Donnerstag, 31. Januar 2019

Kritik in Kürze: "Beautiful Boy", "Mary Queen of Scots", "Ralph Breaks the Internet"

Beautiful Boy – ★★★

Felix Van Groeningens The Broken Circle Breakdown (2012) ist eines der emotional aufwühlendsten Dramen dieses Jahrzehnts. Es ist ein Leistungsausweis, der den Belgier im Grunde bestens dafür qualifiziert, die bewegenden Memoiren von Nic und David Sheff auf die Leinwand zu bringen: In Tweak schrieb Nic über seine Sucht nach Methamphetamin, während David in Beautiful Boy schilderte, wie er die Drogenabhängigkeit seines Sohnes miterlebte.

Sein Potenzial erfüllt Van Groeningens Beautiful Boy, in dem Steve Carell als David und Timothée Chalamet (Call Me by Your Name) als Nic Sheff zu sehen sind, wenigstens teilweise. Dank einer guten Carell- und einer hervorragenden Chalamet-Performance entwickelt das Vater-Sohn-Drama gerade in seiner zweiten Hälfte eine beträchtliche emotionale Schlagkraft. Hier bleiben insbesondere jene Szenen in Erinnerung, in denen die beiden Protagonisten gemeinsam versuchen, Nics Problem auf den Grund zu gehen – nicht zuletzt, weil Carells schauspielerische Stärken im Dialog liegen. In diesen Momenten gelingt es dem Film auch am besten, sein aufklärerisches Anliegen zu vermitteln: die Darstellung von Drogensucht als der medizinische Notfall, der sie ist.

Immer wieder kommen sich jedoch Van Groeningen und Co-Autor Luke Davies (Lion) selber in die Quere. Wie bereits Broken Circle folgt auch Beautiful Boy einer nonlinearen Struktur, vermag daraus aber kein Kapital zu schlagen. Vielmehr wirken gewisse Entscheidungen – einschliesslich der allerersten Szene, in der David von einem Arzt über die Gefahren von Methamphetamin aufgeklärt wird – geradezu willkürlich, sodass erzählerische Desorientierung ein steter Begleiter der intrinsischen Emotionalität der Sheff-Geschichte bleibt.



Mary Queen of Scots – ★★

Schon seit mehr als 400 Jahren übt die schottische Königin Mary, die Cousine und Thronrivalin der englischen Monarchin Elizabeth I., eine besondere Faszination auf die europäische (Pop-)Kultur aus, von Schiller und Zweig bis John Ford, Charles Jarrott und Thomas Imbach. Die neueste Version des sattsam bekannten Stoffs, das Regiedebüt der britischen Theaterregisseurin Josie Rourke, versucht erfolglos, Mary – die widersprüchliche katholische Quasi-Märtyrerin – in eine Heldin für das 21. Jahrhundert umzudeuten.

Zusammen mit ihrem Drehbuchautor, dem House of Cards-Produzenten Beau Willimon, inszeniert Rourke die komplizierte Fernbeziehung zwischen Mary (Saoirse Ronan) und Elizabeth (Margot Robbie) als eine tiefe Freundschaft, die vom vorherrschenden Patriarchat, vertreten durch allerlei Berater, Minister und Kleriker, verumöglicht wird. Die Idee hat etwas für sich, doch leider gelingt es Mary Queen of Scots nicht, sie umzusetzen, ohne in die gleichen einengenden Frauenbilder zurückzufallen, die Rourke und Willimon an den jeweiligen Höfen der Königinnen anzuprangern versuchen.

Während Mary als heroisch-progressive Herrscherin mit queerfeministischen Überzeugungen dargestellt wird – eine Interpretation, die sich nur bedingt mit ihrem politischen Leben auf der Leinwand vereinbaren lässt –, ist Elizabeth, wie in den meisten maryfreundlichen "historischen" Aufarbeitungen, eine unhaltbare Karikatur – eine kinderlose, misanthropische alte Jungfer, die in zunehmend lächerlichen Aufzügen durch dekadent prunkvolle Hallen stakst. Entsprechend schwer ist es, den emanzipatorischen Tonfall, den Rourke und Willimon anschlagen, ernst zu nehmen.

Diese thematische Selbstsabotage wäre verkraftbar, wenn das Resultat wenigstens unterhaltsam wäre. Doch trotz aller moderner Ambitionen ist Mary Queen of Scots ein Kostümfilm im klischiertesten Sinne: wunderschön anzusehen, gut gespielt, aber trocken, langfädig und dennoch bruchstückhaft erzählt. Wer sich nach ansprechend und zeitgenössisch umgesetztem historischem Kino sehnt, ist mit The Favourite in allen Belangen besser bedient.



Ralph Breaks the Internet – ★★★

Das Beste an Rich Moores und Phil Johnstons Fortsetzung zu Moores Disney-Animationsfilm Wreck-It Ralph (2012) ist der Subtext seines Finales. Nachdem der gutherzige Achtzigerjahre-Videospielbösewicht Ralph (gesprochen von John C. Reilly) und seine beste Freundin, die Rennspiel-Figur Vanellope (Sarah Silverman), von der heimischen Spielhalle ins Internet reisen und dort allerlei Chaos anrichten, gerät das Netz in Gefahr: Ralphs emotionale Unsicherheit löst einen verheerenden Virus aus.

