Sonntag, 10. Mai 2009

Il divo

In der Ruhe liegt die Kraft: Giulio Andreotti (Toni Servillo, Mitte) lässt sich nicht auf die fruchtlosen Streitereien im italienischen Parlament ein. Eine Einstellung, die, wie sich herausstellen wird, so verkehrt nicht ist.

4.5 Sterne

Die politische Instabilität, welche Italien seit Jahrzehnten prägt, eignet sich hervorragend für brisante, satirische oder ganz einfach die Vergangenheit aufarbeitende Filme. Dabei sollte aber darauf geachtet werden, dass das ausländische Publikum nicht aussen vor bleibt, da man bei 59 Regierungen in nunmehr 64 Nachkriegsjahren leicht den Überblick verliert. Giulio Andreotti, um den sich Il divo dreht, war an 33 dieser Regierungen beteiligt, wobei er selber siebenmal Ministerpräsident war. Ausserdem geniesst Andreotti mit seinen nun 90 Jahren das Amt eines Senators auf Lebenszeit und wäre vor drei Jahren, im Alter von 87 Jahren, beinahe noch Präsident des italienischen Senats geworden. Dieses erstaunliche Leben, gepaart mit unzähligen Skandalen und Korruptionsvorwürfen, liefert die Grundlage für Paolo Sorrentinos überambitionierten Film.

Il divo beginnt gleich wie diese Rezension. Bevor der Film überhaupt anfängt, erscheinen einige Schlüsselfakten über die politischen Verhältnisse im Italien der 1970er Jahre - ein etwas zerknirschtes Entgegenkommen der Macher für Nichtitaliener und Nachgeborene. Man merkt, wie stark Sorrentino das Thema Giulio Andreotti unter den Nägeln brannte. Er ist immerhin mit dieser schillernden, aber zugleich unschein- und unnahbaren Persönlichkeit aufgewachsen. Sorrentino (Jahrgang 1970) kannte in seiner Kindheit wahrscheinlich keinen anderen Politiker als Andreotti. Wie schon Todd Haynes' Versuch, sich dem Phänomen Bob Dylan auf unübliche Weise zu nähern - I'm Not There wurde richtigerweise überall mit einem Kaleidoskop verglichen - umgeht auch Paolo Sorrentino sämtliche geltenden Konventionen, die man normalerweise einhält, wenn man sich filmisch einem Politiker annähern will. Es fehlt beispielsweise ein klarer Aufbau. Wer sich nicht mit der Thematik auskennt, wird sich schnell verloren fühlen und sich verzweifelt an wiederkehrenden Motiven festhalten, wobei das einzige wirklich durchgehende Motiv von Il divo Giulio Andreotti selbst ist. Der Film passt sich seiner Hauptfigur in jedem Charakterzug an. Wortreiche Dialoge sind eine Seltenheit, Durchsichtigkeit stellt sich nie ein. Erst im letzten Akt, als es auf den berühmten Mafia-Prozess zugeht, kehrt filmische Normalität ein. In den zuvor gesehenen 80 Minuten reihen sich Ausschnitte aus Andreottis Leben aneinander, die zwar miteinander verknüpft, aber äusserst kompliziert sind. Es ist ein unmögliches Unterfangen, alle eingewobenen Seitenhiebe und Anspielungen, die Il divo einem bietet, zu erkennen. Andererseits schuf Sorrentino in seinem Film durchaus auch Raum für etwas Intimität, die sich vor allem in den wenigen Gesprächen des Ehepaares Andreotti widerspiegelt. Und auch der für Italien typische Humor, der zum Beispiel in der Komödie Non Pensarci erstklassig vorgetragen wurde, kommt nicht zu kurz. Hintergründige oder sarkastische Einzeiler finden sich an den unglaublichsten Stellen, das Parlament ist sowieso ein lebender Witz und es wird auch mit einem herrlichen Augenzwinkern auf die Eigenheit der italienischen Politiker, plötzlich mysteriösen "Unfällen" zum Opfer zu fallen, hingewiesen.

Der Untertitel des Films, La straordinaria vita di Giulio Andreotti (Das aussergwöhnliche Leben des Giulio Andreotti), übertreibt keineswegs. Die schweigsame Schlaftablette, als die Andreotti dargestellt wird, scheint ein eindeutiger Beleg dafür zu sein, dass stille Wasser tief sind. Toni Servillo, der für den Film in die Rolle von Andreotti geschlüpft ist, überzeugt im beinahe regungslosen Zustand. Während er in Gomorra nur in einer Nebenrolle zu sehen war, ist er in Il divo in nahezu jeder Szene anwesend. Und in jeder Szene hat er bzw. Andreotti die totale Kontrolle über das Geschehen. Schüttelt ihm jemand die Hand, lässt er sie schütteln, gibt er eine Anweisung, wird sofort gehorcht, sagt er etwas, sind alle Augen auf ihn gerichtet. Ebenso beeindruckend ist die allgegenwärtige Ruhe des Mannes. Selbst wenn sich das Parlament im Ausnahmezustand befindet, wartet er seelenruhig darauf, dass es weitergeht. Auch der Spitzname "Il Divo", der in radikalem Widerspruch zur Meinung des Magazins "Panorama" steht (es taufte ihn "Belzebù"), trifft zu. Während Andreottis Mitstreiter, die nach Art eines Leone-Westerns eingeführt werden, einer nach dem anderen von Attentaten oder von der Justiz aus dem Verkehr gezogen werden, scheint er selbst unverwundbar zu sein.

