Sonntag, 16. September 2012

The Rum Diary

Zum zweiten Mal nach Terry Gilliams grossartigem, von der Kritik zu Unrecht gescholtenen Fear and Loathing in Las Vegas aus dem Jahr 1998, schlüpft Johnny Depp in die Rolle eines Alter Egos von Kultautor Hunter S. Thompson. Doch in Bruce Robinsons gleichnamiger Verfilmung von dessen Roman The Rum Diary kommen sich allzu polierte Nostalgie und der für den Schriftsteller so typische dreckige Zynismus empfindlich in die Quere.

Puerto Rico, 1960: Der freischaffende Journalist Paul Kemp (Johnny Depp) soll bei einer heruntergekommenen Zeitung der Inselhauptstadt anfangen, auch wenn dem Chefredaktor (Richard Jenkins) Kemps Lebensstil – wenig Schreibarbeit, viel Alkohol – gar nicht behagt. Gemeinsam mit dem Fotografen Bob Sala (Michael Rispoli) durchzecht der junge, mit viel Talent gesegnete Schreiberling die Nächte. Bald trifft er den erfolgreichen Geschäftsmann Sanderson (Aaron Eckhart), welcher mit zwielichtigen Immobilienhaien zusammenarbeitet und Kemp als Hofjournalist anzuheuern versucht. Dieser interessiert sich aber vor allem für Sandersons Freundin Chenault (Amber Heard) – bis er mit Bob in Polizeigewahrsam kommt und nur dank des Einflusses des Geschäftsmannes wieder freigelassen wird.

Der Tod des amerikanischen Traums durch Gier, Arroganz und Dekadenz war schon immer ein Lieblingsthema Hunter S. Thompsons, der seinem Leben 2005 selber ein Ende setzte. In Fear and Loathing in Las Vegas demonstrierte er dies mit Raoul Duke, der mit seinem Freund, dem "Gonzo Doctor", durch die Retortenstadt in der Wüste Nevadas streift und unter schwerem Drogeneinfluss zusieht, wie der gemeine Bürger bereitwillig seine Taschen leert, um so reich zu werden wie diejenigen, welche von diesem Paradox profitieren. In Gilliams kongenialer, weil unangenehmer, dreckiger, überstilisierter Kinoadaption verlieh Johnny Depp in einer seiner besten Rollen dem wütenden Outlaw-Journalisten eine kraftvolle, nachhallende Stimme.

Schwierige Beziehung: Paul Kemp (Johnny Depp, rechts) mit seinem neuen Chef (Richard Jenkins).
Diese Stimme greift Depp nun in The Rum Diary, bei dem er auch als Co-Produzent fungierte, wieder auf, im übertragenen wie auch im eigentlichen Sinne. Paul Kemp ist eine frühe Kreation Thompsons und wirkt vielleicht deshalb wie eine sauberere, gesündere und weniger fatalistische Version Dukes. Die scharfen Kommentare sind zwar auch hier vorhanden – etwa wenn er gegen den imperialistischen Tourismus der amerikanischen Mittelklasse wettert, gegen masslos überfütterte Trampeltiere, welche in Puerto Rico zwischen Bowlingbahn und Hotel pendeln –, doch sie werden von Regisseur Robinson (Autor von The Killing Fields) verwässert. Die absurden Eskapaden, auf die sich Kemp und Bob Sala einlassen, mögen stellenweise tatsächlich ansprechend und unterhaltsam sein, ebenso die skurrilen Einschübe – die von einer Rede Adolf Hitlers unterbrochene Sexszene ist ein Höhepunkt –, doch mit der von zynischem Surrealismus geprägten Prosa eines Hunter Thompson vertragen sich diese Elemente nur schwer.

Man könnte The Rum Diary als Versuch bezeichnen, den hinter der Geschichte steckenden Zorn einem Mainstream-Publikum anzupreisen. Dafür sprechen die von Dariusz Wolski (Pirates of the Caribbean, Prometheus) wunderbar eingefangene, schwärmerisch-entrückte Karibik-Szenerie, die allzu geradlinige Beziehung zwischen Paul und Chenault, die auch in ihrem Schmutz noch poliert wirkenden Sets sowie der einfach zu vermarktende Cast, der, insebsondere Richard Jenkins und Michael Rispoli, ganze Arbeit leistet. Es ist spürbar, dass es sich hierbei um eine Herzensangelegenheit des engagiert aufspielenden Johnny Depp handelt. Zwar modelliert er seinen Tonfall nach Raoul Duke, doch seine Tiraden wirken weniger nervös, weniger radikal, besonnener und leider auch braver. Fear and Loathing in Las Vegas hatte etwas zu sagen, The Rum Diary verzettelt sich beim Versuch, das Gesagte massentauglich zu verpacken.

Paul in seinem Element.
Trotz einiger echt inspirierter Momente und eines soliden Erzählflusses ist Bruce Robinsons jüngstes Projekt keines von allzu grosser Bedeutung. Zu vage bleiben die Anliegen der Buchvorlage, zu inkonsequent wirken die Assozitationen und Abschweifungen. Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass es wohl unmöglich ist, Hunter S. Thompson mit dem Geschmack der Massen zu vereinen. Thompson ist kompromisslos und radikal, unbequem und mitunter sogar abstossend. Eine Adaption muss polarisieren. Leider aber scheint The Rum Diary alles daran zu setzen, gerade dies zu vermeiden.

★★★

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