Männliche Unsicherheit bringt die Menschheit an den Rand des Verderbens – wer Gamergate, die Troll-Attacken gegen Filme wie Ghostbusters (2016) und Star Wars: The Last Jedi (2017) oder Donald Trumps Twitter-Account im Hinterkopf hat, wird erkennen, dass sich Moore und Johnston hier überaus kritisch mit einem hochgradig aktuellen gesellschaftlichen Problem auseinandersetzen.

Allerdings bleibt der Rest von Ralph Breaks the Internet hinter diesem starken Motiv zurück. Der Film erweist sich als ein episodisches Abenteuer mit familienfreundlichem, bisweilen etwas gar plumpem Humor, das zwar durchgehend amüsiert, aber niemals wirklich mitreisst. Insofern präsentiert Disney damit ein stimmiges Sequel: Erwiesen sich bei seinem Vorgänger eher die Witze denn der Subtext als erinnerungswürdig, liegen die Dinge hier genau umgekehrt.

Montag, 28. Januar 2019

The Mule

© 2018 Warner Bros. Ent.

★★★★

"Getragen von einem hervorragend aufspielenden Eastwood, erzählt The Mule vom Dahinscheiden der amerikanischen Kleinstadt – nicht umsonst wohnt Earl in der sprichwörtlichen Durchschnittsstadt Peoria, Illinois –, von Altersarmut und -einsamkeit und von der Frage, was von einem Leben übrig bleibt, in dem die Arbeit stets wichtiger war als die Familie. Es ist schwer, bei letzterem Motiv nicht an den Regisseur selbst zu denken, dessen Biografie gezeichnet ist von beruflichem Tatendrang und zerrütteten Beziehungen."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar)

Samstag, 26. Januar 2019

Mary Poppins Returns

"Basierend auf den Mary Poppins-Büchern von P.L. Travers", heisst es im Vorspann von Mary Poppins Returns. Dass es sich dabei um nicht viel mehr als ein urheberrechtliches Feigenblatt handelt, ist selbstverständlich, ist das familienfreundliche Musical von Rob Marshall (Chicago, Nine, Into the Woods) doch das Werk einer Walt Disney Company, die seit einigen Jahren eine aggressive Nostalgieoffensive fährt: Animierte Publikumslieblinge wie Beauty and the Beast (1991/2017) oder Dumbo (1941/2019) werden als Realspielfilme neu aufgelegt; ein Studio-Klassiker wie Mary Poppins (1964) erhält eine späte Fortsetzung.

Doch obwohl Mary Poppins Returns 25 Jahre nach dem ersten Film spielt, wirkt das Ganze weniger wie eine Weiterführung und mehr wie ein ratloses Remake – ein verzweifelter Versuch, die Magie von damals wieder aufleben zu lassen, indem man das gleiche Programm noch einmal abspult. Gleichzeitig aber scheinen Marshall und Drehbuchautor David Magee (Finding Neverland) den Sinn ihrer Vorlage nicht verstanden zu haben.

Ging es in Robert Stevensons originaler Travers-Adaption etwa noch um Solidarität, Familie und die von Grund auf dubiose Finanzwelt, erweist sich der schnöde Mammon bei Marshall und Magee als Retter in der Not. So müssen hier George (Ben Whishaw) und Jane Banks (Emily Mortimer), die inzwischen erwachsen gewordenen Schützlinge des magischen Kindermädchens Mary Poppins, beweisen, dass sie Anteile an der Bank besitzen, der George seit dem Tod seiner Ehefrau ein kleines Vermögen schuldet und die ihm deshalb mit einer Hausenteignung droht. Zur Hand gehen dem überforderten Geschwisterpaar dabei Georges Kinder Annabel (Pixie Davies), John (Nathanael Saleh) und Georgie (Joel Dawson), der Lampenanzünder Jack (Lin-Manuel Miranda) und – natürlich – die zurückgekehrte Mary Poppins (Emily Blunt).

Dass der Gegenspieler der Protagonisten ein hinterhältiger Bankier (Colin Firth) ist, ist letztlich ein bedeutungsloses Lippenbekenntnis, da sich George schliesslich – mit der Hilfe eines alten Bekannten – trotzdem aus seinen Problemen herauskaufen kann. 1964 sang Julie Andrews' Mary Poppins in der Geschichte der Vogelfrau noch das Hohelied der Almosen: "All around the cathedral the saints and apostles / Look down as she sells her wares / Although you can't see it, you know they are smiling / Each time someone shows that he cares". Heute kann George von Glück reden, dass er sein Geld als Kind investiert und nicht gespendet hat.

Sie ist wieder da: Mary Poppins (Emily Blunt) kehrt nach 25 Jahren zur Banks-Familie zurück.
© Disney
Mary Poppins Returns ist voll von solchen nachlässigen Interpretationen der eigenen Franchise. Das gesunde Selbstbewusstsein der Titelfigur sowie ihre augenzwinkernde Art, die eigene Magie abzustreiten, wirken bei der insgesamt solide aufspielenden Emily Blunt schnippisch und bisweilen sogar ein wenig beängstigend.