Il divo geht nicht nur in der Erzählweise locker mit den üblichen Vorgaben an einen Film um, er ist auch bildlich relativ eigen. Dies trägt zwar teilweise etwas exzentrische Züge - die Skateboard-Szene in der Mitte des Films hat den unangenehmen "What the hell?!"-Effekt - ist aber ansonsten recht wirksam und vermag durchaus zu überzeugen.

Paolo Sorrentino hat Giulio Andreotti ein zweifelhaftes Denkmal gesetzt, was an seiner Unangreifbarkeit aber wohl nicht allzu viel ändert. Dennoch beeindruckt Il divo mit einer wortlosen Eloquenz, eleganten Bildern, satirischem Unterton und einem Toni Servillo in Hochform. Der Reigen dauert knapp 110 Minuten und hinterlässt genug Gesprächsstoff, um sich den Rest des Tages zu vertreiben. Sollte man aber auf die Idee verfallen, sich zu notieren, wer im Film mit wem und wieso, dann endet man wie Giulio Andreotti: Mit nicht enden wollendem Kopfweh.

Montag, 20. April 2009

The Boat That Rocked

Fast die ganze Radio-Rock-Crew (v.l.): Simon (Chris O'Dowd), Dave (Nick Frost), Quentin (Bill Nighy), Kevin (Tom Brooke), Felicity (Katherine Parkinson), Gavin (Rhys Ifans), Harold (Ike Hamilton), The Count (Philip Seymour Hoffman), John (Will Adamsdale) und Angus (Rhys Darby). Let's rock!

3 Sterne

Spielt ein Film in den 1960er Jahren, zieht er fast sicher viele Zuschauer an, da diese an ihre Kindheit erinnert werden möchten. Dass dies einige Filmemacher zur Schlampigkeit verleitet, ist eine logische Folge. Richard Curtis' Hommage an die Piratenradios, die damals in der Nordsee ihr Unwesen trieben, ist auf der gleichen Wellenlänge. Über die Schauspieler und den Soundtrack wurde nicht hinausgedacht. Was passiert? Es entsteht ein überlanger Film, der sehr darum bemüht ist, nostalgisch zu wirken, dabei aber eine kohärente Story völlig ausser Acht lässt. Jugenderinnerung hin oder her, lieber Richard Curtis, aber auch dieses Thema ist kein Selbstläufer.

Als sich The Boat That Rocked dem Ende zuneigt, stellt eine Figur die Frage "Which news first? The bad news or the good news?", worauf geantwortet wird "Good news!". Um dem Film gerecht zu werden, sollen auch hier zuerst die positiven Aspekte von Curtis' Film besprochen werden. Das offensichtlichste und zugleich am einfachsten zu erhaltende Lob ist Verneigung vor dem Soundtrack. Leute, die in den 60ern aufwuchsen werden aus dem Schwärmen nicht mehr herauskommen, wenn sie Songs wie "Jumpin' Jack Flash" oder "Father and Son" hören. Doch auch dort gibt es Einschränkungen. Es fehlen essentielle Melodien à la Beatles oder Bob Dylan, was zwar an den Lizenzen liegen wird, den Musikfreund aber dennoch enttäuscht. Wie dem auch sei, der Soundtrack von The Boat That Rocked böte die ideale Grundlage für einen Nostalgietrip in die wilden 60er. Auch die schrägen Figuren hätten als Nährboden für einen wirklich tollen Musikfilm in Richtung High Fidelity dienen können. Auch die Schauspielleistungen würden stimmen. Philip Seymour Hoffman und Bill Nighy machen sich souverän zum Affen. Entsprechend begeistern die beiden arrivierten Schauspieler am meisten. Unterstützt werden sie von erstklassigen Nebendarstellern, die fast ausnahmslos ihre Sache sehr gut machen. Angeführt werden diese von einem Rhys Ifans, der als Kult-DJ Gavin Kavanagh alle Register zieht. Und Nick Frost fühlte sich in seiner Rolle offensichtlich wohl, so wohl, dass er mehrfach oben ohne zu sehen ist. Für einen Mann seines Umfangs ist dies eine mutige Sache. Auch Kenneth Branagh bringt eine witzige Performance, wobei seine Gestik und Mimik sehr an John Cleese erinnern, was einen denken lässt, dass dieser auch eine gute Wahl gewesen wäre. Doch spätestens nach Branaghs zweitem Auftritt ist man mit ihm ebenso zufrieden, wie man es mit Cleese gewesen wäre.

