Samstag, 31. Januar 2009

Slumdog Millionaire

Auf dem heissen Stuhl: Der ehemalige Slumdog und jetztige Chai-Wallah (Tee-Servierer) Jamal (Dev Patel, links)
beeidnruckt auch den Morderator von Who Wants to Be a Millionaire? (Anil Kapoor).

5 Sterne

Er hat wieder zugeschlagen! Danny Boyle, gefeierter Macher von Filmen wie Trainspotting oder 28 Days Later, hat sich wieder hinter eine Kamera gesetzt. Doch will man ihm nach dem pekuniären sowie qualitativen Flop Sunshine das Vetrauen wirklich noch einmal schenken? Nun, Sunshine war das, was passiert, wenn man einem geizigen Schotten - oder in Boyles Fall Mancunian - zu viel Geld gibt - er dreht durch. Slumdog Millionaire entsteht, wenn man einen derartigen Regisseur nach Indien versetzt - er dreht ebenfalls durch, aber auf eine höchst angenehme Weise.

Slumdog Millionaire
erzählt eine sorgsam konstruierte Geschichte, die zwar gewöhnlich anmutet, in ihrer Form aber durch und durch neu ist. Der Film spielt auf drei Hauptzeitebenen und springt auf verschiedenste Weise von der einen in die nächste. Die äusserste Rahmenhandlung spielt auf einem Polizeirevier in Mumbai, wo sich der Hauptdarsteller und einige Polizisten die Aufzeichnung von Who Wants to Be a Millionaire? vom Vorabend - die zweite Ebene - ansehen. Die Polizisten verhören die Hauptfigur, wieso er all die Antworten wusste, was darin mündet, dass dieser ihnen seine Lebensgeschichte erzählt. Kompliziert? Keineswegs. Die Übergänge sind mühelos nachvollziehbar und verleihen dem Film auch die nötige Spannung - auch wenn das Ende im Prinzip auf der Hand liegt. Drehbuchautor Simon Beaufoy, bekannt dank seinem Skript zum Komödienhit The Full Monty, stützt sich hier auf Vikas Swarups Roman Q and A, hält sich aber nur sehr locker daran. Sein Skript zeichnet sich vor allem durch eine eindrückliche Geschichte, einen interessanten Nebenplot und auch genügend Humor aus. Auch die gelungenen Tempowechsel von rasant zu gemächlich, die wohl auch ein Stück weit den Regisseuren Danny Boyle und Loveleen Tandan zu verdanken sind, machen Slumdog Millionaire zu einem angenehmen Filmerlebnis. Einzig die etwas hastige Erklärung, wie Jamal in die Sendung kam, könnte als Stolperstein genannt werden, aber solange man es begreift, kann man sich auch nicht zu stark darüber aufhalten.

Schauspielerisch weiss man nicht, was man bemängeln sollte. Natürlich wird Freida Pinto als Latika in manchen Szenen etwas gar klischiert dargestellt, aber trotzdem spielen sie und ihr Schauspielpartner Dev Patel hervorragend. Übertroffen wird das Duo eigentlich nur noch von den Kindern, die hier für einmal als Mehrwert anzusehen sind. Besonders Ayush Mahesh Khedekar als junger Jamal und Azharuddin Mohammed als junger Salim, Jamals Bruder, erstaunen den Zuschauer mit ihrem ganzen Talent. Erwähnt werden sollten auch Madhur Mittal als älterer Salim und Irrfan Khan als Polizeichef, die beide mehr als nur überzeugen. Eigentlich müsste hier der ganze Cast, der auch den Screen Actors Guild Award für "Outstanding Performance by a Cast in a Motion Picture" gewonnen hat, aufgezählt und gelobt werden, denn jeder einzelne Schauspieler verdient eine Würdigung.

Ein weiterer lobenswerter Aspekt von Slumdog Millionaire ist Anthony Dod Mantles Kameraarbeit. Er arbeitete schon bei 28 Days Later mit Danny Boyle zusammen und seine teils etwas hektischen, aber nichtsdestoweniger kunstvollen Bilder, erinnern stark an sein Engagement in The Last King of Scotland. Seine Darstellung Indiens unterscheidet sich zwar vom Indien, welches wir in The Darjeeling Limited serviert bekamen, ist aber dennoch nicht minder eindrücklich und gleichzeitig etwas fremd. Auch A.R. Rahmans Musik ist mitreissend und stimmig und vermischt traditionelle indische Klänge mit moderneren Rhythmen. Die Rechnung geht auf. Auch Leute, die sich sonst nicht allzu stark auf die Musik eines Films konzentrieren, dürften dem Score von Slumdog Millionaire einiges abgewinnen. Vor allem die Szenen, in welchen sich Bild und Musik zu einer herrlichen Einheit zusammenschliessen - besonders am Anfang des Filmes, als die Slumdogs vor der Polizei fliehen - bleiben im Gedächtnis hängen.