Das musikalische Finale "Nowhere to Go But Up" wiederum zitiert zwar die zum Kult gewordene Schlussnummer des Originals ("Let's Go Fly a Kite"), missversteht aber deren Sinn. Beide Songs begleiten Mary Poppins' Abreise, doch während in "Kite" nichts Übernatürliches geschieht – weil eine glückliche Familie, die gemeinsam einen Drachen steigen lässt, per se ein Stück Alltagsmagie ist –, fliegen die Figuren in "Up" mit Ballons durch die Luft, was hübsch aussehen mag, emotional und thematisch aber, gelinde gesagt, Unsinn ist.

Zusammen mit den Banks-Kindern erlebt Mary Poppins wieder magische Abenteuer.
© Disney
All das ist das Resultat einer Produktion, die einen heiss geliebten Klassiker nicht mit Füssen treten will und ihn deshalb ohne Rücksicht auf Stimmigkeit und innere Kohärenz nachzuäffen versucht. Die beste Illustration dieses fragwürdigen Konzepts ist der Soundtrack: Anstatt eine neue Generation mit originellem Liedmaterial zu begeistern, gibt man sich mit minderwertigen Kopien der ursprünglichen Sherman-Brothers-Gassenhauer zufrieden. Von wenigen Ausnahmen abgesehen ("A Conversation", "The Place Where Lost Things Go"), ist hier nichts berührend oder mitreissend, sodass sich die Frage stellt, wer in 20 Jahren noch "Can You Imagine That?", "The Royal Doulton Music Hall" oder "Trip a Little Light Fantastic" vor sich hin summen wird, wenn die weit überlegenen Vorlagen ebendieser Lieder – "A Spoonful of Sugar", "Supercalifragilisticexpialidocious", "Chim Chim Cher-ee" – weiterhin auf jedem Mary Poppins-Soundtrack erhältlich sind.

Dies ist denn auch das Fragezeichen, das über dem ganzen Konstrukt Mary Poppins Returns hängt: Warum soll man sich diesen Film ansehen, wenn Mary Poppins bereits existiert? Marshalls schön ausstaffiertes, aber lebloses und nur sehr lose zusammenhängendes Sequel-Remake bleibt die Antwort schuldig.

★★

Freitag, 25. Januar 2019

The Favourite

Part period drama, part court intrigue, part soap opera, part The Death of Louis XIV, part lesbian sex comedy, and wholly its own wicked, strange beast, The Favourite marks another significant, and highly entertaining, turn in the career of maverick Greek director Yorgos Lanthimos. Not only is his third English-language feature, following The Lobster (2015) and The Killing of a Sacred Deer (2017), his first foray into historical cinema; it's the first time since his debut, 2001's My Best Friend, that he has directed a script that is not his own.

It proves to be a smooth transition: Deborah Davis and Tony McNamara's screenplay, based on a draft Davis wrote all the way back in 1998, fits Lanthimos like a glove, its playfully anachronistic tone and language a worthy substitute for the deliberate and evocative awkwardness of The Lobster and Sacred Deer – while his idiosyncratic staging provides the perfect frame for the unfolding madness.

Set in the early 1700s at the court of Queen Anne of Great Britain (Olivia Colman), The Favourite is a refreshingly contemporary take on a venerable, often stuffy genre. (Take note, Mary Queen of Scots.) Through a creative reading of the historical record – and plenty of f-bombs and sexual references – Lanthimos, Davis, and McNamara remake Anne's short, war-torn reign into an engrossing tale of hapless men and conniving women, as the ailing and eccentric Queen's policy-making is increasingly dependent on the influence of her two rivalling confidantes – well-connected Sarah Churchill (Rachel Weisz) and ambitious upstart Abigail Hill (Emma Stone).

As one would expect from such a production, The Favourite is a visual feast, full of lavish costumes and beautifully intricate set decoration. But it's the cinematography that is the real star in that regard: Lanthimos and cinematographer Robbie Ryan, who specialises in the dreary working-class surroundings of Ken Loach and Andrea Arnold films (Fish Tank, I, Daniel Blake, American Honey), brilliantly undercut the sumptuous décor with muted colours, space-stretching wide-angle shots reminiscent of Kubrick's Barry Lyndon (1975), and, most notably, the highly effective use of fisheye lenses – inspired by early modern convex portraiture – which bend the edges of some shots and serve as a striking visual cue that things are rotten in the state of Britain.

Sarah Churchill (Rachel Weisz, left) is the favourite confidante of ailing Queen Anne (Olivia Colman).
© 2018 Twentieth Century Fox Film Corporation
Narratively, The Favourite eschews conventional genre trappings as well, as the political infighting that threatens to sink Anne's war efforts in France is played almost entirely for pitch-black political comedy. It turns out that a wide array of creative insults ("You smell like a 96-year-old French whore's vajuju") and colourful supporting characters – especially Nicholas Hoult's outlandishly bewigg'd Earl of Oxford – makes for a surprisingly engaging exploration of British party politics in an era that predates the United Kingdom's current parliamentary tradition.

Meanwhile, Sarah and Abigail's feverish game of seductive one-upwomanship at the feet of a decadent – and deeply depressed – Queen elegantly balances tender romance, mischievous eroticism, and unbridled cruelty. Picture Carol, All About Eve, and What Ever Happened to Baby Jane? all rolled into one. Then dress up everyone involved in impractical Restoration outfits.