Soviel zu den guten Seiten des Films. Die Negativpunkte sind schnell zusammengefasst. Die grösste Schwäche von The Boat That Rocked ist sein Drehbuch. Die Dialoge und die Musikanspielungen wären ja noch ganz passabel, doch Richard Curtis versteht offenbar nichts vom Entwickeln einer einigermassen sinnvollen Story. 100 lange Minuten ist kein Hauptplot erkennbar, ausser vielleicht Carls (Tom Sturridge) gescheiterte Versuche, entjungfert zu werden. Garniert wird das Ganze mit kleinen Einschüben, die zwar nett anzusehen, aber komplett nutzlos sind. So füllt eine hanebüchene Mutprobe, die sich The Count und Gavin liefern, ganze fünf Minuten, ohne dass diese Szene eine besondere Bewandtnis hätte. Immerhin kommt in der letzten halben Stunde noch so etwas wie eine Geschichte auf, die aber auf unerklärliche Weise die Form eines Katastrophenfilms annimmt. Wenigstens finden sich in dieser Phase des Films die besten Sprüche, sodass man auf den plötzlichen Genrewechsel gelassen reagieren kann. The Boat That Rocked passt storytechnisch hervorragend in Curtis' bisheriges Werk. Auch seine Hits Four Weddings and a Funeral und Love Actually zeichneten sich nicht gerade dadurch aus, dass sie eine gute Story hatten. Ein fast noch grösseres Problem stellt der Humor in The Boat That Rocked dar. Man hätte erwarten dürfen, dass in einem derartigen Film viel britischer Humor steckt. Weit gefehlt! Es gibt kaum je richtig etwas zu lachen. Auch ist der Streifen dafür, dass ein rebellisches Radioteam, welches 24 Stunden am Tag Rock'n'Roll sendet, im Mittelpunkt steht, schlichtweg zu brav. Biss oder Satire sind kaum vorhanden. Die diesbezüglich beste Szene ist die Gegenüberstellung von Weihnachten auf dem Boot und Weihnachten im Haus des Ministers Dormandy, die aber leider viel zu schnell vorbei ist. The Boat That Rocked ist bunt, laut, verfehlt aber auf der humoristischen Ebene das Ziel total. Wie bereits Krabat oder The Chronicles of Narnia: Prince Caspian ist Curtis' Film ein Ausbund an Gemütlichkeit, dem aber entscheidende Elemente zu einem richtig guten Film fehlen. Auch technisch ist der Film bei weitem nicht perfekt. Cutterin Emma E. Hickox pappte mehrmals Bilder der gleichen Einstellung zusammen, was stellenweise ziemlich amateurhaft aussieht.

The Boat That Rocked ist eine vergebene Chance. Die Musik, die Figuren, die Schauspieler - alles hätte gepasst. Doch dieser todsichere Treffer wurde durch ein fades Drehbuch und eine für britische Verhältnisse erschreckende Humorarmut verhindert. So bleibt am Ende lediglich die Freude an den Songs, den Anspielungen und den diversen Schauspielern, die einem teilweise über den schalen Rest hinweghilft. So hat die Nostalgie zumindest ein wenig ihr Ziel erreicht. The Boat That Rocked lässt sich mit einem Zitat von Reverend Timothy Lovejoy aus den Simpsons am besten zusammenfassen: "This sounds like Rock and/or Roll!"

Last Chance Harvey

Spitzzüngige Singles: Harvey (Dustin Hoffman) und Kate (Emma Thompson) kommen in einer Bar das erste Mal ins Gespräch - indem sie sich gegenseitig necken.

3.5 Sterne

Liebesgeschichten, in welchen nicht junge, sondern etwas angejahrte Paare im Mittelpunkt stehen, sind eine Strategie, die Hollywood in letzter Zeit gerne verfolgt. Die Produzenten dieser Filme dürfen sich dann nämlich damit rühmen, einen Film gemacht zu haben, der "anders" oder gar "aussergewöhnlich" ist. Natürlich treffen derartige Bezeichnungen auf einige dieser Filme tatsächlich zu, so beispielsweise auf The Bridges of Madison County, wobei man den nicht direkt mit Hollywood gleichsetzen sollte. Joel Hopkins, ein knapp 40-jähriger Brite hat sich nun entschlossen, ebenfalls sein Glück mit dem zweiten Frühling zu versuchen - mit der zurückhaltenden Tragikomödie Last Chance Harvey.

Last Chance Harvey ist ein Film, der knapp 90 Minuten dauert, keine Längen hat, immer seinen Charme behält, aber weder beeindruckt, noch besonders bewegt. Das ist im Prinzip schon die ganze Rezension, denn mehr gibt Joel Hopkins' Streifen nicht her. Nun gut, es gibt Aspekte, die man trotz dieses sehr knappen Verdikts noch genauer beleuchten könnte. Zum Beispiel die Schauspieler. Das Golden-Globe-Komitee hat mit Dustin Hoffman und Emma Thompson die Richtigen nominiert. Dustin Hoffman, bekannt dafür, dass er schauspielerisch alle Register ziehen kann - siehe seine Paraderolle in Rain Man - überrascht mit einer leisen, beinahe schon schüchternen Darstellung von Harvey Shine, einem Mann, dessen grösste Gefühlsregung tränenverhangene Augen zu sein scheinen. Hoffman spielt routiniert und verzieht sein Gesicht mehrmals zu einem derart ungelenken Grinsen, dass er die Sympathien des Publikums mühelos gewinnt. Doch auch Emma Thompson zeigt, dass sie mehr ist als bloss die Zynikerin in mittleren Jahren, als die sie immer mal wieder agieren darf. Sie und Hoffman harmonieren sehr gut miteinander. Dies liegt nicht zuletzt am Drehbuch, welches zwar kein Meisterwerk an sich ist, hie und da aber doch mit guten Dialogen glänzt. Ansonsten ist Last Chance Harvey aber leider etwas ereignislos geraten. Zwar nicht langweilig, aber eben auch nicht besonders spannend. Dass dabei zu viele Klischees aus gängigen Rom-Coms übernommen wurden, macht das Ganze auch nicht besser. Um wirklich Substanz zu zeigen, braucht es mehr als das hübsche Gesichtchen von Liane Balaban, die Harveys Tochter, der zuviel Platz eingeräumt wird, mimt. Besser ist Joel Hopkins der winzige Nebenplot mit Kates Mutter, wunderbar gespielt von Eileen Atkins, gelungen, der fast ohne Worte auskommt und sich traut, etwas absurd und karikiert zu sein. Sehr gut macht sich auch die Figur Oonagh, die resolute Freundin von Kate. Bronagh Gallagher, die Irin aus dem Bilderbuch, verkauft sich hervorragend und sorgt sogar für ein paar Lacher, die der Film gut brauchen kann, da es ansonsten nicht richtig witzig zu- und hergeht.

