Montag, 11. Oktober 2010

The Social Network

Noch trifft man sich in der Realität: Mark Zuckerberg (Jesse Eisenberg, rechts) und sein Noch-Bester-Freund Eduardo Saverin (Andrew Garfield) planen ihren Internet-Coup schon auf dem Harvard-Campus.

6 Sterne

Facebook ist sicherlich die bahnbrechendste Neuerung, die das Internet in den letzten zehn Jahren erfahren hat. Die Idee, per sozialem Netzwerk mit der ganzen Welt verbunden zu sein, ist einfach, aber genial, und hat die vom Harvard-Studenten Mark Zuckerberg ins Leben gerufene Website quasi zum "Internet im Internet" gemacht. In letzter Zeit erhielt der inzwischen 26-jährige Zuckerberg, seines Zeichens der jüngste Milliardär der Welt, weniger Aufmerksamkeit seiner Genialität wegen, sondern eher, weil er gleich an mehreren Fronten gegen Plagiatsklagen kämpfen musste. Entsprechend verlor er innert kürzester Zeit enorm an Ansehen und musste erleben, wie auf seiner eigenen Website Myriaden von Hassgruppen gegen ihn gegründet wurden. Erschwerend hinzu kamen auch die Vorwürfe, Facebook nähme es mit dem Datenschutz nicht so genau und so wurde aus dem Internet-Wunderkind Amerikas der Buhmann einer ganzen Generation von Internet-Usern, die sich auf einmal um ihre Privatsphäre sorgten. Dass dieser Reaktion eine gehörige Portion Heuchelei anhaftet, soll hier nicht genauer unter die Lupe genommen werden, denn hier geht es um den neusten Film von David Fincher (Fight Club, Se7en) - The Social Network, basierend auf dem Buch The Accidental Billionaires von Ben Mezrich -, der sich mit der Person Zuckerberg auseinandersetzt und essentielle Fragen nach Gier, Freundschaft, Berühmtheit und, nicht zuletzt, nach der Illusion des virtuellen Freundeskreises stellt. Grosses Kino.

Auf dem Papier sieht das von Fincher und Drehbuchautor Aaron Sorkin (Charlie Wilson's War, A Few Good Men) initiierte Unterfangen eigentlich unmöglich aus. Wie soll man die Geschichte einer Website, in der Programmieren, Codieren und fortgeschrittene Computersprache eine wichtige Rolle spielen, in eine mitreissende Story verwandeln? Ganz zu schweigen von den Rechtsstreitereien, welche die Rahmenhandlung von The Social Network bilden. Die Antwort erscheint plump: Man verleiht dem Film das höchstmögliche Tempo. Das verlangt zwar die geistige Mitarbeit des Zuschauers, doch wie man seit Inception weiss, ist das keineswegs als Vorwurf zu verstehen. Sorkins Drehbuch ist voll von rasanten Dialogen und blitzschnellen Wendungen, doch niemals kommt die sorgfältige Charakterentwicklung zu kurz, die auch zu den Gründen gehört, warum The Social Network ein dermassen grandioses Stück Film ist. Exemplarisch dafür steht die Anfangsszene, die das Zeug dazu hat, einen unvorbereiteten Kinogänger zu überrollen. Das Jahr ist 2003, der Ort eine Studentenbar, in der Mark Zuckerberg mit seiner Noch-Freundin über gefühlte zehn Themen gleichzeitig spricht und sie dabei weder ansieht, noch, so scheint es, richtig ernst nimmt. Es wird nur geredet, und das in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit; doch diese Szene, eine Zelebrierung von Sorkins Schreibtalent, reicht vollauf, um den Zuschauer ins filmische Geschehen hineinzuziehen. Man sei gewarnt: Nach dieser Eröffnung brummt einem der Kopf. Das Gespräch mündet darin, dass sich die Noch-Freundin, Erica, plötzlich in eine Ex-Freundin verwandelt und Mark frustriert und wütend zurücklässt. Und so beginnt die grösste Erfolgsgeschichte des 21. Jahrhundert. Sorkin und Fincher ergeben sich aber nie der Versuchung, aus der Entwicklungsgeschichte von Facebook eine globale Handlung zu spinnen. Der Film ist voll und ganz auf Mark Zuckerberg und sein Umfeld fokussiert. Und wie es sich für eine Geschichte, die auf wahren Begebenheiten basiert, eigentlich gehört, hält sich The Social Network mit der Moralkeule zurück und lässt den Zuschauer entscheiden, wer Pro- und wer Antagonist ist. Niemals wird Mark Zuckerberg als reiner Bösewicht aufgebaut, so wie es seine Hassgruppen auf Facebook wohl gerne gesehen hätten. Aber natürlich wird er auch nicht als Held stilisiert, was noch absurder gewesen wäre. Nein, er wird als eine tragische Figur, der nach und nach alle sozialen Kontakte abhanden kommen, dargestellt, die man bemitleidet und mit der man sogar ein wenig sympathisiert. Aber der Film ist nicht nur ein bedeutungsschwangeres Drama. Besonders dank Marks sozialer Unbeholfenheit, der schieren Selbstverständlichkeit, mit der er schwierige Probleme löst und seinem schmerzhaft köstlichen Zynismus provoziert Sorkins Drehbuch mehrfach herzhafte Lacher, die sich aber als hinterhältig und doppelbödig herausstellen, da ihnen meistens das Erkennen der Bitterkeit der Situation auf dem Fuss folgt.