Eine Frage, die einigen Kritikern im Kopf herumgeistern dürfte, ist die Frage nach der Heuchelei. Schlägt Danny Boyle Profit aus der Armut der indischen Bevölkerung? Die Frage muss jeder für sich beantworten. Letztlich spricht es zwar für sich, dass beide Hauptdarsteller aus nicht allzu ärmlichen Verhältnissen kommen, doch auf der anderen Seite wird im Film die Armut sehr sorgfältig thematisiert. Überhaupt wird das ganze Leben am Rande der Gesellschaft einfühlsam inszeniert und ein Gefühl der Verlogenheit kommt nie auf. Auf die Liebesgeschichte, die in Slumdog Millionaire erzählt wird, sollte man sich ohnehin mehr konzentrieren. Dev Patel und Freida Pinto geben ein herziges Paar ab und werden geschickt in die Handlung des Geldes und der indischen Mafia eingeflochten. Die Geschichte von Jamal und Latika ist letzten Endes das, was Slumdog Millionaire zu einem wunderschönen Märchen macht. Ein Märchen, welches in manchen Punkten nicht einmal so besonders realitätsfern ist.

Man kommt fast nicht umhin, Slumdog Millionaire zu mögen. Der Film von Danny Boyle und seiner Co-Regisseurin Loveleen Tandan erzählt eine hochinteressante Geschichte und verbindet sie mit gängigen Prolemen der indischen Gesellschaft. Dass sich in dieser Story noch eine Lebens- und eine Liebesgeschichte befinden, wirkt weder überladen noch gekünstelt. Im Gegenteil, es sind diese Facetten, welche Slumdog Millionaire zu einem hinreissenden Stück Film machen. Dass das Ganze zwar spannend gemacht ist, aber doch auf dem gängigen "Work yourself up"-Prinzip beruht, wollen wir Danny Boyle verzeihen. Und das will dann doch etwas heissen!

Sonntag, 25. Januar 2009

Revolutionary Road

Es scheint alles so perfekt: Frank (Leonardo DiCaprio) und April Wheeler (Kate Winslet) schmieden gewagte Zukunftspläne.

4.5 Sterne

Revolutionary Road wurde vor den Golden Globes als Geheimtipp für die eine oder andere Trophäe gehandelt. Kate Winslet war allerdings die einzige, die für Sam Mendes' neuestes Werk eine solche einheimsen konnte. Dass der Film neben den grossen Produktionen dieses Winters - The Curious Case of Benjamin Button, Slumdog Millionaire, Frost/Nixon - etwas untergeht, ist verständlich. Ob sich Revolutionary Road qualitativ überhaupt mit diesen Filmen messen kann, ist fraglich, doch trotzdem lohnt sich ein Blick.

Leider muss vorausgeschickt werden, dass der Hype um die schauspielerische Leistung in Revolutionary Road wirklich nur ein Hype ist. Zwar überzeugen Leonardo DiCaprio und Kate Winslet in ihrem ersten gemeinsamen Film seit Titanic als Hauptakteure, doch einen Schauspielpreis will man ihnen dafür dann auch nicht gleich verleihen. Kate Winslet, zweifelsfrei eine talentierte Schauspielerin, setzt etwas allzu häufig auf ihre tränenverhangenen Augen und DiCaprio, der die bessere Leistung zeigt, wirkt etwas unterfordert. Aber trotzdem können beide Darsteller überzeugen, doch begeistert ist man davon nicht. Da wirkt beispielsweise Kathy Bates besser. Sie spielt eine ungalublich intrigante Person und ist mit ihrer pentranten guten Laune so etwas wie der Comic Relief in Revolutionary Road. Michael Shannon, der ewige Nebendarsteller, spielt hingegen alle an die Wand. Seine Oscarnomination ist verdient und mit seiner Leistung in Revolutionary Road könnte er sogar Heath Ledger Konkurrenz machen. Immerhin schlagen beide Figuren, John Givings hier und der Joker in The Dark Knight, in die gleiche Bresche. In beiden Fällen werden intelligente Psychopathen dargestellt, die aber dennoch als Einzige die Situation vollends begreifen.