Joel Hopkins' Film ist alles andere als neu. Im Grunde werden in Last Chance Harvey lediglich die typischen Anhaltspunkte der Liebeskomödie des 21. Jahrhunderts auf ein etwas reiferes Paar übertragen. Dadurch wirkt der Film zwar sympathischer, doch gleichzeitig bringt es ihn auch um die Originalität. Der Zuschauer erlebt während der ganzen Laufzeit keine einzige echte Überraschung und das retardierende Moment, welches zum Schluss noch eingefädelt wird, wirkt nur noch fadenscheinig. Das "Finale" von Last Chance Harvey macht den Anschein, als ob Hopkins dringend noch eine Reibung zwischen den Hauptfiguren hervorrufen wollte. Ganz offensichtlich ist der Regisseur noch zu unerfahren, um wirklich einen dichten Film zu schreiben. Er bemüht sich zu stark, möglichst viele Themen anzusprechen und verliert dabei manchmal etwas sein Hauptanliegen aus den Augen. Es überrascht überhaupt nicht, dass Hopkins hat vor Last Chance Harvey erst zwei Filme gemacht hat.

Ein kleines Kompliment sollte dem Kameramann John de Borman gemacht werden. Zwar würde man diverse Bilder von ihm eher in einem Arthouse-Film vermuten, doch trotzdem bindet er London, in welchem ungewohnt schönes Wetter herrscht, sehr gekonnt in die Geschichte ein.

Last Chance Harvey ist auf eine Art ein sehr seltsames Stück Film. Er plätschert vorbei, doch es passiert etwas. Es geht mehr oder weniger romantisch zu und her, doch bewegt wird man kaum. Es geht um ein nicht mehr ganz junges Paar, doch es kommen überdurchschnittlich viele junge Leute vor. Aber möglicherweise ist der Autor dieses Textes schlicht und ergreifend zu jung, um Last Chance Harvey richtig zu deuten.

Mit Last Chance Harvey ist die Jahreszeit der Rom-Coms lanciert. Der Kinozuschauer wird sich nun auf einige flaue Monate einstellen müssen. Joel Hopkins' Film ist nett, aber nichts für die Ewigkeit. Ein anspruchsloser Streifen sieht anders aus, doch viel steckt nicht in Last Chance Harvey. Er muss leider auf die Stufe einer guten Hollywood-Romanze gestellt werden. Doch wer weiss? Der eine oder andere Zuschauer verguckt sich vielleicht sogar in das schöne Setting oder die Idee der Liebe, die jedem Widerstand trotzt. Frühlingsgefühle ahoi!

Samstag, 11. April 2009

Je ne suis pas là pour être aimé

Tanzschritte wollen geübt sein: Jean-Claude (Patrick Chesnais) lässt sich einen besonders schwierigen Schritt von Françoise (Anne Consigny) erklären.

6 Sterne

Eines der am meisten verkanntesten Filmländer Europas ist zweifellos Frankreich. Das Land, welches uns Regisseure wie Marcel Carné, Jean-Pierre Melville, Claude Chabrol oder René Clément - eine mehr als nur unvollständige Aufzählung - gebracht hat, führt neben der amerikanischen und britischen Filmindustrie ein unverdientes Schattendasein. Besonders auch im deutschsprachigen Raum stossen französische Projekte gerne auf taube Ohren. Die Ausnahme bildete 2008 Bienvenue chez les Ch'tis, da dieser in Frankreich alle Rekorde brach. Stéphane Brizés kleiner Film Je ne suis pas là pour être aimé hingegen ist ein Beispiel eines französischen Films, der erst spät in der Schweiz ins Kino kommt und dann erst noch keine Seele anlockt - was nur einmal mehr beweist, dass sich Qualität nicht am Umsatz messen lässt.