Sarah's privileged position is threatened, however, by the arrival of Abigail Hill (Emma Stone).
© 2018 Twentieth Century Fox Film
Although the excessive two-hour runtime ultimately keeps it from unequivocal greatness, it's the three leading women's physical, abrasive, and emotionally rich performances that keep the film within touching distance of it throughout. Olivia Colman's Anne in particular is a masterstroke: recalling – and arguably even improving upon – Nigel Hawthorne in The Madness of King George (1994), Colman lets her audience see and relish the absurd comedy of her character's erratic state of mind – and, frankly, of the monarchy itself – but there is never any doubt that beneath all the pomp and circumstance, Anne is suffering physical and psychological agony. A lesser actor might have delivered a brilliant comedic turn but in doing so cheapened the tragedy, or they might have played up the drama and landed back in stuffy-period-piece territory. But Colman is in full control here, turning in a hilarious, heartbreaking performance for the ages.

In that, she mirrors the film as a whole, which seems pieced together from fundamentally contradictory genres and modes, but which Lanthimos, in concert with Davis, McNamara, Ryan, Colman, Stone, and Weisz, manages to mould into something that is not only utterly engrossing but also fiercely original.

★★★★

Sonntag, 20. Januar 2019

Kritik in Kürze: "Bohemian Rhapsody", "Capernaum", "Zwingli"

Bohemian Rhapsody – ★★

Ein Film zum Vergessen mischt wider Erwarten im Oscarrennen mit – also sieht man sich als Kritiker dazu verpflichtet, doch noch ein paar Worte darüber zu verlieren. Doch das ist das Problem mit Bryan Singers (und Dexter Fletchers) Queen- und Freddie-Mercury-Porträt Bohemian Rhapsody: Viel gibt es darüber nicht zu sagen.

Das Musik-Biopic – von Singer begonnen und, nach dessen Entlassung aufgrund unbefriedigenden Arbeitsverhaltens, von Fletcher beendet – ist filmisches Malen nach Zahlen, das dem Kino der Gegenwart mindestens 15 Jahre hinterher hinkt. Wie der ähnlich aus der Zeit gefallene, insgesamt aber dennoch gelungenere Get on Up (2014) scheitert Bohemian Rhapsody am Versuch die Formel von Ray (2004) und Walk the Line (2005) wiederzubeleben: Er arbeitet sich mit der emotionalen Tiefe und der erzählerischen Komplexität eines Wikipedia-Artikels durch die Biografie eines Musikers.

Unter Mitsprache der überlebenden Queen-Mitglieder, die den Film mitproduziert haben, hakt Anthony McCartens dröges Drehbuch geflissentlich wichtige Stationen im Leben seines Helden Freddie Mercury (Rami Malek) und dessen Band ab – akribisch darauf bedacht, alle berühmten Beteiligten ins bestmögliche Licht zu rücken.

Verloren gehen dabei Kohärenz – Szenen folgen mehr oder minder willkürlich aufeinander –, Nuancen – die fehlende Differenziertheit lässt das Ganze mitunter versehentlich homophob wirken – und Achtung vor der Historie: McCarten schreckt weder vor frei erfundenen Band-Krisen noch vor billiger Instrumentalisierung von Mercurys AIDS-Erkrankung zurück. Da kann auch die atmosphärische Krücke – der dick aufgetragene Queen-Soundtrack – nicht mehr helfen.



Capernaum – ★★★★

In ihrem dritten Langspielfilm kontrastiert die libanesische Regisseurin und Schauspielerin Nadine Labaki (Caramel, Where Do We Go Now?) die religiöse Bedeutung des "Heiligen Landes" mit seiner politischen und sozialen Realität. Capernaum, benannt nach der biblischen Stadt Kafarnaum im Norden des heutigen Israels, spielt in den Slums von Beirut und handelt vom zwölfjährigen Zain (Zain Al Rafeea) und seinem Kampf ums Überleben.

Obwohl Labaki und ihre vier Co-Autoren bisweilen der Versuchung erlegen, das Elend der Beiruter Armut allzu manipulativ – etwa durch den Gebrauch von fetischisierenden Zeitlupen – in Szene zu setzen, ist es kaum möglich, dem Film Kraft und Relevanz abzusprechen. Getragen vom grossartigen Laiendarsteller Zain Al Rafeea, der die Verhältnisse in den Armenvierteln der libanesischen Hauptstadt als Kind einer syrischen Flüchtlingsfamilie bestens kennt, ist Capernaum ein eindrückliches und zutiefst menschliches Drama über Empathie, Fürsorge und die schreckliche Vorstellung, dass diese Tugenden vielleicht nicht genügen, um die Misere überwinden zu können.

Entsprechend masst sich der Film auch nicht an, seinem Publikum falsche Hoffnungen zu machen. So bewundernd Zain auch inszeniert wird – er wünscht sich dennoch, niemals geboren worden zu sein. Nicht nur ist Capernaum somit ein überraschend offenes Plädoyer für die breite Verfügbarkeit von Abtreibungen, sondern auch eine ernüchternde Bestandsaufnahme: Seit den biblischen Zeiten, auf die der Titel anspielt, hat die Menschheit Probleme geschaffen, die sie selber womöglich nicht mehr lösen kann.