Das permanente Nichtbegreifen der Situation erinnert sehr stark an Sam Mendes' Meisterwerk American Beauty. Auch dort wurde die perfekte amerikanische Familie kritisiert und die Intrigen demaskiert. Allerdings hüllt sich Revolutionary Road in den Mantel der Vergangenheit, was ihm zwar die Aktualität nicht raubt, sie aber zumindest abschwächt. Das wundert es nicht, dass American Beauty um einiges zynischer und bissiger war. Löst man Revolutionary Road aber aus diesem Kontext, ergibt sich ein stimmiges Sittenbild aus dem Amerika der 1950er Jahre. Das Traumehepaar, welches mit seinem Leben frustriert ist und einen Ausgang sucht, der aber durch das Umfeld versperrt wird, ist eine aktuelle Thematik, die hier sehr sorgsam angegangen wird. Das Ganze wurde gefällig inszeniert, lässt aber etwas Neues vermissen. Fast alle Aspekte des Films wurden irgendwo anders schon einmal gesehen. Natürlich kann man sagen, dass dies am 1961 verfassten Roman von Richard Yates liegt. Ist dem so, dann ist Revolutionary Road sicher eine gelungene Buchverfilmung. Das Drehbuch von Justin Haythe, der sich bisher in Hollywood nicht besonders hervortat, ist dicht und atmosphärisch. Ein möglicher Vorwurf, den sich Haythe gefallen lassen muss, ist, dass er zu stark darauf setzt, dass die Geschichte aufregend genug ist, um den Zuschauer zu fesseln. Doch das muss jeder selber entscheiden. Sehr gelungen ist jedenfalls das Ende, welches kurz einen Zynismus à la American Beauty aufblitzen lässt. Ausser Acht gelassen wurde bisher die gut ausgearbeitete Dramaturgie von Revolutionary Road. Die Charakterentwicklung zeugt zweifellos von Talent und auch die Einführung verschiedener neuer Personen und die Vorstellung neuer Probleme für das Ehepaar wirkt weder gesucht noch hölzern.

Der wohl grösste Reiz von Revolutionary Road liegt aber in seiner visuellen Virtuosität. Kein Wunder, wenn Roger Deakins am Werk ist. Seine Kameraführung ist ein wichtiger Teil des Films. Er trägt viel zur Atmosphäre bei und begeistert Mal um Mal mit ausgefeilten Kamerapositionen und guten Ideen zur Belichtung. So weiss er zum Beispiel, dass Dunkelheit am bedohlichsten wirkt, wenn sie am frühen Abend im Haus herrscht. So bannte er eine ganze angespannte Szene auf Film, die dem Publikum die richtigen Gefühle vermittelt. Dass ihm dafür keine Oscarnomination gegönnt wurde, liegt möglicherweise daran, dass er bereits 2008 zweimal nominiert war und dieses Jahr für The Reader nominiert ist. Trotzdem vermisst man seine Arbeit für Revolutionary Road auf dem diesjährigen Tableau.

Sicher hat Sam Mendes mit Revolutionary Road ein gutes Stück Film gedreht, doch ob dieses in späteren Jahren als Klassiker verstanden werden wird, ist unwahrscheinlich. Dazu ist der Streifen schlicht zu gewöhnlich. Doch das hindert ihn nicht daran, die Themen "Aufrechterhaltung der Fassade" und "Ethisch-moralische Zwickmühlen" seriös und anschaulich zu behandeln. Und dafür verdient Revolutionary Road unsere Anerkennung.

Gran Torino

Walt Kowalski (Clint Eastwood, rechts) will, dass aus Thao (Bee Vang) etwas wird, deshalb erklärt er ihm alles,
was er wissen muss, um auf dem Bau zu arbeiten.

6 Sterne

Der amerikanische Filmgigant Clint Eastwood hat durchblicken lassen, dass er in seinem neuesten Film, Gran Torino, zum letzten Mal vor der Kamera stand. Zwar sollte einen das traurig stimmen, doch irgdendwie wäre dieser Schritt verständlich. Denn ausser einem Darstelleroscar hat der bald 79-Jährige so gut wie alles erreicht, was man im Filmbusiness erreichen kann. Und sollte das Gerücht Wahrheit werden, dann wäre Eastwoods Performance als Walt Kowalski ein würdiger Abschluss.

