Sonntag, 13. Januar 2019

Green Book

Peter Farrelly ist ein Name, der im Filmgeschäft untrennbar mit dem Namen Bobby verbunden ist: Zusammen waren die Farrelly-Brüder während der Neunziger- und frühen 2000er Jahre fester Bestandteil von Hollywoods Komödien-Landschaft mit Kassenschlagern wie Dumb and Dumber (1994), There's Something About Mary (1998) und Shallow Hal (2001). Nun hat Peter mit der Roadmovie-Tragikomödie Green Book sein Solo-Regiedebüt abgeliefert. Dessen prominente Rolle im diesjährigen Oscarrennen kaschiert einen eindimensionalen und historisch frustrierend unreflektierten Film.

Basierend auf den Erlebnissen des italoamerikanischen Rausschmeissers und späteren Schauspielers (GoodFellas, The Sopranos) Frank "Tony Lip" Vallelonga – und mitkonzipiert und -verfasst von dessen Sohn Nick Vallelonga –, erzählt Farrellys Film davon, wie Tony (gespielt von Viggo Mortensen) im Herbst 1962 vom schwarzen Klaviervirtuosen Dr. Don Shirley (Mahershala Ali) als Fahrer und Leibwächter angeheuert wird. Grund für diese Berufung ist Shirleys bevorstehende Tournee durch die rassistischen US-Südstaaten.

Die Welt ist einfach in Green Book: Die italienischstämmigen Figuren sind laut, ungehobelt, jovial, machen im Gespräch inflationär Gebrauch von ihren Händen und lassen sich, im Fall von Tonys zahlreichen Familienmitgliedern, kaum je ohne einen Teller Spaghetti auf der Leinwand blicken. Afroamerikaner wiederum finden in Farrellys Vision von Amerika in den frühen Sechzigerjahren ein sauber zweigeteiltes Land vor: einen Norden, in dem man zwar gewissen Vorurteilen ausgesetzt sein mag, insgesamt aber ein ruhiges Leben führen kann – und einen streng nach Hautfarbe segregierten Süden, der von dumpfbackigen Rassisten bevölkert wird.

Apropos Rassismus: Dieser ist hier, nach althergebrachter Hollywood-Tradition von The Defiant Ones (1958) und In the Heat of the Night (1967) bis Driving Miss Daisy (1989) und The Help (2011), primär das Resultat persönlicher Befangenheit und ungenügender Kommunikation. Wenn man doch einfach nur miteinander reden würde und dadurch – wie Tony und Don – Gemeinsamkeiten fände, würde sich schon alles zum Guten wenden, so die implizite These.

Tony Lip (Viggo Mortensen) braucht eine temporäre Arbeit.
© Ascot Elite
Doch Rassismus hat noch nie so funktioniert, wie es sich das weisse, vordergründig liberale Hollywood vorstellt. Schwarze sind in den USA nicht allein deshalb erschwerten Lebensbedingungen ausgesetzt, weil sie sich das Land mit unverbesserlichen Minderheitenhassern, ungebildeten Südstaatler-Karikaturen und fehlgeleiteten, aber grundsätzlich gutmütigen Zeitgenossen wie Tony teilen müssen. Vielmehr sind sie sowohl im Süden als auch im Norden bis heute einer historisch gewachsenen Unterdrückung ausgesetzt – einem System, das ihre Bürgerrechte erst seit gut 50 Jahren formell anerkennt, während es Menschen mit weisser Hautfarbe seit Hunderten von Jahren strukturelle Vorteile zugesteht.

Wie Kritiker wie Jourdain Searles, Jenni Miller und Mark Harris bereits sehr anschaulich festgehalten haben, ist die gerade für das weisse Publikum tröstliche Konsequenz dieser ahistorischen Versöhnungsfantasie die Schlussfolgerung, dass bei Weiss und Schwarz zu gleichen Teilen Lernbedarf besteht.

Der Pianist Dr. Don Shirley (Mahershala Ali) stellt Tony als Fahrer ein, um während einer Südstaaten-Tournee einen Leibwächter an seiner Seite zu haben.
© Ascot Elite
Green Book suggeriert dies via den Klassenunterschied seiner beiden Protagonisten. Tony mag seinen Ekel darüber überwinden müssen, aus demselben Glas wie Schwarze zu trinken – seine einzige Tat, die der Film als rassistisch wertet. Indessen muss sich jedoch der reiche Musiker Don in Bescheidenheit üben und lernen, seinen Angestellten aus der Arbeiterschicht nicht von oben herab zu betrachten – ihm keine Aussprachehilfe anzubieten, seine Bronx-Bauernschläue nicht zu unterschätzen, sein Vokabular zugänglicher zu gestalten und sich selber nicht so ernst zu nehmen.