Zwingli – ★★

Pünktlich zum 500. Jubiläum des Eintreffens Huldrych Zwinglis (1484–1531) in Zürich haben die staatliche Filmförderung sowie zahlreiche private Sponsoren stolze sechs Millionen Franken locker gemacht, um dem grossen Reformator eine der teuersten Schweizer Kinoproduktionen aller Zeiten zu widmen. Herausgekommen ist das, was angesichts dieses Hintergrundes erwartet werden konnte: ein gewissenhaft gemachter, aber letztlich blutleerer Prestigefilm.

Regisseur Stefan Haupt (Der Kreis) und Drehbuchautorin Simone Schmid bemühen sich in Zwingli redlich, ihrem Titelhelden (Max Simonischek) Leben einzuhauchen. Inmitten einer aufwändig aussehenden, wenn auch repetitiven Ausstattung wird das Publikum mit Nachdruck auf "Ueli" Zwinglis Bescheidenheit hingewiesen. Es lernt Freunde wie den spannenden, leider viel zu kurz kommenden Leo Jud (Anatole Taubman) kennen; es sieht dabei zu, wie sich die Witwe Anna Reinhart (Sara Sophia Meyer) in den modern denkenden Leutpriester verliebt.

Doch so viel sie auch zeigen mögen, so wenig gehen Haupt und Schmid auf das Gezeigte ein. Es spielen sich Ereignisse von historischer Bedeutung ab – der Fastenbruch, der Bildersturm, die Bibelübersetzung –, doch jede Szene gleicht der andern: Geschichte wird abgearbeitet statt inszeniert – und dies erst noch mittels stellenweise fragwürdiger Dialogzeilen. (Indessen werden Zwinglis Treffen mit Martin Luther sowie sein dramatischer Tod in der Schlacht bei Kappel nur mündlich überliefert.)

Dieses Fehlen eines ansprechenden Erzählrhythmus ist fatal für den Film: Zum einen wird Zwinglis Evolution zum reformierten Dogmatiker so zur abrupten, emotional kaum nachvollziehbaren Radikalisierung. Zum anderen fühlt man sich ob der uninspirierten 126-minütigen Aneinanderreihung von historischen Anekdoten irgendwann einmal an eine nicht enden wollende Schulstunde erinnert.

Freitag, 18. Januar 2019

Life Itself

Life Itself, the sophomore directing effort of TV and screenwriter Dan Fogelman (Tangled, Crazy, Stupid, Love, This Is Us), opens with veteran actor Samuel L. Jackson delivering some five minutes of self-aware, emphatically tongue-in-cheek narration. After a series of cloying jokes and smug acts of misdirection, we are introduced to "our hero," a therapist played by Annette Bening – who is then promptly run over by a bus. At seeing the bloody aftermath of the accident, Jackson mutters, "Fuck it, I'm out," never to return. We, the audience, should be so lucky.

As it turns out, this aggressively atrocious introductory sequence is the brainchild of our actual protagonist, severely depressed Jackson fan Will Dempsey (Oscar Isaac), who, following the departure of his wife Abby (Olivia Wilde), is in treatment with Bening's therapist and, given the task of writing about his feelings, starts, and quickly abandons, a movie script with Jackson playing the narrator.

From there, Life Itself spins completely out of control, resulting in a two-hour trainwreck that is both fascinating and infuriating to behold. Told in five chapters of varying length, each with its own protagonist, the film is ostensibly another entry into that subgenre of kitsch that attempts to milk overwrought fictional tragedies for saccharinely life-affirming greeting card messages – with Akiva Goldsman's Winter's Tale (2014) and David Frankel's Collateral Beauty (2016) its nearest analogues. Yet somehow, this film manages to outdo even those unsalvageable cinematic disasters in terms of sheer awfulness.

Working from what might be one of the worst scripts in Hollywood history, Life Itself, in the vein of Fogelman's critically acclaimed hit TV series This Is Us, charts how the lives, loves, and deaths of a group of people intersect across oceans and generations, with Will and Abby Dempsey forming the dramatic epicentre of it all.

Will (Oscar Isaac) is replaying scenes from his relationship with Abby (Olivia Wilde) in his head.
© Ascot Elite
Such an inherently corny premise might just work if it is delivered through a collection of arresting characters. It's unfortunate, then, that the film's first and longest chapter, which is dedicated to Will and Abby, is anything but – replete with mind-numbingly inane banter, nauseatingly trite proclamations of love, and hilariously excessive tear-jerking, featuring, among other things, a preposterously misjudged beheading.

And this is not even mentioning the film's excruciating habit of making the same point several times to drive it home, its downright embarrassing insistence on invoking the Bob Dylan masterpiece Time Out of Mind, Will's troubling tendency towards emotional manipulation ("I'll kill myself if you don't say yes!"), or the lines of dialogue that call to mind the diatribes of a romantically frustrated teenager ("You scare me with how much you feel").