Als Gran Torino angekündigt wurde, machte schnell ein haarsträubendes Gerücht die Runde: Gran Torino wird Dirty Harry 6. Leute, die sich mit Clint Eastwood auch nur ansatzweise auskennen, wissen, dass der Mann in der Zwischenzeit zu klug und zu erfahren ist, um sich auf so etwas einzulassen. Die Meldung wurde auch bald schon dementiert und machte der Beschreibung "ruhiges Drama" Platz. Ob Gran Torino wirklich so ruhig ist, darüber liesse sich streiten. Gewisse Charakterzüge von "Dirty" Harry Callahan stecken nämlich durchaus in Walt Kowalski. Er ist mitunter herrlich zynisch und hat seine Waffe immer griffbereit. Doch gleichzeitig erkennt man in ihm auch den ruhigen, philosophischen Revolverhelden aus diversen Western und - fast noch offensichtlicher - William Munny aus Unforgiven, dessen Überzeugung "It's a hell of a thing killing a man." auch in Kowalski tief verwurzelt ist. Kurz gesagt: Clint Eastwood spielt sich in Gran Torino quer durch seine Schauspielkarriere hindurch. Und dennoch wirkt diese Art von Schauspiel nicht gesucht. Eastwood spielt meisterhaft und hält sein tiefes Grummeln die ganzen 116 Minuten über durch. Und obwohl ihm für diese Leistung eigentlich ein Oscar verliehen werden müsste, wurde er schon bei den Nominationen schnöde übergangen. Stattdessen wurde Eastwoods anderer neuer Film - Changeling - einige Male nominiert, weil dieser eher ein Acadmey-konformes Thema anspricht, was aber hier keinesfalls diskreditiert werden sollte. Ein weiterer Grund, warum Eastwood als Schauspieler bei der Acadmey nicht ankommt, ist, dass er für einen Darstelleroscar einfach zu wenig macht. Er ist nun einmal ein gestandener Filmschauspieler und ein Minimalist, der zwar vor der Kamera meisterhaft agiert und in seiner Einfachheit schlichtweg brillant ist, eine Academy aber damit nie überzeugen wird.

Gran Torino ist eine schulbuchmässige Charakterstudie, die zwar von Clint Eastwood getragen wird, aber auch andere, talentierte Darsteller zu bieten hat. Bee Vang, ein Neuling im Schauspielfach, überrascht mit einer guten Darstellung des jungen Thao. Er kann dem Zuschauer die zunehmend freundschaftliche Beziehung zwischen ihm und Walt überzeugend verkaufen. Ebenso reif und überzeugend agieren Doua Moua und Ahney Ver. An der amerikanischen Schauspielfront stechen besonders Christopher Carley und John Carroll Lynch hervor. Letzterer bestreitet zwar nur eine sehr kleine Rolle, spielt diese aber mit dem nötigen Grad an Humor, der in Gran Torino (überraschenderweise?) auch vorhanden ist. Dies führt unweigerlich zum Drehbuch, verfasst von Nick Schenk und Dave Johannson, welches durch eine hervorragende Geradlinigkeit besticht. Die Geschichte wird linear erzählt und enthält so ziemlich alle Elemente, die ein gutes Drama ausmachen, inklusive Humor. Szenen, in welchen Walt Thao beibringen will, ein Mann zu sein, verbinden sich mühelos mit Konfrontationen zwischen Walts Nachbarn und der gewalttätigen Gang. Und wie auch in Dirty Harry gibt es hier einige prägnante One-Liner zu hören, die jeweils perfekt zur Situation passen. Die beiden Autoren beweisen überdies ein grosses Talent, eine Story so zu konstruieren, dass das Thema zwar aktuell ist, aber auf einer persönlichen und intimen Ebene funktioniert. So ist Gran Torino ein Film über kleine Leute in der Vorstadt, die sich mit ihrem heruntergekommenen Viertel auseinandersetzen.

Immer wiederkehrendes Stilmittel ist das titelgebende Auto "Gran Torino", ein Ford, der zum Stein des Anstosses gemacht wird und dessen Präsenz bis zur letzten Szene gerechtfertigt ist. Abgerundet wird diese gelungene Verklärung durch den Song "Gran Torino", der die Credits untermalt und sogar noch eine Strophe beinhaltet, die von Clint Eastwood selbst gesungen wird. Warum der Song nicht für den Oscar nominiert wurde, ist unverständlich. Doch die demonstrative Nichtberücksichtigung von Gran Torino bei den Oscars, sagt sehr viel über die Academy aus. Welcher Eastwood-Film wurde dreimal nominiert? Changeling, der ein liberales und "politisch korrektes" Thema behandelt. In Gran Torino hingegen steht ein Rassist im Mittelpunkt, der zwar im Laufe des Films seine Vorurteile verliert, anfangs aber doch einige inkorrekte Sprüche fallen lässt. Zudem wird hier über die Verslummung der amerikanischen Vorstadt sinniert und gleichzeitig beklagt, dass die typischen Werte, die man mit der Vorstadt verbindet, vor die Hunde gehen. Für ein derartiges Thema kann sich die Academy überhaupt nicht erwärmen. Dass dies den Film aber nicht schlechter macht, versteht sich. Er ist brillant gespielt, man spürt die sichere Hand des Regisseurs und hinter der Kamera steht ein visuelles Genie - Tom Stern, der für seine Arbeit in Changeling mit einer Oscarnomination bedacht wurde.

