Sonntag, 4. Dezember 2011

In Time

Ganze sechs Jahre sind seit seinem letzten Film, der erfolgreichen Satire Lord of War, vergangen. Nun kehrt der neuseeländische Regisseur und Autor Andrew Niccol (Gattaca, S1m0ne) mit einer dystopischen Zukunftsvision auf die Bildfläche zurück. In Time ist ein handelsüblicher Actionthriller mit einer interessanten, wenn auch wenig durchdachten Grundidee, und einer etwas verwirrten politischen Botschaft.

Im 22. Jahrhundert ist die Wissenschaft zu erstaunlichen Leistungen fähig:
Um der Überbevölkerung Herr zu werden, sind die Menschen nun genetisch so konzipiert, dass sie nur bis zu ihrem 25. Lebensjahr altern. Anschliessend bleibt ihnen ein Jahr, um sich mehr Zeit zu verschaffen. Gleichzeitig ist Zeit mittlerweile auch das universale Zahlungsmittel. Entsprechend geht es bei der harten Fabrikarbeit, welche die niederen Klassen verrichten müssen, nicht nur ums finanzielle Überleben. Einer dieser Arbeiter ist der 28-jährige Will Salas (Justin Timberlake), der mit seiner Mutter (Olivia Wilde) in der verwahrlosten Dayton-Zeitzone lebt. Eines Nachts rettet er den reichen Henry (Matt Bomer) vor einer Bande von Zeitdieben, "Minutemen" genannt. Er erklärt Will, dass die reichen Menschen das System so angelegt haben, dass die Armen nach und nach wegsterben, um den Zeitvorrat der Elite zu sichern, und dass er es satt habe, Teil dieser korrupten Masche zu sein. Nach diesen Enthüllungen scheidet Henry 105-jährig freiwillig aus dem Leben, indem er die ganze ihm verbleibende Zeit, 116 Jahre, auf Will überträgt. Dieser bricht sofort in die Luxus-Zone New Greenwich auf, wo ihm die idealistische Millionärstochter Sylvia (Amanda Seyfried) begegnet. Doch lange kann er seinen neu gefundenen Reichtum nicht geniessen: Der erfahrene Zeitwächter Raymond Leon (Cillian Murphy) ist ihm schon dicht auf den Fersen.

Andrew Niccol ist bekannt dafür, auch in seinen massentauglicheren Filmen von einem gesellschaftskritischen Ansatz auszugehen. Dieser ist in In Time unübersehbar. Er prangert eine der Grundproblematiken des Informationszeitalters an; Niccol kritisiert das moderne Verhältnis des Menschen zur Zeit und dem Wahn, möglichst effizient zu sein und viele Arbeiten in kürzester Zeit zu verrichten. Neu ist das nicht; man denke nur an Michael Endes Roman Momo aus dem Jahre 1973. Auch da wird den Leuten die Zeit von düsteren Zeitgenossen gestohlen, woraufhin sie zwar nicht ihr Leben, aber immerhin die Freude daran verlieren. Mit derartig subtilem Subtext ist Niccols neuer Film leider nicht gesegnet. Vieles an In Time mutet schwerfällig und unbeholfen an, besonders die Geschichte, die sich recht fantasielos von A nach B bewegt, diverse Plotlöcher, auf die – wieso auch immer – explizit hingewiesen wird, sowie nerviges Liebesgesäusel enthält. Das Ganze kommt weitgehend ohne grössere Überraschungen aus und ist reichlich vorhersehbar. Zudem irritieren die Lehren, die man offenbar aus dem Streifen ziehen soll: Einerseits befinden sich Will und Sylvia auf einer quasi-sozialistischen Mission zur Vermögensumverteilung – das Wort wird gebraucht –; andererseits ist einer der Hauptantagonisten ein Verehrer der Lehren Charles Darwins, wobei diese schlicht und ergreifend falsch dargestellt und ausgelegt werden. Welche politische Randgruppe Niccol hier erreichen wollte, bleibt wohl sein Geheimnis.

Ansonsten ist In Time jedoch kein sonderlich beleidigendes Stück Film, vor allem nicht, wenn man es mit Genregenossen vergleicht. Das "Zeit als Währung"-Konzept mag zwar alles andere als hieb- und stichfest sein: Wie funktioniert die Gedankenübertragung beim Überweisen? Warum ist nicht schon längst Anarchie ausgebrochen? Wer würde sich auf ein so gefährliches System einlassen? Immerhin wird es dem Zuschauer recht ansprechend verkauft. Überdies gelingt es Niccol einigermassen, einen in die von ihm kreierte Welt hineinzuführen und mit ihr vertraut zu machen, sodass man gewisse allzu unrealistische Elemente gar nicht mehr hinterfragt – ein Grundpfeiler jedes guten Action- oder Science-Fiction-Films. Genreuntypisch ist allerdings die Tatsache, dass hier die Schauspieler stellenweise echt zu überzeugen vermögen. Justin Timberlake wirkt, wie schon in Friends with Benefits, äusserst sympathisch und natürlich. Man wünscht ihm jedoch wieder einmal eine herausfordernde Rolle à la Sean Parker in The Social Network. Alex Pettyfer unterhält bestens als britischer Erz-Minuteman, ebenso Johnny Galecki (Dr. Leonard Hofstadter in The Big Bang Theory) als Wills Freund Borel, der aber leider Off-Screen sein Leben aushaucht. Die beste Leistung liefert aber Cillian Murphy ab, der als unnachgiebiger, getriebener Polizist Tommy Lee Jones' Samuel Gerard aus The Fugitive nachzueifern scheint. Murphy als Mittsechziger im Körper eines 25-Jährigen zu besetzen, zeugt wahrlich von inspiriertem Casting. Eher negativ fällt Amanda Seyfried auf, der man die Verwandlung des wohlbehüteten Kindes reicher Eltern zur zukünftigen Bonnie Parker schlicht nicht abnimmt. Auf ähnlich tiefem Niveau befinden sich gewisse technische Aspekte, so etwa Zach Staenbergs unsauberer Schnitt mit manch holprigem Szenenübergang. Ausgeglichen werden diese Störfaktoren durch die amüsanten Verfolgungsjagden, die, wenn schon nicht unbedingt aufregend, wenigstens stimmig gefilmt wurden. Kein Wunder, heisst der Kameramann doch Roger Deakins, bekannt für sein Engagement in jedem Film der Coen-Brüder.

In Time ist bewährte Eskapismus-Ware Marke Hollywood. Mittels dystopischem Zukunftssetting wird einem zwar eine tiefere Bedeutung vorgegaukelt, die sich beim genaueren Betrachten aber als ziemlich oberflächlich herausstellt. Trotz aller Probleme dürfte es sich aber nicht als allzu schwierig gestalten, Niccols neuen Film mindestens einigermassen befriedigt zu verlassen. Bewaffnet mit Popcorn und reduzierten Erwartungen lässt sich bekanntlich einiges aushalten.

★★★

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