Elsewhere, Isabel (Laia Costa) and Javier (Sergio Peris-Mencheta) fall in love.
© Ascot Elite
All of this is presented without a shred of irony, even though the film is enamoured with the idea of the unreliable narrator – from Samuel L. Jackson's appearance to the frequent use of either painfully obvious or bewilderingly far-fetched voice-overs to Abby's altogether laughable English Literature thesis on how "life itself is an unreliable narrator." On the rare occasions where it does seem to problematise its own narrative – such as when Will considers the possibility that his memories of a happy relationship with Abby might just be subjective projection – it unfailingly evades the consequences and retreats back into its fortress of tireless would-be witticisms and grand romantic and/or pseudo-philosophical pronouncements.

By the time Will and Abby have vacated the spotlight – somewhere around the hour mark – the damage is done. The boredom caused by the protracted middle section, which itself introduces and quickly discards a whole new range of ludicrous tragedies and pointless narrative gimmicks, may offer something like respite in comparison, but the final ten minutes – a seemingly never-ending pile-on of gooily inspirational, utterly meaningless platitudes even Nicholas Sparks would be ashamed of – yank Life Itself right back to the bottom of the metaphorical barrel. This film is not just bad – it ranks among the worst I have ever seen.

Montag, 14. Januar 2019

Cómprame un revólver

Im Mexiko der nicht allzu weit entfernten Zukunft hat die Regierung den Kampf gegen die brutalen Drogenkartelle verloren. Die Macht liegt in den Händen lokaler Gruppierungen und Banden. Die Menschen, insbesondere die Frauen, sind in Scharen geflohen, sodass das Land inzwischen fast nur noch von Männern bewohnt wird.

In diesem Umfeld wächst Huck (Matilde Hernández Guinea) auf, die Tochter eines drogenabhängigen Baseball-Platzwartes (Rogelio Sosa), dessen Leben davon abhängt, sein Spielfeld für die Besuche eines hiesigen Kartell-Trupps instand zu halten. Doch sie ist nicht allein in dieser von Gewalt dominierten Welt: Neben ihrem Vater sind auch ihre drei besten Freunde an ihrer Seite – Meister der Tarnung, die davon träumen, sich mit einem selbstgebastelten Katapult an den Gangs zu rächen.

Es schwirren viele anregende Ideen in Julio Hernández Cordóns Cómprame un revólver herum. In bemerkenswerten Bildern vermengt das märchenhaft-dystopische Drama Politik- und Gesellschaftskritik mit Coming-of-Age-Elementen und diversen Anlehnungen an Kultwerke wie Star Wars, Mad Max und Mark Twains Huckleberry Finn.

Was fehlt, ist ein roter Faden, eine Richtung, ein Konzept. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man denken, dass Hernández Cordón hier mit dem ungezügelten Elan des jungen Debütanten ans Werk geht, dem mehr an Einprägsamkeit als an Stringenz gelegen ist. Doch der US-Amerikaner mexikanisch-guatemaltekischer Abstammung ist 43 Jahre alt, legte seinen ersten Langspielfilm (Gasolina) 2008 vor und drehte seither, einschliesslich Revólver, weitere sechs Filme.

So besticht sein neuestes Werk mehr mit Einfallsreichtum als durch erfülltes Potenzial. Momente wie der Drohnen-Kameraflug über ein Gelände voller papierner "Leichen", Figuren wie der enigmatische Bandenführer und tragische Details wie die Tatsache, dass Huck von ihrem liebenden Vater angekettet werden muss, um nicht entführt zu werden, hinterlassen einen starken Eindruck, wollen sich aber nicht so recht zu einem harmonischen Ganzen zusammenfügen.

Huck (Matilde Hernández Guinea) lebt in einem von Kartellen regierten Mexiko.
© Outside the Box
Vielmehr wirkt Revólver, trotz seines zeitlich straffen Erzählrahmens, wie eine Abfolge mehr oder weniger eigenständiger Szenarien, welche im Laufe des Schreibprozesses zu einer aneinander anknüpfenden Kette von Plot-Elementen umgearbeitet wurden. Das macht das Ganze zwar angenehm unvorhersehbar, ist in letzter Konsequenz aber auch ein wenig enttäuschend: Gerade der letzte Akt ist die Geschichte spannender, aber allzu schnell wieder verworfener Ansätze; dem Ende fehlt es wegen der losen Zusammensetzung des Vorangegangenen – und des bisweilen verwirrend erratischen Schnitts – an narrativer und emotionaler Kraft.

Hernández Cordóns Versuch, sich der Kartell-Problematik auf unkonventionelle Art und Weise zu nähern – fernab von Narcos (2015–2017), Sicario (2015) und Cartel Land (2015) –, verdient Anerkennung, ebenso die einnehmende Darbietung von Matilde Hernández Guinea. Dabei bleibt es aber auch, weil Cómprame un revólver zwar zahlreiche vielversprechende Türen aufstösst, sich aber durch keine hindurch zu wagen scheint.

★★★

Sonntag, 13. Januar 2019

Green Book

Peter Farrelly ist ein Name, der im Filmgeschäft untrennbar mit dem Namen Bobby verbunden ist: Zusammen waren die Farrelly-Brüder während der Neunziger- und frühen 2000er Jahre fester Bestandteil von Hollywoods Komödien-Landschaft mit Kassenschlagern wie Dumb and Dumber (1994), There's Something About Mary (1998) und Shallow Hal (2001). Nun hat Peter mit der Roadmovie-Tragikomödie Green Book sein Solo-Regiedebüt abgeliefert. Dessen prominente Rolle im diesjährigen Oscarrennen kaschiert einen eindimensionalen und historisch frustrierend unreflektierten Film.