The Social Network steckt voller tiefer Charaktere, deren Verkörperung äusserst anspruchsvoll ist. Umso mehr überrascht es, dass sich David Fincher für Jesse Eisenberg als Hauptdarsteller entschied. Eisenberg, ein typisches "Milchgesicht" à la Michael Cera, verdiente sich sein Geld zuvor in Independentfilmen (The Squid and the Whale, Adventureland) und Komödien (Zombieland). Doch wie der unverständlicherweise verhasste Cera scheint auch Eisenberg echte dramatische Fähigkeiten zu haben. Sein Mark Zuckerberg ist ein berechnendes, schweigsames Genie, das in den entscheidenden Momenten aber dennoch kein Blatt vor den Mund nimmt. Doch gleichzeitig ist er auch ein getriebener Mensch, der sich scheinbar nicht an soziale Kontakte binden kann, sondern sich in seinen eigenen Ideen ertränkt und seine Programmierfähigkeiten als einziges kreatives Ventil wahrnimmt. Dank Eisenbergs eindringlichem Schauspiel (Stichwort: "Do I have your full attention?") ist Mark ein dreidimensionales menschliches Wesen, dessen Entwicklung man mit Spannung verfolgt. So stimmt man am Anfang des Films Erica, intensiv gespielt von der beeindruckenden Rooney Mara, zu, wenn sie sagt "You're going to go through life thinking that girls don't like you because you're a geek. And I want you to know, from the bottom of my heart, that that won't be true. It'll be because you're an asshole.". Doch schlussendlich ist man doch eher geneigt, der Anwältin zuzustimmen, die Mark wissen lässt, dass er eigentlich gar kein so unausstehlicher Mensch ist, sondern dass er sich einfach so viel Mühe gibt, einer zu sein. Kein Wunder, dass es da für seine Freunde, wenn man sie denn so nennen will, nicht einfach ist, sich mit ihm zu arrangieren, allen voran für Eduardo Saverin, gespielt von Andrew Garfield (Lions for Lambs, The Imaginarium of Doctor Parnassus), einem Co-Gründer von Facebook und (ehemaligem) Freund von Mark. Dank seiner Hilfe konnte der ursprüngliche Prototyp der Seite, Facemash.com, richtig programmiert werden und mit seinem Geld finanzierte Zuckerberg seine frühen Facebook-Versuche. Doch das half Saverin letztendlich nichts, denn sein Markenanteil von 30% wurde nach dem Einsteigen von neuen Investoren auf 0,03% gesenkt, während der Anteil der anderen Gründer unverändert blieb, was für ihn de facto die Kündigung bedeutete. Garfield spielt Eduardo mit einer brillanten Authentizität. Er lässt das Publikum ohne grossen Aufwand merken, dass es ihm im tiefsten Inneren weh tut, seinen ehemals besten Freund auf 600 Millionen Dollar zu verklagen, doch gleichzeitig spürt man, dass Mark Zuckerberg ihn in seiner Ehre verletzt hat und dass er ihn dafür bezahlen lassen muss. Und obwohl man in den letzten Jahren in dieser Beziehung viele Enttäuschungen erlebt hat, muss man auch heuer wieder rufen "Sperr die Augen auf, Academy!", denn Eisenberg und Garfield hätten sich beide eine Oscarnomination mehr als nur verdient.

