Freitag, 21. Juli 2017

Spider-Man: Homecoming

Es gibt wohl kein besseres Beispiel für die oft kritisierte "Reboot-Manie", die in Hollywood derzeit herrscht, als die auf den gleichnamigen Marvel-Comics basierende Spider-Man-Franchise.

Zusammen mit den X-Men begründete der Teenager mit den Spinnenkräften das Superheldenkino des frühen 21. Jahrhunderts; zwischen 2002 und 2007 drehte Sam Raimi drei Filme mit Tobey Maguire in der Titelrolle. Lediglich fünf Jahre nach dem von den Fans ungeliebten Spider-Man 3 erfolgte der erste Reboot: (500) Days of Summer-Regisseur Marc Webb beerbte Raimi, Andrew Garfield trat in Maguires Fussstapfen, und es entstanden die unterbewerteten The Amazing Spider-Man (2012) und The Amazing Spider-Man 2 (2014).

Die für Marvel-Verhältnisse unbefriedigenden Reaktionen von Publikum und Kritik auf diese Filme lieferten der Disney-Tochtergesellschaft die ideale Rechtfertigung, Webbs Fortsetzungspläne auf Eis zu legen und Peter Parker alias Spider-Man endlich ins seit 2008 laufende "Marvel Cinematic Universe" (MCU) einzuführen. Keine zwei Jahre nach The Amazing Spider-Man 2 war der erneute Reboot beschlossene Sache; besetzt wurde die Rolle mit Tom Holland (The Impossible, In the Heart of the Sea), der bereits im Frühjahr 2016 in Captain America: Civil War sein Debüt im rot-blauen Spider-Man-Anzug feierte.

Hollands Auftritte gehörten zu den Höhepunkten in einem ohnehin schon überdurchschnittlichen Actionfilm und liessen auf einen lohnenswerten Reboot hoffen. Diesen präsentiert Marvel Studios nun mit Spider-Man: Homecoming, der die Erwartungen zweifellos erfüllt, sie allerdings auch nicht übertrifft.

Die neue Generation: Spider-Man (Tom Holland) ist wieder ein High-School-Schüler.
© Sony Pictures Releasing Switzerland GmbH
Homecoming ist anders als das, was man von Raimi und Webb gesehen hat – und nicht nur, weil der Film als MCU-Puzzlestück sowohl erzählerisch als auch stilistisch nicht in sich geschlossen ist. So überspringt Regisseur Jon Watts, dessen Hauptwerk bislang aus den eher obskuren Filmen Clown (2014) und Cop Car (2015) besteht, die Tragödie, die Spider-Man zu dem macht, was er ist: den indirekt durch ihn verschuldeten Tod seines Onkels.

Das ist eine mutige Entscheidung, ist doch gerade Spider-Man einer jener Superhelden mit einer glasklar umrissenen Mission: "With great power comes great responsibility", bekommt er von seinem Onkel Ben auf den Weg gegeben. Soll heissen: Peter Parkers übermenschliche Kräfte verpflichten ihn dazu, sie zum Schutz der Kleinen und Schwachen einzusetzen. Es ist das, was Spider-Man im Kern von Iron Man, Captain America und Thor unterscheidet: Er ist ein Teenager mit alltäglichen Problemen, der sich darum bemüht, die Strassen von New York sicher zu machen; Welt- und Universumsrettung gehören nicht zu seinem Portfolio.

Es droht Gefahr: Adrian Toomes alias Vulture (Michael Keaton) will sich mit hochexplosiver Alien-Technologie bereichern.
© Sony Pictures Releasing Switzerland GmbH
Puristen werden mit Bens Auslassung ihre Mühe haben, doch die Entscheidung von Watts und seinen fünf Mitautoren hat auch Vorteile: Homecoming ist ein heitererer Film als Raimis Spider-Man und Webbs The Amazing Spider-Man. Der zweite Reboot innert fünf Jahren bemüht sich, dem Publikum eine Geschichte zu zeigen, die es so noch nicht zu sehen bekommen hat – eine Geschichte ohne neuerliches Aufrollen des bereits Bekannten: wie Peter von einer radioaktiven Spinne gebissen wird und in einem Moment der Wut den künftigen Mörder seines Onkels fliehen lässt.