Basierend auf den Erlebnissen des italoamerikanischen Rausschmeissers und späteren Schauspielers (GoodFellas, The Sopranos) Frank "Tony Lip" Vallelonga – und mitkonzipiert und -verfasst von dessen Sohn Nick Vallelonga –, erzählt Farrellys Film davon, wie Tony (gespielt von Viggo Mortensen) im Herbst 1962 vom schwarzen Klaviervirtuosen Dr. Don Shirley (Mahershala Ali) als Fahrer und Leibwächter angeheuert wird. Grund für diese Berufung ist Shirleys bevorstehende Tournee durch die rassistischen US-Südstaaten.

Die Welt ist einfach in Green Book: Die italienischstämmigen Figuren sind laut, ungehobelt, jovial, machen im Gespräch inflationär Gebrauch von ihren Händen und lassen sich, im Fall von Tonys zahlreichen Familienmitgliedern, kaum je ohne einen Teller Spaghetti auf der Leinwand blicken. Afroamerikaner wiederum finden in Farrellys Vision von Amerika in den frühen Sechzigerjahren ein sauber zweigeteiltes Land vor: einen Norden, in dem man zwar gewissen Vorurteilen ausgesetzt sein mag, insgesamt aber ein ruhiges Leben führen kann – und einen streng nach Hautfarbe segregierten Süden, der von dumpfbackigen Rassisten bevölkert wird.

Apropos Rassismus: Dieser ist hier, nach althergebrachter Hollywood-Tradition von The Defiant Ones (1958) und In the Heat of the Night (1967) bis Driving Miss Daisy (1989) und The Help (2011), primär das Resultat persönlicher Befangenheit und ungenügender Kommunikation. Wenn man doch einfach nur miteinander reden würde und dadurch – wie Tony und Don – Gemeinsamkeiten fände, würde sich schon alles zum Guten wenden, so die implizite These.

Tony Lip (Viggo Mortensen) braucht eine temporäre Arbeit.
© Ascot Elite
Doch Rassismus hat noch nie so funktioniert, wie es sich das weisse, vordergründig liberale Hollywood vorstellt. Schwarze sind in den USA nicht allein deshalb erschwerten Lebensbedingungen ausgesetzt, weil sie sich das Land mit unverbesserlichen Minderheitenhassern, ungebildeten Südstaatler-Karikaturen und fehlgeleiteten, aber grundsätzlich gutmütigen Zeitgenossen wie Tony teilen müssen. Vielmehr sind sie sowohl im Süden als auch im Norden bis heute einer historisch gewachsenen Unterdrückung ausgesetzt – einem System, das ihre Bürgerrechte erst seit gut 50 Jahren formell anerkennt, während es Menschen mit weisser Hautfarbe seit Hunderten von Jahren strukturelle Vorteile zugesteht.

Wie Kritiker wie Jourdain Searles, Jenni Miller und Mark Harris bereits sehr anschaulich festgehalten haben, ist die gerade für das weisse Publikum tröstliche Konsequenz dieser ahistorischen Versöhnungsfantasie die Schlussfolgerung, dass bei Weiss und Schwarz zu gleichen Teilen Lernbedarf besteht.

Der Pianist Dr. Don Shirley (Mahershala Ali) stellt Tony als Fahrer ein, um während einer Südstaaten-Tournee einen Leibwächter an seiner Seite zu haben.
© Ascot Elite
Green Book suggeriert dies via den Klassenunterschied seiner beiden Protagonisten. Tony mag seinen Ekel darüber überwinden müssen, aus demselben Glas wie Schwarze zu trinken – seine einzige Tat, die der Film als rassistisch wertet. Indessen muss sich jedoch der reiche Musiker Don in Bescheidenheit üben und lernen, seinen Angestellten aus der Arbeiterschicht nicht von oben herab zu betrachten – ihm keine Aussprachehilfe anzubieten, seine Bronx-Bauernschläue nicht zu unterschätzen, sein Vokabular zugänglicher zu gestalten und sich selber nicht so ernst zu nehmen.

Und während Don seinem hemdsärmeligen Chauffeur die hohe Kunst des romantischen Briefschreibens beibringt, führt ihn Letzterer in die "schwarze Kultur" ein, die er vor lauter Reichtum verpasst hat. Dieser Aspekt der Geschichte ist aus mehreren Gründen einer der Tiefpunkte des Films. Zum einen scheinen Farrelly, Vallelonga und Brian Hayes Currie, der dritte weisse Drehbuchautor im Bunde, Don – der unter anderem an Martin Luther Kings Bürgerrechtsmarsch in Selma beteiligt war – diese Entfremdung von der afroamerikanischen Gemeinschaft angedichtet zu haben. Die Shirley-Familie, die nicht an der Produktion von Green Book beteiligt war, hat sich unlängst heftig gegen diese Darstellung gewehrt und sie als "Lügensinfonie" bezeichnet.