Gran Torino ist ein meisterhaftes Stück Film, welches einige Leute zwar durch seine Haltung gegenüber den Gangs in den USA etwas irritieren wird, echten Filmkennern aber genussvolle zwei Stunden bereiten kann. Dies liegt hauptsächlich an der Performance von Clint Eastwood, der seinen Platz im Pantheon der Schauspieler und Regisseure einmal mehr bestätigt, an der hervorragend konstruierten Atmosphäre, die den Film umgibt, und am genialen Twist-Ende, welches sämtliche Klischees über den Haufen wirft. Um es mit Peter Travers zu sagen: "The no-frills, no-bull Gran Torino made my day."

Sonntag, 18. Januar 2009

The Wrestler

5 Sterne

Amerika liebt Wiederauferstehungen von gebrochenen Menschen. Das berühmteste Beispiel war wohl Muhammad Alis furioses Comeback mit dem Jahrhundertkampf "The Rumble in the Jungle". Um die Unmöglichkeit von Comebacks noch zu zementieren, gilt in fast jedem amerikanischen Business die Regel "They never come back!", sodass eine Rückkehr noch sensationeller erscheint. So ein Rückkehrer ist nun Mickey Rourke. Der Schauspieler hatte jahrelange Probleme mit Alkohol und Drogen und ging in Hollywood ganz unter. Und nun? Dank Darren Aronofsky steht Rourke wieder ganz oben - höher als zuvor.

Die Rührung war Mickey Rourke bei den Golden Globes anzumerken. Die Leute applaudierten dem Sinnbild für amerikanisches Heldentum stehend. Zwar wurde seine Rolle in Sin City bereits als Comeback gewertet, doch sein Engagement in The Wrestler hat nun auch noch die letzten Skeptiker überzeugt. Ob er diesen Status halten kann, ist sicherlich ungewiss, doch immerhin darf man ihn wieder respektieren. Gemeinsam mit Marisa Tomei und Evan Rachel Wood bestreitet er ein tief gehendes, einfühlsames, aber gleichzeitig auch intensives Drama von Darren Aronofsky, der nach The Fountain und Requiem for a Dream wieder von sich reden macht. The Wrestler, geschrieben von Robert D. Siegel - einem No-Name, was Drehbücher anbelangt - überzeugt zwar nicht durch eine überaus originelle Geschichte, aber mit starken Darstellern und einem beeindruckenden Tiefgang. Randy "The Ram" Robinson wird von Mickey Rourke brillant verkörpert. Jedem Zuschauer wird auffallen, dass viel von Rourke selber in dieser Figur steckt, was sich positiv auf dessen Schauspielleistung auswirkt. Er spielt den schwächelnden Koloss glaubwürdig, ehrlich und unglaublich intensiv. Rourke hat die Kraft, den Zuschauer mitweinen zu lassen, wenn er in einer der bewegendsten Szenen des Films sagt "I'm an old broken down piece of meat and I'm all alone. I deserve to be all alone. I just don't want you to hate me.". Das Kunststück ist, dass - wohl nicht zuletzt wegen Mickey Rourkes Schauspiel - derartige Szenen nicht kitschig wirken, sondern authentisch und von Grund auf ehrlich. Rourke hat sich mit The Wrestler zweifellos ein Denkmal gesetzt, welches lange überdauern wird. Seine Schauspielpartnerinnen Marisa Tomei, die in ihren Filmen auffällig viele Nacktszenen zu spielen hat, und Evan Rachel Wood verblassen keineswegs. Beide spielen unsichere Frauentypen, die einen starken Einfluss auf den noch unsichereren Randy haben - Tomei die Stripperin Cassidy, Wood seine Tocher Stephanie. Obwohl der Film figurentechnisch das Rad nicht gerade neu erfindet, machen die Schauspieler diesbezügliche Mängel mühelos wett. Dass dies auch zumindest teilweise dem Drehbuch zu verdanken ist, ist klar. Robert D. Siegels Drehbuch besticht durch eine prägnante - zugegeben, etwas abgedroschene - Story mit einigen Wendungen, die einfach nachzuvollziehen sind und ganz und gar dem aristotelischen Drama entsprichen - da hat jemand im Englischunterricht aufgepasst! Sehr gut gelungen sind Siegel ausserdem die Stellen, die auch die Filme seines Namensvetters Don unvergleichlich machten: die humorvollen Szenen. Hie und da darf in The Wrestler nämlich auch herzhaft gelacht werden. Etwa wenn sich Randy und Cassidy über die 90er Jahre aufregen oder die einfache Tatsache, dass im Wohnwagen des grossen Wrestlers noch ein SNES steht und benutzt wird. Diese Szenen sind aber nicht nur dazu da, empfindliche Leute zufriedenzustellen, sondern sie dienen dazu, den Film noch menschlicher und berührender zu machen. Für Sportfans hat The Wrestler sehr viel zu bieten. Zwar gibt es "nur" drei Wrestling-Kämpfe zu bestaunen, doch diese genügen, um dem Publikum vor Augen zu führen, um was für eine Subkultur es sich bei diesem Sport handelt. In den Umkleidekabinen treiben sich schräge, aber im Grunde sehr sympathische Menschen herum, die diesen Lebensweg gewählt haben und davon nicht mehr so einfach loskommen. Auch die Kehrseite wird angesprochen - Steroide und andere Aufputschmittel, die zum Wrestling dazugehören.