Doch die Schauspiel-Lorbeeren sind nicht nur für die beiden Hauptakteure reserviert. Auch Justin Timberlake zeigt als Sean Parker, Gründer zweier gescheiterter Websites, dass sich sein Talent nicht nur aufs Singen beschränkt. Er ist mit Abstand die unsympathischste Figur des Films - manipulativ, arrogant, gierig und paranoid - und Timberlake geniesst deren Darstellung ganz offensichtlich. Er interpretiert Parker als einen Neo-Yuppie, den illegale Aktionen nicht abschrecken, sondern herausfordern. Wie bei Jesse Eisenberg zeigt sich auch hier das Regietalent David Finchers, der selbst einem nicht unbedingt begnadeten Darsteller wie Justin Timberlake eine beeindruckende Performance entlocken kann. Ausserdem erwähnenswert ist das Trio Cameron Winklevoss/Tyler Winklevoss/Divya Narendra (zweimal Armie Hammer - die "Winklevi", wie Mark sie nennt, sind Zwillinge - und Max Minghella), das Zuckerberg wegen angeblichen Ideenraubs verklagt. Armie Hammer spielt zwei künftige Ruder-Olympioniken, die eine universitätsinterne Dating-Website entwickeln wollen und sich dafür Mark als Programmierer angeln. Das Besondere an Hammers Leistung ist, dass er einen das Jock-Klischee der amerikanischen Schulen völlig vergessen lässt. Denn die Winklevi sind alles andere als dumm und rücksichtslos. Und auch Max Minghella spielt seine kleine Rolle tadellos und überzeugt als Freund und Geschäftspartner der Winklevi.

All diese Aspekte ergäben für sich allein schon einen sehr guten Film. Doch The Social Network hat ein gewisses Etwas, das ihn zum Fast-Meisterwerk erhebt. Am spürbarsten kommt dieses Etwas wohl in der sagenhaften Schlussszene zur Geltung: Mark sitzt im leeren Verhandlungszimmer an seinem Laptop und bekommt mitgeteilt, dass sich seine Gegner wohl mit einer Abfindung zufrieden geben werden. Er nimmt dies ohne grosse Gefühlsregung zur Kenntnis, fragt die Anwältin, die ihm die Nachricht überbringt, ob sie mit ihm etwas essen gehen will, sie entschuldigt sich, lehnt ab und geht. Er starrt auf seinen Laptop, auf dem das Facebook-Profil von Erica, der Frau, mit der alles angefangen hat, zu sehen ist. Er klickt auf "Add as a friend" und bestätigt die Anfrage nach einigem Zögern. Er verharrt auf ihrem Profil und klickt auf "Refresh page". Und wieder, und wieder, und wieder. Und die Freundschaftsanfrage steht immer noch aus. Wie David Fincher soviel Tragik in diese Klicks hineinlegt, ist schlicht und ergreifend meisterhaft. Peter Travers hat es richtig gesagt: "The final image of solitary Mark at his computer has to resonate for a generation of users [...] sitting in front of a glowing screen pretending not to be alone." Fincher und Sorkin haben in einem einzigen Bild das grundlegende Problem der Generation Facebook festgehalten. Für einmal ist das Wort "genial" das passende.

Es gäbe noch viele Dinge, die man ansprechen könnte. Die hervorragende Musik von Trent Reznor und Atticus Ross etwa, der schnelle, aber dennoch sanfte Schnitt von Kirk Baxter und Angus Wall, die Tatsache, dass The Social Network erstaunlich kurzweilig ist und keinerlei Längen aufweist. Aber das würde die Kritik nur in die Länge ziehen. Darum soll hier ein Schlussstrich gezogen werden und nur noch einmal darauf verwiesen werden, dass David Finchers neustes Werk dank einer exzellenten Regiearbeit, einem spannenden Drehbuch und hochkonzentrierten Schauspielern eines der bisherigen Highlights des Kinojahres 2010 darstellt. The Social Network ist ein echtes Kinoerlebnis und einer der Filme, der einen wieder daran erinnert, wieso man diese Art Unterhaltung so sehr liebt. Oder um es mit Facebook sagen: "Gefällt mir"