Die beiden grundlegend verschiedenen Männer freunden sich auf ihrer Reise miteinander an.
© Ascot Elite
Zum anderen reduziert Tony – der einmal vollmundig verkündet: "I'm blacker than you!" – die schwarze Kultur mehr oder weniger unwidersprochen auf das Essen und die Musik. Diese radikale Vereinfachung führt zu einigen kuriosen, bisweilen sogar verstörenden Momenten – etwa jener komödiantisch gemeinten Szene, in der Tony Don mit unangenehmem Nachdruck dazu drängt, erstmals in seinem Leben frittiertes Hühnchen, ein stereotypes "schwarzes" Essen, zu probieren. Eine weisse Figur zwingt einen Afroamerikaner dazu, sich gemäss rassistischen Klischees zu verhalten: Liesse der Film hier so etwas wie Satire erahnen, hätte das Ganze subversives Potenzial. Doch nichts deutet darauf hin, dass Green Book über so viel Hintersinn verfügt.

Dabei scheinen sich Farrelly, Vallelonga und Currie wenigstens theoretisch bewusst zu sein, sich auf heiklem Terrain zu bewegen. Gewisse Dialoge erwecken den Anschein, als habe der Film den kritischen Diskurs über den "Magical Negro" und Hollywoods verqueres Rassismus-Bild im Hinterkopf. Das Bestreben ist da, mit der Figur Don Shirley der schädlichen Vorstellung einer monolithischen Black Community entgegenzuwirken. Der Versuch einer seriösen Auseinandersetzung mit der brutalen Logik der Jim-Crow-Südstaaten – dass Schwarze zur "Würde" erzogen werden, ohne dass ihnen auch nur ein bisschen Würde entgegengebracht wird – ist erkennbar. Das Tragische ist aber, dass keiner dieser Ansätze irgendwohin führt: Themen werden angerissen und kurz darauf wieder vergessen – überstrahlt von den Lachern, für welche die herzerwärmende Freundschaft zwischen Tony und Don sorgen soll.

Fahrer und Passagier lernen voneinander – so bringt Don Tony bei, wie er romantischere Briefe an seine Frau Dolores (Linda Cardellini) schreiben kann.
© Ascot Elite
Nun kann man natürlich argumentieren, dass Green Book in erster Linie von Tonys Abenteuer erzählt, welches er später womöglich zu einer Gutenachtgeschichte für Nick umfunktionierte, und dass es deshalb vermessen wäre, dem Film einen Strick daraus zu drehen, dass seine Darstellung der schwarzen Erfahrung von Rassismus unzulänglich ist. Doch abgesehen davon, dass ein weisser Protagonist in einer an ethnischen Spannungen aufgehängten Geschichte die Filmemacher nicht von der Verantwortung befreit, afroamerikanischer Historie mit Fingerspitzengefühl zu begegnen, macht der gesellschaftshistorisch sehr spezifische Titel einen diesbezüglich kritischen Blick praktisch unumgänglich.

"Green Book" bezieht sich auf The Negro Motorist Green Book, den von Victor Hugo Green verfassten Reiseführer, der schwarzen Reisenden zwischen 1936 und 1966 lebenswichtige Informationen darüber gab, in welchen Etablissements sie willkommen waren – und wo nicht. Das Buch, das im Film selbst nur eine marginale Rolle spielt, war ein wichtiges Instrument afroamerikanischer Emanzipation – Alissa Wilkinson weiss mehr dazu.

Entsprechend ist es nicht zu viel verlangt, dass eine Produktion namens Green Book dieser Geschichte wenigstens einigermassen gewissenhaft Rechnung trägt. Was Farrelly aber tatsächlich abliefert, ist leidlich unterhaltsam, aber hoffnungslos antiquiert, thematisch inkohärent und bar jeder Substanz.

★★

Montag, 7. Januar 2019

Burning

© Xenix Filmdistribution GmbH

★★★★★

"Integriert ist das Ganze in einen grandios inszenierten, hochgradig atmosphärisch vorgetragenen Mystery-Plot. Lee und Oh verraten genug, um emotional zu packen, halten sich aber auch bedeckt genug, um immer wieder mit neuen, schlüssigen Wendungen zu überraschen. Unterstützt werden sie dabei von drei hervorragend aufspielenden Darstellern – gerade Steven Yeun (bekannt als Glenn Rhee aus The Walking Dead) brilliert mit einer unheimlichen Undurchsichtigkeit."

Ganze Kritik auf Maximum Cinema (online einsehbar)

Donnerstag, 3. Januar 2019

The Best Films of 2018


"According to my Letterboxd account, which I've started cultivating in earnest in 2018, I spent roughly 378 hours of said year watching movies – 206 of them, to be exact – averaging four viewings per week. Now, as the year has drawn to a close, it's time once again to pick my favourites from that selection, as I've done on The Zurich English Student for the past seven years. In 2018, I landed on a comparatively modest set of 15 films, though that is the result of perhaps a more rigorous decision-making process than in the past, which led to the shutout of such high-quality offerings as Steve McQueen's Widows, Xavier Legrand's Custody, and Yorgos Lanthimos' The Killing of a Sacred Deer."

Zu lesen gibt es die Liste auf The Zurich English Student.