Donnerstag, 24. Dezember 2015

The Good Dinosaur

Noch selten hat man einem animierten Hollywood-Grossprojekt die Produktionshölle so gut angesehen wie The Good Dinosaur, dem nach Inside Out zweiten Pixar-Film, der 2015 in den Kinos zu sehen ist.

Die unschöne Geschichte beginnt im Jahr 2009, als Up-Co-Regisseur Bob Peterson die Idee hatte, einen Film über Dinosaurier in einem alternativen Universum zu machen, in welchem die Urechsen nicht durch die Folgen eines Asteroideneinschlags ausstarben. Zusammen mit dem Animator und gelegentlichen Stimmendarsteller Peter Sohn begann Peterson die Arbeit an The Good Dinosaur, für den ein Startdatum im November 2013 vorgesehen war. Doch er manövrierte sich in eine Sackgasse: Am dritten Akt der spekulativen Prähistorie soll er gescheitert sein, weshalb er die Produktion verliess und Sohn als alleiniger Regisseur verblieb.

Es folgten mehrere Cast-Wechsel – von der originalen Stimmbesetzung schaffte es einzig Frances McDormand in die fertige Fassung – und Start-Verschiebungen; im Laufe des Jahres 2014 wurde die ganze Geschichte neu konzipiert, wodurch man sich mehr und mehr vom Sinn und Geist von Petersons ursprünglicher Prämisse entfernte. Aus einer Dinosaurier-Kultur mit klar definierten Figurengruppen wurde ein Plot, in dem, laut Pixar-Sprechern, die Natur selbst die Antagonisten-Rolle einnimmt.

Der langen Rede kurzer Sinn: Das Chaos hinter den Kulissen ist am Endprodukt nicht spurlos vorbeigegangen. Pixars Neuester ist ein heilloses Durcheinander, in dem einzelne Momente zwar positiv in Erinnerung bleiben, im Ganzen aber einfach nicht zusammen passen wollen. Schon die Handlung ist eine seltsame Mischung aus bizarren Non sequiturs und ausgetretenen erzählerischen Pfaden. Arlo (Stimme: Raymond Ochoa) ist ein junger Apatosaurus, der auf dem Bauernhof seiner Familie einen schweren Stand hat. Während seine Geschwister Buck (Marcus Scribner) und Libby (Maleah Padilla) die Eltern Henry (Jeffrey Wright) und Ida (Frances McDormand) tatkräftig bei der Arbeit unterstützen, fehlen Arlo dazu schlicht die Muskeln und der Mut. Als sich ein Menschenkind (Jack Bright) am Mais-Vorrat der Dinosaurier-Familie zu schaffen macht, setzt dies einen Prozess in Gang, der Arlo schliesslich dazu zwingt, sich seinen Ängsten zu stellen und seinen eigenen Weg zu gehen.

Der ängstliche Dinosaurier Arlo (Stimme; Raymond Ochoa) muss in der Wildnis seinen Mut finden, um nach Hause zurückkehren zu können.
© The Walt Disney Company Switzerland / Pixar Animation Studios
Ein stringenterer Film würde in der Folge nicht nur zeigen, wie der Protagonist seinen Mut findet, sondern würde diese Entwicklung in einen Zusammenhang mit der grundlegenden Problemstellung der Erzählung stellen. Schon dieser Anforderung kommt The Good Dinosaur nicht nach: Zwar wird in mal banalen, mal haarsträubenden, dann wieder witzigen Episoden ersichtlich, wie Arlo lernt, mit der eigenen Furcht umzugehen; doch wieso er am Ende des Films von seiner Familie wie ein Held empfangen wird, entbehrt einer überzeugenden Logik. Als er die Farm verlässt, kämpfen Ida, Buck und Libby um die letzte Ernte vor dem Winter; als er zurück kommt, ist das Feld abgeerntet – ohne seine Hilfe.

Darüber liesse sich einfacher hinwegsehen, wenn seine Reise durch eine seltsam texanisch geprägte Dinosaurier-Kultur ein harmonischeres Bild der Charaktere und ihrer Welt vermitteln würde. Doch The Good Dinosaur wirkt wie eine jener Episoden in animierten Sitcoms, in denen Autoren versuchen, ihre verrücktesten Einfälle zu einer Geschichte zu verarbeiten. Im 20-Minuten-Format von Simpsons und Family Guy mag das funktionieren; ein Film ohne handfestes Konzept – wie es etwa Laikas im besten Sinne abstruser The Boxtrolls hatte – wirkt jedoch schnell einmal überfrachtet und ermüdend.