Eingefangen wurde The Wrestler sehr stimmig. Kamerafrau Maryse Albertini zeigt hier ihre ganze Erfahrung. Ihre Aufnahmen der grauen Küste von Connecticut sind ebenso spektakulär, aber dennoch bescheiden, wie die harten Bilder von den Kämpfen.
Abgerundet wird das Ganze vom wunderschönen, im Abspann laufenden Song "The Wrestler", für welchen Bruce Springsteen prompt mit dem Golden Globe ausgezeichnet wurde und welcher in starkem Kontrast zum restlichen, Hard-Rock-lastigen Soundtrack steht.

Hat man von den ewigen Comebackfilmen wie Cinderella Man oder Rocky Balboa genug, dann dürfte The Wrestler eine angenehme Abwechslung sein. Getragen wird der Film ganz eindeutig von Mickey Rourke, der seine Sache aber mehr als gut macht. Alles in allem ist The Wrestler das erste grosse Highlight des Kinojahres 2009 und wird hoffentlich viel Erfolg haben. Denn wer ohne penetrant auf die Tränendrüse zu drücken, dennoch Tränen im Publikum erzeugen kann, der verdient den Erfolg.

Montag, 12. Januar 2009

Happy New Year

4 Sterne

Es ist eine traurige Tatsache, dass die Schweiz als Filmland keinen besonders hohen Status besitzt. Ausländische Filmcrews drehen zwar gerne in unseren Bergen, doch schaut man sich mal die heimische Eigenproduktionen an, dann ist man sehr schnell am Boden der Tatsachen angekommen. Was für einen Stellenwert haben Filme wie Max & Co., Tell, Grounding, Achtung, Fertig Charlie oder Mein Name ist Eugen - von der Qualität ganz zu schweigen? Ausnahmen wie Sternenberg, Jeune Homme oder Chrigu sind viel zu selten. Darf man Happy New Year zu diesen angenehmen Ausnahmen zählen? Immerhin sind zwei der aufgezählten Filme auch von Regisseur Christoph Schaub. Naja. Keine Ausnahme, aber wenigstens eine angenehme Überraschung.

Im Zusammenhang mit Happy New Year wurde häufig der Vergleich mit Magnolia bemüht. Die Parallelen springen einem sofort ins Auge: Beide Filme erzählen die Geschichte verschiedenster Menschen in nebeneinander verlaufenden Bahnen, sie sind beide stark vom Zufall abhängig und in beiden Fällen dreht sich das Ganze um eine Stadt - bei Paul Thomas Anderson um Los Angeles, bei Christoph Schaub um Zürich. Doch wie stellt er dieses Zürich dar? Gar nicht, wenn man ehrlich ist. Von Zürich sind ein paar Strassen zu sehen sowie hie und da mal ein bisschen Skyline. Happy New Year ist ganz offensichtlich auf die Charaktere zugeschnitten, die Stadt hält nur als Schauplatz hin und hat keine tiefere Bedeutung, was ja auch nicht immer sein muss. Die Charaktere ihrerseits variieren von sehr schön dargestellt bis fantasielose Fliessbandarbeit. Doch der Reihe nach: Was ein echter Schweizer Film sein will, muss natürlich auch ein paar gute, schweizerische Darsteller zu bieten haben. Wobei beim Casting zu Happy New Year wohl "gut" mit "bekannt" verwechselt wurde. In Schaubs Film finden sich nämlich eklatante Fehlbesetzungen wie Joel Basman, Elisa Plüss oder Katharina von Bock. Während Basman einmal mehr zeigt, dass er nicht schauspielern kann, gehen einem von Bock und Plüss einfach nur gehörig auf die Nerven. Zwar sind die Figuren beider wohl so angelegt worden, dass man sie nicht begeisternd findet, doch etwas mehr Engagement für die Aufgabe hätte den beiden Frauen dennoch gut zu Gesicht gestanden. Positive Eindrücke vermitteln Jörg Schneider, Irene Fritschi, Johanna Bantzer und Pascal Holzer, die zwar teilweise etwas Mühe mit der Figurenzeichnung bekunden, sich dem Zuschauer aber insgesamt gut verkaufen. Auch Denise Virieux zeigt eine recht gute Leistung. Mit seiner Rolle in Happy New Year für eine kleine Überraschung gesorgt hat Nils Althaus, der einem folgendes Gefühl gibt: "Hey, der kann ja schauspielern!". Nach seinen eher durchzogenen Auftritten in Breakout und Räuberinnen spielt er hier einen sympathischen jungen Taxifahrer, den er sehr gut verkörpert. Schlichtweg hinreissend ist Bruno Cathomas, der den eigensinnigen Pascal gibt. Alles, was zu dieser Rolle gehört, wird von Cathomas - Preisträger des Schweizer Filmpreises 2008 (Bester Darsteller, Chicken Mexicaine) - in jeder Hinsicht abgeklärt und professionell interpretiert, sei es die Verbitterung, die Unsicherheit oder die Entwicklung.

