Dienstag, 16. Februar 2010

10 Items or Less

Ungleiche Freundschaft: Der Schauspieler (Morgan Freeman) und die Supermarktkassiererin Scarlet (Paz Vega) reden über die kleinen Ärgernisse und die kleinen Freuden des Lebens.

5 Sterne

Die erste Dekade des 21. Jahrhunderts wurde im US-Kino geprägt von starken Independent-Produktionen. Aber nicht immer wurden diese gleichermassen beachtet. Während Little Miss Sunshine und Juno mit Oscarnominationen und -gewinnen bedacht wurden, wurden Werke wie Ghost World, Art School Confidential oder eben 10 Items or Less vom breiten Publikum quasi ignoriert. Schade, denn so liessen sich viele Leute wahre Filmperlen entgehen. Dabei kann 10 Items or Less sogar einen Star in einer Hauptrolle (Morgan Freeman) und einen etablierten Mainstream-Regisseur (Brad Silberling, bekannt für Casper oder Lemony Snicket's A Series of Unfortunate Events) vorweisen.

Die Kritiker, die 10 Items or Less tatsächlich gesehen haben, warfen dem Film gerne vor, er sei zu kurz und erzähle keine Geschichte, sondern vertraue einfach auf die Ausstrahlung seiner beiden Hauptdarsteller. Der Vorwurf der Länge mag vom objektiven Standpunkt aus seine Berechtigung haben - 75 Minuten sind wirklich relativ kurz. Aber kann man einen Film wirklich dafür tadeln, dass er kurz ist? Wenn der Autor nicht mehr zu sagen hat, sollte man das Produkt nicht künstlich in die Länge ziehen. Zudem muss man bei der von Brad Silberling erdachten Story um jede Minute froh sein. Zugegeben, er muss wohl selber gemerkt haben, dass aus seiner Idee kein Film in üblicher Länge resultieren würde, weshalb er einige Szenen eine Spur zu stark dehnt. Aber insgesamt hat Silberling ein sehr gutes Drehbuch geschrieben, vor allem gemessen an der Tatsache, dass dies erst sein zweites - nach Moonlight Mile (2002) - war. Und abgesehen von der etwas unkonventionellen Ausgangssituation - der grosse Schauspieler, der sich aufgrund einer Verkettung unglückglicher Zufälle von einer Supermarktangestellten nach Hause chauffieren lassen muss - ist das Ganze ziemlich realistisch gehalten. Silberling verzichtet auf eingehende Charakterstudie. Er wirft den Zuschauer einfach ins Geschehen, lässt ihn den Tag der beiden Hauptfiguren miterleben und verabschiedet sich am Ende des Tages wieder. Dazwischen laufen einige höchst interessante und unterhaltsame Dialoge ab, die keine philosophischen Erkenntnisse liefern, sondern die Charaktere als einfache und echte Menschen darstellen. Der Schauspieler und die Kassiererin unterhalten sich über kleine persönliche Probleme, vergleichen ihre Lebensstile und arbeiten auf ein gemeinsames Ziel - das Vorstellungsgespräch der jungen Frau bei einer Baufirma - hin. Komik entsteht durch die Unterschiede zwischen den beiden und den Lehren, die sie sich gegenseitig erteilen. So ist der Filmstar ein offenherziger, warmer Mensch, der den menschlichen Kontakt überhaupt nicht scheut, während sie eine mit ihrem Leben unzufriedene, von sich selbst nicht überzeugte 25-Jährige ist. Er erzählt ihr, dass der Grund für die konstante Fröhlichkeit des Dalai Lamas sein ständiger Proteinkonsum ist, während sie ihm ein spanisches Liedchen beibringt, was wir in jedem einzelnen Detail in einer einzigen Einstellung zu sehen bekommen. Ein aufregender Inhalt sieht anders aus - es fehlt auch an echten Konflikten -, aber dennoch kann man sich problemlos in das illustre Duo hineinversetzen und sich vom Film treiben lassen. Als dann nach knapp 75 Minuten der (schrullige) Abspann läuft, ist man etwas traurig darüber - wohl nicht zuletzt wegen des bittersüssen Endes -, dass das Ganze schon vorbei ist. Es gibt nur wenige Filme, die dieses Gefühl wecken; 10 Items or Less gehört zweifelsohne in diese exklusive Kategorie.