Die Story von Je ne suis pas là pour être aimé mag einem auf den ersten Blick etwas einfach, wenn nicht sogar banal vorkommen. Ein Mann hat kein besonders tolles Leben, er nimmt Tanzstunden und lernt eine jüngere verlobte Frau kennen. Dass allein dies den durchschnittlichen Kinogänger schon abzuschrecken vermag, ist eine traurige Entwicklung.
Je ne suis pas là pour être aimé ist Geschmackssache, keine Frage. Der Film schlägt ein gemächliches Tempo an und geht es einmal rasant zu und her, dann wird Tango getanzt. Jede einzelne Tanzszene ist ungeschnitten und wird bis zum letzten Schritt gezeigt. Was sich während des Tanzens abspielt, zeugt von einer meisterhaften Regie. Die Gefühle der Protagonisten werden einem in diesen Szenen sehr subtil vor Augen geführt. Auch beim Drehbuch hat Stéphane Brizé, gemeinsam mit Juliette Sales, ganze Arbeit geleistet. Der Film kommt mit relativ wenig Dialog aus und setzt gekonnt auf das Mienenspiel der einzelnen Darsteller. In dieser Beziehung ist Patrick Chesnais schlichtweg umwerfend. Sein Jean-Claude ist ein schüchterner, innerlich aber sehr temperamentvoller Gallier der alten Schule. Chesnais und dem Nebendarsteller Lionel Abelanski ist es zu verdanken, dass einem Je ne suis pas là pour être aimé immer wieder ein Lächeln auf die Lippen zaubert. Ausserdem geht es hie und da mit einer herrlichen Lakonie zu, die nur die Franzosen (und vielleicht noch die Briten) derart trocken hinbekommen. Unterstützt wird Chesnais von einer starken Anne Consigny, mit der er bereits in Le scaphandre et le papillon vor der Kamera stand, und einem grummligen Georges Wilson. Besonders letzterer trägt viel zur Überzeugungskraft des Films bei. Brizé hat mit Jean-Claudes Vater, gespielt von Wilson, eine Figur geschaffen, die - analog zum Film selber - sehr nah am wahren Leben ist. Der Vater, der seine Gefühle, die er seinem Sohn gegenüber hegt, nicht zeigen kann, ist zwar kein neues Prinzip, wird in diesem Film aber auf eine derart intensive, tragische, doch gleichzeitig auch berührende Weise präsentiert, dass man Brizé dankbar ist, dass er diese Facette des Lebens ebenfalls anspricht. Das überzeugende Spiel von Georges Wilson setzt diesem Aspekt des Films letztendlich noch die Krone auf. Man kann vorbehaltlos zugeben, dass Chesnais, Consigny und Wilson ihre César-Nominationen mehr als verdient haben.

Das Erstaunliche an Je ne suis pas là pour être aimé ist, dass es Stéphane Brizé und Juliette Sales geschafft haben, in einen nur 93-minütigen Film so viele Seiten des Lebens zu packen, ohne dass dieser überladen wirkt. Brizés Film strotzt nur so vor Menschlichkeit und geht sorgfältig auf die verschiedenen Themen ein und behandelt sie alles andere als oberflächlich. Während des ganzen Films ist auch nie etwas von Kitsch oder Heuchelei zu spüren - eine grosse Leistung für einen Film, der unter anderem eine Romanze ist. Die Liebesgeschichte, die in Je ne suis pas là pour être aimé erzählt wird, erinnert sehr an Billy Wilders Meisterwerk The Apartment. In beiden Filmen wird in einer Art, die noch jeden mitzureissen vermag ohne grosse Sentimentalität die Möglichkeit einer unmöglichen Liebe thematisiert. Während The Apartment aber vor allem auf der satirischen Ebene funktioniert, legt Stéphane Brizé mehr Wert auf die Gefühlsentwicklung seiner Protagonisten. Auch in diesem Punkt ist sein Film sehr nah am wahren Leben. Sobald man einen verloren geglaubten Gegenstand wiederfindet, büsst dieser einen grossen Teil seines emotionalen Werts ein. Wie Patrick Chesnais diese komplizierte, aber dennoch höchst reale Entwicklung spielt, zeugt von seinem riesigen schauspielerischen Talent. Ein weiteres Kompliment verdiente sich die Person, die für die Choreografie zuständig war. Die Tanzszenen wurden nämlich mit viel Fachverstand inszeniert, das dürfte auch einem Laien, zu denen auch dieser begeisterte Kritiker gehört, auffallen.

Je ne suis pas là pour être aimé ist französisches Auteur-Kino auf höchstem Niveau. Regisseur Stépahne Brizé entführt den Zuschauer für 93 Minuten in die triste Welt von Jean-Claude und konfrontiert uns mit dessen Problemen und seinen Lösungen dafür. Den Film darf man wohl getrost als bisherigen Höhepunkt in Brizés Filmschaffen werten, da sein letzter Film - Entre adultes - angeblich nie die Klasse von Je ne suis pas là pour être aimé erreicht. Sollte jemand der Hollywood-Romanzen überdrüssig sein, dem sei Brizés Meisterstück von Herzen empfohlen. Grosse französische Gefühle im bescheidenen Rahmen - wie gemacht für den beginnenden Frühling.

Dienstag, 31. März 2009

Die Geschichte vom Brandner Kaspar

Zwei gewitzte Kerle unter sich: Der Boanlkramer (Michael "Bully" Herbig, rechts) versucht, den Brandner Kaspar (Franz-Xaver Kroetz) dazu zu überreden, mit ihm ins Jenseits zu kommen.

