Montag, 12. November 2012

Argo

Noch vor wenigen Jahren füllte Ben Affleck mit seiner Beziehung zu Jennifer Lopez die Spalten der Klatschpresse – "Bennifer" war das gängige Portemanteau. Heute gilt er als einer der besten Regie-Quereinsteiger, ein Ruf, den er in seinem dritten Film virtuos bestätigt. Argo ist ein spannender, vorzüglich in Szene gesetzter Blick auf eine skurrile Episode der jüngeren amerikanischen Geschichte.

Teheran, 1979: Der mit eiserner Faust regierende persische Schah Mohammed Reza Pahlavi wird während der islamischen Revolution gestürzt und muss sich ins Exil in die USA begeben. Da die Regierung Jimmy Carters sich weigert, den Monarchen an den Iran auszuliefern, richtet sich der Zorn der Getreuen des Ayatollah Khomeini gegen die Botschaft der Vereinigten Staaten in Teheran. Ein wütender Mob stürmt das Gebäude und nimmt 52 Angestellte als Geislen. Sechs US-Diplomaten jedoch können ihren Häschern durch eine Hintertür entwischen und suchen Zuflucht in der kanadischen Botschaft. Für die CIA drängt die Zeit: Das Sextett muss aus dem Iran ausgeflogen werden, bevor die Revolutionstruppen ihr Fehlen bemerken. Agent Tony Mendez (Ben Affleck) hat die womöglich rettende Idee: Die entkommenen Diplomaten sollen als kanadisches Filmteam getarnt und unverdächtig nach Hause geholt werden. Nachdem Mendez seinen Vorgesetzten (Bryan Cranston) von der ungewöhnlichen Strategie überzeugt hat, macht er sich sofort an die Arbeit: Maskenbildner John Chambers (John Goodman) und Produzent Lester Siegel (Alan Arkin) werden engagiert, um dem fiktiven Filmprojekt einen glaubwürdigen Hintergrund zu verschaffen.

Ein nahöstlich aussehender Mann wird in einer amerikanischen Stadt von einer wütenden Menge eingekreist, hilflos und verängstigt blickt er drein, Gefahr geht offensichtlich keine von ihm aus. Dennoch schreien die Menschen auf ihn ein, einer schlägt ihn zu Boden, tritt unter ermunternden Zurufen auf ihn ein. Man denkt an Brandanschläge auf Moscheen im Herzen Amerikas, an psychisch Gestörte, die das Feuer auf Sikhs eröffnen, weil deren Turbane sie irritieren. Die Szene könnte aus der Gegenwart stammen – vielleicht gespielt, denn Xenophobie äussert sich heutzutage in der Regel ja nicht mehr dermassen öffentlich –, wäre da nicht die unverwechselbare Kleider- und Haarmode. Was Ben Affleck auf einem Fernsehbildschirm zeigt, ist eine Fernsehaufnahme aus dem Jahr 1979 und sie zeigt den ersten grossen Ausbruch amerikanischer Islamophobie.

Vorbereitung im Hollywood-Stil: CIA-Agent Tony Mendez (Ben Affleck, rechts) mit Produzent Lester Siegel (Alan Arkin, Mitte) und Maskenbildner John Chambers (John Goodman).
Tatsächlich ist Argo noch vor seinen zahlreichen filmischen Tugenden ein Meisterstück an zeitgeschichtlicher Kontextualisierung. Anders als vergleichbare Werke zum Thema setzt er – in einer grossartigen, im Stile eines Storyboards inszenierten Eingangssequenz – in den Fünfzigerjahren an und ergänzt das "Die USA wurde von religiösen Fanatikern angegriffen"-Narrativ um einige essentielle Komponenten: die Wahl des säkularen Mohammed Mossadegh zum iranischen Premierminister 1951, seine Umstrukturierung des Ölhandels, seinen durch die USA orchestrierten Sturz und die darauf folgende, von Präsident Eisenhower abgesegnete Diktatur Reza Pahlavis. Ohne grossen Aufwand gelingt es Ben Affleck in wenigen Augenblicken, viel über die heutige Beziehung zwischen Amerika und dem muslimisch geprägten Nahen Osten zu sagen. Es ist die Effizienz eines Regisseurs, der das Zeug dazu hat, dereinst in die Fussstapfen Clint Eastwoods oder Martin Scorseses zu treten.

Es bedurfte eines besonderen Talents, ein Projekt wie Argo stilsicher zur Vollendung zu bringen. Der Film ist eine innerlich zerrissene Angelegenheit, irgendwo zwischen Good Night, and Good Luck und Charlie Wilson's War; er muss die ernste Prämisse mit den leichteren Elementen, insbesondere der verschmitzten Hollywood-Persiflage ("You could teach a rhesus monkey to direct in a day"), in Einklang bringen. Und tatsächlich hat es Affleck irgendwie geschafft, die ernsthaften Töne das Geschehen dominieren zu lassen – vor seiner Übernahme des Projekts hätte der Streifen eine Komödie sein sollen –, ohne dabei den Humor ganz zu verdrängen. Während in Teheran die Schüsse fallen und die Botschaftsangestellten psychischer Folter ausgesetzt sind, necken sich in Los Angeles die ungemein spielfreudigen John Goodman und Alan Arkin gegenseitig, lässt sich in Washington Bryan Cranston über die Regierenden aus ("It's like talking to those two old fucks from the Muppets"). Was unbeholfen und geschmacklos wirken sollte, funktioniert wundersamerweise ohne grössere Probleme.

An Ort und Stelle: Mendez mit den geflohenen Diplomaten auf dem Teheraner Markt.
Zentral in der Vision von Affleck und seinem Drehbuchautoren Chris Terrio sind dabei die Siebzigerjahre, dramaturgisch wie ästhetisch. Die geheime Mission des Tony Mendez fesselt, mit ganz wenigen Abstrichen, vom grandiosen ersten Akt bis zum atemlosen Höhepunkt auf dem Teheraner Flughafen, mutet aber zu keinem Zeitpunkt überhastet oder gar verwirrend an. Argo zeigt auf virtuose Art und Weise, welches Potential harten Fakten innewohnen kann; Erinnerungen an Alan J. Pakulas Meisterwerk All the President's Men sind durchaus angebracht, auch im Bereich von Bildgestaltung und Mise en scène. Nicht genug damit, dass der Zuschauer zu Beginn von einem gut 40 Jahre alten Warner-Bros.-Emblem begrüsst wird, der Film hält, was sein Vorspann verspricht: atmosphärisch körniges Bild – Affleck liess die Originalaufnahmen um zweihundert Prozent vergrössern –, hervorragende Szenenbilder, stimmige Kostüme. Vor dem zu Recht für seine Epochentreue gelobten Tinker Tailor Soldier Spy muss sich Argo wahrlich nicht verstecken.

Keine Verschwörungstheorien, keine "Was wäre, wenn"-Fantasien, keine parteiische Interpretation des Geschehenen, bloss ein schlichtes "Based on a true story" und ein kurzes Statement von Ex-Präsident Carter genügen Affleck, um einen Schlusspunkt unter seine dritte Regiearbeit zu setzen. Mit kühler Zurückhaltung, intellektueller Bescheidenheit und viel Liebe zum Detail erzählt Argo eine jener Geschichten, die nur das Leben selbst schreiben kann.

★★★★

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