Coen das Pixar der Realspielfilme sind. Kaum jemals liefern die beiden Regiegenies einen Flop ab und selbst schwächere Produktionen können in einzelnen Punkten begeistern. Burn After Reading wird vielen Zuschauern nicht gefallen, weil sich diese bereits an einen ernsten Umgangston à la No Country For Old Men gewöhnt haben. Burn After Reading ist alles andere als ernst - eher im Gegenteil. Der Film ist hervorragend gemacht, aber dennoch dämlich und verrückt. Davor kann man wirklich nur den Hut ziehen.

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