4.5 Sterne

Der deutsche Film hat auch schon bessere Zeiten gesehen. Erfolge wie Der Baader-Meinhof Komplex oder Das Leben der Anderen kommen zwar hin und wieder in die Kinos, doch besonders an der Komödienfront sieht sich der Kinozuschauer dem ewig gleichen Krampf gegenübergestellt. Ähnlich wie in der Schweiz bleibt das Niveau der Lustspiele konstant niedrig. Dass eine willkommene Ausnahme ausgerechnet aus Bayern kommt, ist irgendwie passend. Joseph Vilsmaier inszenierte eine Neuauflage des alten bayrischen Volksmärchens Die Geschichte vom Brandner Kaspar, in welchem ein störrischer Bayer dem Tod ein Schnippchen schlägt und sich 20 weitere Lebensjahre ergaunert. Vilsmaiers Film ist bereits die dritte Adaption des Stoffs - nach einem Kinofilm von 1949 und einer TV-Version von 1975 - und wird der Vorlage in vielerlei Hinsicht gerecht.

Die Geschichte vom Brandner Kaspar ist ein Musterbeispiel für eine kleine Low-Budget-Produktion. Umso überraschender scheint es, dass der deutsche Komödienstar Michael "Bully" Herbig darin einen Part übernahm. Die Produzenten werden sich gedacht haben, dass sein Name auf dem Filmplakat vielleicht noch den einen oder anderen Menschen mehr ins Kino locken könnte. Grosses Interesse wird dem Film aber voraussichtlich auch nicht zuteil werden. Dabei wäre Vilsmaiers Streifen zurzeit wohl einer der wenigen Gründe, den Gang ins Kino anzutreten.

Warum sollte man sich Die Geschichte vom Brandner Kaspar zu Gemüte führen? Immerhin kommt er aus einem Bundesland, in welchem bis vor kurzem die CSU bei den Wahlen jeweils mit einem Resultat von 50%+x rechnen konnte. Nun, Bayern beherbergt nun einmal die lustigsten Leute Deutschlands, daran gibt es nichts zu deuteln. Das ist schon einmal ein erster Grund. Ein weiterer Grund ist, dass Die Geschichte vom Brandner Kaspar ein Film ist, den man sich ganz gemütlich ansehen kann. Man wurde intellektuell zwar auch schon mehr gefordert, aber dennoch ist Die Geschichte vom Brandner Kaspar nicht niveaulos oder etwa dumm. Es finden sich immer wieder kleine Anspielungen auf Vorgänge im 19. Jahrhundert und in unserer heutigen Zeit. Der Film zieht sich nicht in die Länge, besteht nicht nur aus Effekten - im Gegenteil! - und vermag im Grossen und Ganzen gut zu unterhalten. Selbstverständlich ist Klaus Richters Drehbuch kein Meisterstück der Schreibkunst. Vor allem während der Exposition sind ein paar kleinere Schwächen bemerkbar. Doch daran dürfte man als Zuschauer wohl kaum einen Gedanken verschwenden, denn auf der anderen Seite ist das Drehbuch sehr pfiffig und macht sich bayrische Eigenheiten gekonnt zunutze. Das diesbezügliche Highlight ist sicherlich der Vorhof zum Himmel, in welchem es einen vergesslichen Petrus, einen fröhlichen, Bier trinkenden, Weisswurst essenden Erzengel Michael und keine Preussen gibt. Und natürlich ist dort Boarisch Standardsprache. Solch angenehm absurde Szenen häufen sich besonders im zweiten Teil des Films. Dort sind auch die meisten eingängigen Sprüche zu finden, so etwa Michaels Bemerkung "Des 6. Gebot is doch a Empfehlung und ka Dogma!".

Auch die Schauspieler verdienen sich ein grosses Lob. Das bayrische Urgestein Franz-Xaver Kroetz passt perfekt in die Rolle des Brandner Kaspar, der mit seiner verschrobenen Art sämtliche Sympathien auf seiner Seite hat. Doch auch Michael Herbig liess sich für den Film nicht lumpen. Er spielt den Tod, genannt Boanlkramer, mit viel Inbrunst und übertreibt dermassen, dass man sich an Zero Mostels hervorragende Performance in A Funny Thing Happened on the Way to the Forum erinnert fühlt. Herbig hat einige gute Sprüche auf Lager - seine Beichte bei Michael ist einer der komödiantischen Höhepunkte des Films - und spielt den Tod so, dass man sich fragt, warum er überhaupt so gefürchtet wird. Die Geschichte vom Brandner Kaspar lebt vom Zusammenspiel der beiden Hauptakteure, die gemeinsam einige exzellente Szenen zu spielen haben. Ansonsten ist der Film mit den üblichen deutschen Nebendarstellern ausstaffiert. So dürfte man Lisa Potthoff und Detlev Buck schon hie und da einmal gesehen haben. Da aber der Film in erster Linie auf den Zweikampf Brandner Kaspar-Boanlkramer ausgerichtet ist, kommen die Nebenfiguren nur spärlich zum Zuge und haben im Prinzip nur die Funktion, die Geschichte voranzutreiben. Dies wurde allerdings mehr als nur akzeptabel eingefädelt.