Ein weniger positiver Aspekt von Happy New Year ist das von Grischa Duncker, Thomas Hess und Christoph Schaub selbst verfasste Drehbuch, welches gängige Klischees nicht zu umgehen vermag. Wie erwähnt überzeugt auch die Figurenzeichnung nicht zu 100% und besonders unvorhersehbar sind die fünf Geschichten auch nicht. Hinzu kommt die gestellte und künstliche Jugendsprache, die der talentierten Jungschauspielerin Annina Euling in den Mund gelegt wird.

Dennoch kann einen Happy New Year durchaus berühren. So vorhersehrbar die Geschichten auch sind, eine emotionale Anbindung ist zu jeder Zeit da. Man hat Mitleid mit den Polizisten, die an Silvster die Drecksarbeit machen, man leidet mit dem eigensinnigen Modellbauer Pascal mit, man will den Hund von Herbert und Anne-Marie finden. Und auch wenn das Finale etwas zu einfach herbeigeführt wird, kann dieses den grundsätzlich positiven Eindruck des Films nicht zerstören, zu vertraut ist der Zuschauer mittlerweile mit den Figuren. Ein Kunststück, welches den Drehbuchautoren trotz aller Mängel auch gelungen ist, ist der waghalsige Spagat zwischen Drama und Komödie - teilweise sogar innerhalb desselben Segments. Eine derart differenzierte Konstruktion hätte man dem Schweizer Filmbusiness gar nicht mehr zugetraut. In ein- und derselben Szene lacht man etwas verschmitzt über die Freundin von Kaspar (Nils Althaus), die ihn verlässt, weil er zuviel Simpsons schaut - spontaner Gedanke: "Da sollte ich aufpassen!" - findet sich aber gleich darauf in einem Konflikt zwischen Jörg Schneider und Irene Fritschi. Und das Erstaunliche daran ist, dass derartige Übergänge vollkommen sauber vonstatten gehen, ohne dem Zuschauer ein unnötiges Wechselbad der Gefühle zuzumuten.

"Für einen Schweizer Film..." ist für die Skeptiker unserer heimischen Filmemacherlandschaft eine beliebte Bewertungsformel. Wenn man kann, sollte man sie umgehen, doch bei Happy New Year drängt sie sich beinahe schon auf. Und deshalb meint dieser Schreiberling: Für einen Schweizer Film ist Happy New Year gelungen. Der Film hat zwar seine Mängel und sogar seine etwas peinlichen Stellen, kann aber als Ganzes einigermassen überzeugen. Das liegt an einigen höchst sympathischen Charakteren und gewissen - nicht besonders überraschenden - Wendungen, die einem aber doch ans Herz gehen. Und seien wir ehrlich: Von einem Film, der den Titel Happy New Year trägt, erwarten wir nichts anderes.

Samstag, 10. Januar 2009

Futurama: The Beast with a Billion Backs

5 Sterne

Die Macher von Futurama beeilen sich. Zwar ist The Beast with a Billion Backs schon vor einiger Zeit veröffentlicht worden, doch trotzdem muss man sein Erstaunen äussern, dass innerhalb von nur knapp zwei Jahren vier 90-minütige Filme entstehen können. Der erste - Bender's Big Score - erfreute Futurama-Aficionados allüberall. Der zweite, der hier besprochen werden soll, wurde zwar auch positiv aufgenommen, musste sich aber immer mal wieder den Vorwurf gefallen lassen, der Humor weiche der Action. Doch wer Futurama kennt und liebt, weiss, dass das kein Kritikpunkt sein kann, denn die Inszenierung der Actonszenen bringt immer einen speziellen Reiz mit sich.