Und während Don seinem hemdsärmeligen Chauffeur die hohe Kunst des romantischen Briefschreibens beibringt, führt ihn Letzterer in die "schwarze Kultur" ein, die er vor lauter Reichtum verpasst hat. Dieser Aspekt der Geschichte ist aus mehreren Gründen einer der Tiefpunkte des Films. Zum einen scheinen Farrelly, Vallelonga und Brian Hayes Currie, der dritte weisse Drehbuchautor im Bunde, Don – der unter anderem an Martin Luther Kings Bürgerrechtsmarsch in Selma beteiligt war – diese Entfremdung von der afroamerikanischen Gemeinschaft angedichtet zu haben. Die Shirley-Familie, die nicht an der Produktion von Green Book beteiligt war, hat sich unlängst heftig gegen diese Darstellung gewehrt und sie als "Lügensinfonie" bezeichnet.

Die beiden grundlegend verschiedenen Männer freunden sich auf ihrer Reise miteinander an.
© Ascot Elite
Zum anderen reduziert Tony – der einmal vollmundig verkündet: "I'm blacker than you!" – die schwarze Kultur mehr oder weniger unwidersprochen auf das Essen und die Musik. Diese radikale Vereinfachung führt zu einigen kuriosen, bisweilen sogar verstörenden Momenten – etwa jener komödiantisch gemeinten Szene, in der Tony Don mit unangenehmem Nachdruck dazu drängt, erstmals in seinem Leben frittiertes Hühnchen, ein stereotypes "schwarzes" Essen, zu probieren. Eine weisse Figur zwingt einen Afroamerikaner dazu, sich gemäss rassistischen Klischees zu verhalten: Liesse der Film hier so etwas wie Satire erahnen, hätte das Ganze subversives Potenzial. Doch nichts deutet darauf hin, dass Green Book über so viel Hintersinn verfügt.

Dabei scheinen sich Farrelly, Vallelonga und Currie wenigstens theoretisch bewusst zu sein, sich auf heiklem Terrain zu bewegen. Gewisse Dialoge erwecken den Anschein, als habe der Film den kritischen Diskurs über den "Magical Negro" und Hollywoods verqueres Rassismus-Bild im Hinterkopf. Das Bestreben ist da, mit der Figur Don Shirley der schädlichen Vorstellung einer monolithischen Black Community entgegenzuwirken. Der Versuch einer seriösen Auseinandersetzung mit der brutalen Logik der Jim-Crow-Südstaaten – dass Schwarze zur "Würde" erzogen werden, ohne dass ihnen auch nur ein bisschen Würde entgegengebracht wird – ist erkennbar. Das Tragische ist aber, dass keiner dieser Ansätze irgendwohin führt: Themen werden angerissen und kurz darauf wieder vergessen – überstrahlt von den Lachern, für welche die herzerwärmende Freundschaft zwischen Tony und Don sorgen soll.

Fahrer und Passagier lernen voneinander – so bringt Don Tony bei, wie er romantischere Briefe an seine Frau Dolores (Linda Cardellini) schreiben kann.
© Ascot Elite
Nun kann man natürlich argumentieren, dass Green Book in erster Linie von Tonys Abenteuer erzählt, welches er später womöglich zu einer Gutenachtgeschichte für Nick umfunktionierte, und dass es deshalb vermessen wäre, dem Film einen Strick daraus zu drehen, dass seine Darstellung der schwarzen Erfahrung von Rassismus unzulänglich ist. Doch abgesehen davon, dass ein weisser Protagonist in einer an ethnischen Spannungen aufgehängten Geschichte die Filmemacher nicht von der Verantwortung befreit, afroamerikanischer Historie mit Fingerspitzengefühl zu begegnen, macht der gesellschaftshistorisch sehr spezifische Titel einen diesbezüglich kritischen Blick praktisch unumgänglich.

"Green Book" bezieht sich auf The Negro Motorist Green Book, den von Victor Hugo Green verfassten Reiseführer, der schwarzen Reisenden zwischen 1936 und 1966 lebenswichtige Informationen darüber gab, in welchen Etablissements sie willkommen waren – und wo nicht. Das Buch, das im Film selbst nur eine marginale Rolle spielt, war ein wichtiges Instrument afroamerikanischer Emanzipation – Alissa Wilkinson weiss mehr dazu.

Entsprechend ist es nicht zu viel verlangt, dass eine Produktion namens Green Book dieser Geschichte wenigstens einigermassen gewissenhaft Rechnung trägt. Was Farrelly aber tatsächlich abliefert, ist leidlich unterhaltsam, aber hoffnungslos antiquiert, thematisch inkohärent und bar jeder Substanz.

★★

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