Allzu viele Mängel gibt es nicht zu beklagen. Der Film kämpft lediglich mit einem eklatanten Problem, welches kleinere Produktionen gerne ereilt - die Technik. Obwohl Kameramann Jörg Widmer bereits bei Grossproduktionen wie V for Vendetta, King Arthur oder Le scaphandre et le papillon mitgearbeitet hat - nicht als Kameramann allerdings - bekundet er hier sichtlich Mühe, kinoreife Bilder zu produzieren. Zwar wurde der Grossteil des Films normal gefilmt, doch in einigen Szenen kommt unverhofft eine Art Dogma-Stimmung auf, die sich vor allem durch eine nicht besonders optimale Bildqualität offenbart. Zudem sind immer mal wieder Anachronismus-Fehler zu entdecken, die ihrerseits aber auch einen Teil des Charmes des Films ausmachen.

In Bayern ist die Sage vom Brandner Kaspar und dem Boanlkramer wohlbekannt, dem Rest der Welt ist sie wahrscheinlich weniger geläufig. Zwar ist Die Geschichte vom Brandner Kaspar die Adaption einer Theaterversion des Sagenstoffs, was bedeutet, dass etwas an der Chronologie herumgepfuscht werden musste, um einen echten Film zu erhalten. Wer ihn sich aber ansieht, wird die Grundstruktur und die Hauptaussagen des Volksmärchens mühelos nachvollziehen können.

Joseph Vilsmaiers neuer Film ist eine ziemlich schnörkellose, gut unterhaltende, sehr bayrische Filmfassung eines Stoffs, der auf den ersten Blick nicht sonderlich filmisch wirkt. Bei Die Geschichte vom Brandner Kaspar von einem deutschen Film zu sprechen, wäre eine Beleidigung für die Produzenten. Dem Zuschauer werden bayrischen Lebensweis- und -eigenheiten verkauft, die zwar sehr klischiert, aber mit viel Herzblut und Charme angerichtet wurden. Getragen wird der Film fast ausschliesslich von seinen beiden Hauptdarstellern, die es allein schon wert sind, den Film zu sehen. Die etwas billigen Spezialeffekte und das gänzliche Fehlen von Computereffekten sind es ebenfalls.

Sonntag, 8. März 2009

Watchmen

Wieder in Aktion: Dem Verbot zum Trotz machen sich Nite Owl II (Mitte, Patrick Wilson) und Silk Spectre II (Malin Akerman) auf, ihren Kollegen Rorschach aus dem Gefängnis zu befreien.

4 Sterne

Graphic Novels sind eine typisch amerikanische Subkultur. Lustigerweise ist aber gerade einer der grössten Meister dieses Literatur-Genres Brite. Alan Moore, Autor eines der erfolgreichsten Comics der Geschichte, der zwölfteiligen Serie Watchmen, die es im Time Magazine als einzige Bildergeschichte in die besten 100 amerikanischen Romane seit 1923 geschafft hat, ist ein Exzentriker sondergleichen und steht mit Hollywood seit der Verfilmung von League of Extraordinary Gentlemen auf Kriegsfuss. Ob er wohl an Watchmen mehr Freude hat? Der Film wird zwar den Fans der Serie gerecht, stellt aber gleichermassen auch Leute zufrieden, die sich mit der Thematik nur marginal auskennen. Filmische Mängel sind aber dennoch vorhanden.