Homecoming erzählt von einem 15-jährigen Spider-Man, der schon eine Weile mit seinen besonderen Kräften vertraut ist. Sein freundlicher Populismus, sein Einsatz für seine Mit-New-Yorker als "friendly neighborhood Spider-Man" wird nicht über eine einschneidende Familientragödie definiert, sondern über seine Beziehung zu seinem distanzierten Mentor Tony Stark alias Iron Man (Robert Downey Jr.). Während Peter als maskierter Ordnungshüter Fahrraddiebe dingfest macht und alten Damen den Weg erklärt, jettet Stark rund um den Globus, derweil er die Avengers staatlich regulieren und in einen Militärkomplex umziehen lässt. Raimis Spider-Man war eine Hommage an den Geist des Zusammenhalts in New York nach 9/11; Watts konstruiert eine – nicht restlos überzeugende – Allegorie auf den anhaltenden Konflikt zwischen Populismus und Globalisierung.

Zusammen mit seinem besten Freund Ned (Jacob Batalon) versucht Peter Parker alias Spider-Man, Vulture auf frischer Tat zu ertappen.
© Sony Pictures Releasing Switzerland GmbH
Der Subtext des MCU bewegt sich spätestens seit Avengers: Age of Ultron (2015) in diese Richtung; den Höhepunkt hat es vorerst mit Captain America: Civil War und Spider-Man: Homecoming erreicht. Entworfen wird ein Spektrum zwischen den beiden Positionen, auf dem Iron Man einen elitären Technokraten, Captain America einen freiheitsliebenden Libertarier und Spider-Man einen integren Idealisten darstellt. Das mag ein spannender Ansatz sein, wird der weitaus komplizierteren Realität, wo sich Populismus zunehmend mit Neofaschismus und Korporatismus vermengt, aber kaum gerecht.

Man könnte lange darüber diskutieren, ob der Bösewicht des Films, Adrian Toomes alias Vulture (ein herausragender Michael Keaton), mit seiner Entwicklung vom betrogenen Arbeiter mit nachvollziehbarer Motivation zum zynischen, gewalttätigen Opportunisten die Korruption des Bernie-Sanders-Populismus zum rechtsnationalen Trumpismus symbolisiert. Doch glücklicherweise hält sich der Film nicht allzu lange mit der konfusen MCU-Politik auf.

Peter hofft, mit seinen Einsätzen als Spider-Man einen guten Eindruck bei den Avengers, geleitet von Tony Stark alias Iron Man (Robert Downey Jr., Mitte), zu machen.
© Sony Pictures Releasing Switzerland GmbH
Seine Stärken liegen in seinen liebenswerten Figuren – insbesondere Tom Hollands Peter Parker, seine Tante May (Marisa Tomei) und sein bester Freund Ned (Jacob Batalon) – sowie seinem Humor. Watts schlägt viel Kapital aus der Tatsache, dass Peter, anders als bei Webb, wieder ein unbeholfener High-School-Schüler sein darf, der sich für Star Wars-Lego-Bausätze interessiert, mit der ersten Liebe konfrontiert wird, sich mit nervigen Klassenkameraden wie Flash (Tony Revolori, bekannt aus The Grand Budapest Hotel) herumschlagen muss und zu einer bestimmten Zeit zuhause sein muss. Homecoming mag nicht der beste Spider-Man-Film sein – diese Ehre dürfte Spider-Man 2 gehören –, doch er ist ohne Zweifel der lockerste. Dazu trägt auch der wunderbare Running Gag bei, dass Captain America vor Civil War neben den Avengers offenbar widerwillig eine Zweitkarriere als Schauspieler in schulischen Lehrfilmen verfolgte.

Doch so sehr sich Homecoming von seinen Franchisen-Vorgängern abhebt, so bekannt fühlt er sich an. Man bekommt einen Superheldenfilm vorgesetzt, der kaum kompetenter gemacht sein könnte. Zu keinem Zeitpunkt besteht hier das Risiko, dass Peter, wie in Spider-Man 3, plötzlich zu tanzen beginnt. Die erratischeren Momente in The Amazing Spider-Man hätten es niemals in die Endfassung dieses Films geschafft. Und das ist an sich gut so. Doch diese saubere Präsentation raubt dem Ganzen auch eine gewisse Identität. Spider-Man: Homecoming ist hochgradig unterhaltsam und ungemein sympathisch – wenn auch schlussendlich mehr ein Serieneintrag als ein eigenständiges Werk.

★★★

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