Unter der Ägide von Peter Sohn und Drehbuchautorin Meg LeFauve (Inside Out) scheinen allerdings kaum mehr die klaren Plot- und Tonfall-Regeln zu gelten, die Bob Peterson einst wohl vorschwebten. Szenen stiller Anmut prallen auf für Pixar untypische Moral-Gemeinplätze – "The strength was always within me" –, deplatzierte, aus The Lion King übernommene Wendungen, kinderuntaugliche Einschläge und wunderliche Momente, deren schiere Absurdität immerhin zum Unterhaltungswert des Films beitragen.

Auf seiner Reise erhält er Gesellschaft vom Menschenjungen Spot (Jack Bright).
© The Walt Disney Company Switzerland / Pixar Animation Studios
So essen etwa Arlo und sein menschlicher Freund, den er Spot tauft, verfaulte Früchte, was zu einem zutiefst verstörenden Halluzinations-Intermezzo führt. Andernorts reisst Spot einem hilflosen Insekt den Kopf vom Leib; derweil Tyrannosaurus-rex-Cowboys (gesprochen von Anna Paquin, A. J. Buckley und einem hervorragenden Sam Elliott) Velociraptor-Viehdiebe bekämpfen, am Lagerfeuer Insekten-Mundharmonika spielen und sich Geschichten aus den Zeiten erzählen, in denen sie Krokodile in ihrem eigenen Blut ertränkten. Verstärkt wird diese Disharmonie durch die sich beissenden Animationsstile der Figuren und der Kulissen: In atemberaubend gestalteten, erstaunlich realistischen Landschaften bewegen sich Dinosaurier, deren Farbe und Design unvorteilhaft an Gummipuppen erinnern.

Letztlich ist The Good Dinosaur trotz allem kein durch und durch schlechter Film – vorab dank seines unbestreitbaren Unterhaltungswerts. Doch gerade im Vergleich mit dem restlichen Pixar-Kanon stellt er eine masslose Enttäuschung dar. Es fehlt der kreative Funke, die Auseinandersetzung mit dem eigenen Inhalt, um sich mit Filmen wie Toy Story, Ratatouille oder seinem direkten Vorgänger Inside Out messen zu können. Ein beträchtlicher Anteil von Pixars aussergewöhnlichem Ruf gründet darauf, dass das Studio in seinen Produktionen stets darum bemüht war, sich in seine Figuren hineinzuversetzen. Wie fühlt es sich an, ein Spielzeug zu sein? Was steckt hinter der Existenz einer Ratte, die ein menschlicher Koch sein will? Wie sehen vermenschlichte Emotionen die Welt? Selbst ein inferiores Werk wie Cars enthält Überlegungen zur Realität der Charaktere.

Arlo und Spot begegnen wunderlichen Zeitgenossen, darunter einer Familie von Tyrannosaurus-Cowboys.
© The Walt Disney Company Switzerland / Pixar Animation Studios
The Good Dinosaur aber lässt diese Form der Einfühlsamkeit vermissen. Arlo ist ein kleiner Junge im Körper eines Dinosauriers, Spot ein Hund im Körper eines kleinen Jungen. Die zoologische Rollenverteilung ist – wohl als Resultat der unsteten Produktion – völlig willkürlich. Man könnte die beiden nach Belieben in andere Tiere verwandeln, ohne dass sich an der Geschichte selbst gross etwas ändern würde; am Ende ist man so schlau wie zu Beginn, was es bedeutet, in dieser alternativen Chronologie ein Apatosaurus zu sein.

Pixars Genialität liegt nicht im Ersinnen ausgefallener Prämissen, sondern im seriösen Bearbeiten solcher Ideen. Um zu dieser Schlussfolgerung zu gelangen, genügte bislang ein Blick in die erlesene Filmografie des Studios. Nun jedoch wird diese Tatsache durch Pixars schwächsten Film noch zusätzlich veranschaulicht.

★★

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