Wenn man sich etwas mit der Vita und dem Wesen Alan Moores beschäftigt, stellt man eine verblüffende Ähnlichkeit mit Cormac McCarthy fest. Das Gesamtwerk beider zeichnet sich durch kompromisslose Gewalt und abgrundtiefe Dunkelheit aus. Liest oder sieht man aber ein Interview mit ihnen, fragt man sich sofort, wie jemand, der so friedfertig und freundlich Antwort gibt, für derartige Gewaltverklärungen verantwortlich sein kann. Besonders Moores Comics V for Vendetta und Watchmen zeichnen sich durch exzessive, gewollt verstörende Brutalität aus. Für die Verfilmung von Watchmen wurde wohl gerade deshalb ein Kenner der grafischen Gewalt engagiert. Zack Snyder, von Haus aus Regisseur von Werbefilmen, hat erst dreimal auf dem Regiestuhl Platz genommen und dabei die nicht eben unblutigen Werke Dawn of the Dead und die Filmadaption von Frank Millers 300 geschaffen. Und Snyder setzt nun bei Watchmen dort an, wo er bei 300 aufgehört hat. Es fliesst viel Blut, Arme und Finger werden in Zeitlupe gebrochen, Schwangere werden erschossen, Unbeteiligte verletzt und letzten Endes darf sich der Film wohl rühmen, der Streifen mit der höchsten Opferzahl in der Filmgeschichte zu sein. Wie viele Menschenleben das Ganze fordert und weshalb, soll hier nicht verraten werden. Zwar verkommt das optisch versierte Gemetzel mit der Zeit etwas zum Selbstzweck; trotzdem erreicht die reine Blutrünstigkeit ihr Ziel. Snyder hat aber nicht vergessen, dass Moores Comics sich auch durch einen anderen Charakterzug auszeichnen: moralische Fragen. Man würde eine dermassen tiefgreifende Frage in einem Film von Zack Snyder nicht erwarten, doch sie wird trotzdem gestellt. Darf man Leute töten, um den Weltfrieden zu gewährleisten? Ein Problem, welches in Comic und Film direkt an den Konsumenten weitergegeben wird. Diese Frage verleiht dem Genre des Superheldenfilms eine bisher unbekannte Tiefe. Doch die originalgetreue Wiedergabe wird den Autoren David Hayter und Alex Tse während des Films mehrmals zum Verhängnis. Obwohl das Ende abgeändert wurde, ist Watchmen noch immer eine sehr starre Umsetzung der Vorlage. Entsprechend arm an Höhepunkten ist der Film. Seitenhiebe auf die heutige Zeit wie die Feststellung "A cowboy in the White House? Forget it!", die sich zwar auf Ronald Reagan bezieht, sind viel zu selten. Stattdessen folgten Hayter und Tse brav dem Original. Zunächst werden die verschiedenen Figuren eingeführt, wobei der mit der Vorlage nicht vertraute Kinogänger, wenn er gut aufpasst, keine Mühe haben wird, die verschiedenen Superhelden und Ex-Helden auseinanderzuhalten. Leider aber ist der Film in dieser Phase zu inkohärent. So hat man es nach etwas mehr als einer Stunde langsam gesehen mit den Rückblenden und Hintergrundgeschichten. Auch die teilweise sehr klischierten Dialoge à la "Ich verstehe alles, nur nicht die menschliche Natur" hemmen die Begeisterung. Und über die Karikaturen der Politiker kann man ebenso geteilter Meinung sein. Während man sich über einen sehr gut wiedergegebenen Pat Buchanan oder einen Henry Kissinger freut, fasst man sich bei Richard Nixon doch an den Kopf und fragt sich, ob da die Nasengrösse und die Gebärden nicht zu stark überzeichnet wurden. Zudem zieht sich Watchmen an einigen Stellen grausam in die Länge. Dies bedeutet aber nicht, dass der Film je wirklich langweilig wird. Wie man es von einer Comicverfilmung erwarten darf, vor allem wenn es sich um die Version eines Moore-Buchs handelt, ist Watchmen eine visuelle Perle. Das beginnt mit dem sich ständig verändernden Muster auf Rorschachs Maske und hört mit den detailverliebten Zeitlupenaufnahmen, die einen zwar immer wieder an asiatische Kung-Fu-Filme denken lassen, auf. Kameramann Larry Fong weiss die hervorragend chreografierten Kämpfe bildgewaltig in Szene zu setzen und begeistert Mal für Mal mit ausgeklügelten Kamerapositionen und eleganten Kamerafahrten. Gemeinsam mit dem sehr untypischen Soundtrack, der von Bob Dylan über Leonard Cohen bis hin zu Jimi Hendrix und Nat King Cole alles bedient, was das Klassiker-Herz begehrt, sorgen die teils bombastischen, teils rohen Bilder für ein audiovisuelles Feuerwerk, das einen problemlos in seinen Bann ziehen kann.

Wer im Cast von Watchmen nach grossen Namen sucht, wird kaum fündig. Die grössten Berühmtheiten sind sicher Malin Akerman, von der man eigentlich nichts anderes erwarten würde, als dass sie hübsch aussieht, die aber trotzdem eine überzeugende Leistung abliefert, und der oscarnominierte Jackie Earle Haley (Little Children) als Rorschach bzw. Walter Kovacs - eine Figur mit Kultpotential. Haley spielt schlicht und ergreifend brillant. Seine knurrende Stimme und sein hartes Äusseres - eine seltsame Mischung aus Clint Eastwood und Josef Hader - verleihen Rorschach das nötige kantige Profil. Zu ihm und Akerman gesellen sich Billy Crudup, der seiner Figur grösstenteils nur die Stimme leiht, Patrick Wilson, ebenfalls ein Schauspieler aus Little Children, und Jeffrey Dean Morgan, der in den Erinnerungen der verschiedenen Watchmen richtig gemein sein darf. Schauspielerisch bewegt sich Watchmen in den bekannten Superheldenkonventionen. Ein paar wenige Darsteller stechen hervor, der Rest spielt solide, ohne besonders aufzufallen.

Zack Snyder hat mit Watchmen keineswegs Filmgeschichte geschrieben. Dennoch gefällt seine Adaption von Alan Moores Graphic Novel durch gekonnt stilisierte Gewalt, einen sehr guten Soundtrack und einen genialen Jackie Earle Haley. Doch was ist Watchmen überhaupt? Es handelt sich in erster Linie um ein zwölfbändiges Comic-Epos, welches in einen 163-minütigen Film gepresst wurde. Bei einer derartigen Voraussetzung ist ein nicht perfekter Film vorprogrammiert. Trotzdem: Die Fans werden ihre Freude daran haben und sich an den Prügeleien und den technischen Finessen nicht sattsehen können. Letztere sind auch der Hauptgrund, weshalb man sich als Normalsterblicher - ergo: Nichtkenner der Materie - Watchmen ansehen sollte.