Brad Silberling hatte Glück, auf zwei grossartig aufgelegte Schauspieler wie Morgan Freeman und Paz Vega zurückgreifen zu können. Freeman steht die Freude, bei so einem Projekt mitspielen zu dürfen, ins Gesicht geschrieben. Und natürlich ist sein Schauspiel professionell wie eh und je. Man nimmt ihm seine Offenheit und seine Lebensfreude ab, ohne dass man von seiner Art genervt wird, was in den Händen eines anderen Darstellers durchaus hätte passieren können. Ausserdem spielt er vermutlich auch ein Stück weit sich selber, der es sich überlegen muss, ob er bei 10 Items or Less mitspielen soll. Zumindest wird man dieses Gefühl nicht los, wenn man ihm in der Anfangsszene genau zuhört. Es ist erstaunlich, dass neben diesem grossartigen Mimen die wenig bekannte Paz Vega nicht untergeht. Doch sie schafft es tatsächlich, eine Art Gegenpol zum vor Enthusiasmus strotzenden Morgan Freeman zu bilden. Ihre Interpretation der an der Leine gehaltenen Powerfrau vermag problemlos zu überzeugen.

Besonderes Augenmerk ist überdies auf die Nebenfiguren von 10 Items or Less zu richten. Dies fängt bei der stummen Rolle von Kumar Pallana, den man als resoluten Raumpfleger in The Terminal gesehen hat, an. Obwohl sein Auftritt sich auf langsame, tattrige Bewegungen beschränkt, macht er eine Sequenz von hohem komödiantischen Wert daraus. Jonah Hill verkörpert einen geschwätzigen Chauffeur, der während der Exposition die Hauptfigur dazu bringen will, zu seinem Ruhm zu stehen, während Jim Parsons, bekannt für seine Hauptrolle in der Serie The Big Bang Theory, für die er 2009 für einen Emmy nominiert war, einen Bürohengst spielt, der mit herrlich kindlicher Begeisterung auf ein Kompliment von Morgan Freeman reagiert. Und schliesslich haben auch noch Danny DeVito und seine Frau Rhea Perlman einen Gastauftritt, der, wie der Rest des Films, zwar nicht spektakulär, aber trotzdem äusserst lustig ist.

Auch optisch ist 10 Items or Less ein Bijou. Mit poetischen Einstellungen wusste Phedon Papamichael die Dialoge und die Montagen zu bebildern. Und obwohl sich die Geschichte grösstenteils in der Umgebung von Los Angeles, wo es nicht viel an imposanter Natur zu finden gibt, abspielt, hat es Papamichael geschafft, urbanen Strukturen wie Autobahnen und Lagerplätzen mit Containern eine seltsame Schönheit zu entlocken. Untermalt werden diese Bilder von einem mannigfaltigen Soundtrack mit Musik von hispanischem Rap bis zu Paul Simon. Stellenweise mag die Wirkung des Hip Hop vielleicht etwas ausgereizt worden sein, aber alles in allem passt die Musik hervorragend zum Film.

Liefert Brad Silberling auch so etwas wie eine Moral? Die Tagline "You Are Who You Meet", deren Übersetzung auch gleich den deutschen Titel stellte, mag nett klingen, fasst den Film aber nur bedingt angemessen zusammen. Vielmehr zeigt 10 Items or Less, dass auch zwei grundverschiedene Menschen einander etwas zu sagen haben und dass auch Schauspieler nur Menschen sind. Menschen, die mit der Realität vielleicht sogar ein bisschen mehr zu kämpfen haben als Otto Normalverbraucher.

10 Items or Less wird neben den "grösseren" Indie-Filmen leider immer wieder übersehen. Dabei ist Brad Silberlings kleines Auteur-Projekt ein herzerwärmendes urbanes Roadmovie mit exzellenten Darstellern ohne viel Schnickschnack. Die Story ist glaubwürdig und verzichtet auf dramaturgische Extravaganzen und konzentriert sich völlig auf seine beiden ungleichen, auf ihre Weise sympathischen Hauptfiguren. Der cineastische Minimalismus mag auf die Spitze getrieben sein, doch 10 Items or Less hält an genug filmischen Grundpfeilern fest, um kein mühsamer Kunstfilm, sondern ein wunderbar unkonventionelles und bescheidenes Kinoerlebnis zu sein.

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