Nach Bender's Big Score hielten sich Heerscharen von Fans die Bäuche vor Lachen. Die Geschichte um Bender, der kreuz und quer durch die Zeit reist, enthielt alle, für Futurama typischen Stilelemente und überzeugte auch im abendfüllenden Format. Einziger Negativpunkt, wenn überhaupt, war der relativ kurze Auftritt von Zapp Brannigan - einer Kultfigur! Darüber darf man sich bei The Beast with a Billion Backs nicht beklagen. Sobald eine ausserirdische Macht die Erde bedroht, muss natürlich der Oberbefehlshaber des Militärs ran. Zapp Brannigan, ähnlich kompetent wie Erdenpräsident Richard Nixon (bzw. sein Kopf), ist einer der Hauptgründe, warum man das neue Futurama-Abenteuer nicht schlecht finden kann. Szenen, in denen er um Kif "trauert" oder in einem Café sitzt, während mehrere Millionen Kilometer über ihm ein Kampf tobt, sorgen beim Publikum für konstant erhobene Mundwinkel. War Bender's Big Score sehr darum bemüht, alle Figuren aus vier Jahren Seriengeschichte aufzuzählen, ist in The Beast with a Billion Backs klar die Absicht, die beliebtesten Figuren hervorzuheben, erkennbar. Populäre Nebenfiguren wie Calculon, Kif oder eben Zapp Brannigan haben einige furiose Szenen zu meistern, lediglich Mom bleibt leider aussen vor. Ausserdem kann dieser Film einen sehr guten, zweideutigen Antagonisten vorweisen: Yivo, gesprochen von David Cross, ist ein rieseiges Tentakelwesen aus einem anderen Universum, das durch einen Riss in unserem Universum zu uns gelangt - Creepy!

Wie immer bei Futurama begeistern die Stimmen, diesmal sogar durch drei sehr bekannte Gaststars unterstützt. In Bender's Big Score verschaffte sich Al Gore Sympathiepunkte für seine selbstironische Rolle, in The Beast with a Billion Backs sind dies der bereits erwähnte David Cross, Brittany Murphy - Frys neuste Flamme - und der bereits bei den Simpsons mehrfach aufgetauchte Stephen Hawking, der zwar nicht viel zu sagen hat, aber trotzdem für einen grossen Lacher sorgt. Ansonsten sind die Stimmen alle wie gehabt: Sensationell.
Geschrieben wurde der Film von den altbekannten Initianten der Serie: Matt Groening und David X. Cohen. Unterstützt wurden sie dabei von Michael Rowe, der auch bei den nächsten Filmen Hand angelegt hat bzw. Hand anlegt (Bender's Game, Into the Wild Green Yonder). Das Autorentrio enttäuscht nicht. The Beast with a Billion Backs unterhält mit coolen Sprüchen, verrückten Charakteren, abwegigen Aussagen und zwei wunderbaren Nebenplots. Dass nach dem Ende von Yivos Herrschaft sich ein minimaler Erklärungsnotstand, wie man jetzt noch auf 88 Minuten Laufzeit kommen soll, breitmacht, fällt dabei kaum ins Gewicht. Allein schon Kifs Eltern und der lustigste V-Effekt des Films - das greise Team Hubert Farnsworth/Ogden Wernstrom ("I agree!" - "Wernstrom!"), sonst jeweils erbitterte Konkurrenten - reparieren den holprigen Übergang.

Der Kritikpunkt der übertriebenen Action scheint unverständlich. Zwar gibt es klar weniger Wortwitz in The Beast with a Billion Backs als in Bender's Big Score, dafür umso mehr Actionsequenzen, doch diese wurden dermassen unterhaltsam und ironisch gestaltet, dass man sich daran unmöglich stören kann. Doch jedem seine Meinung. Der hier schreibende Kritiker ist jedoch der Anischt, dass die Action in The Beast with a Billion Backs ein klarer Mehrwert ist.

Es muss gesagt werden, dass Bender's Big Score lustiger und etwas besser war als The Beast with a Billion Backs. Ob das am neuen Drehbuchautoren oder am neuen Regisseur - Peter Avanzino statt Dwayne Carey-Hill - liegt, lässt sich nicht genau sagen. Tatsache ist, dass der neue Futurama-Film durchgehend unterhaltsam ist und sich 90 Minuten lang über dem Durchschnitt anderer Serienverfilmungen bewegt. Und von Futurama dürfte man in der Zwischenzeit auch gar nichts anderes erwarten.

Samstag, 3. Januar 2009

Vicky Cristina Barcelona

4.5 Sterne

Es regt sich etwas im Land der Kinofans. Woody Allen, Regisseur aus Leidenschaft, hat wieder einen Streifen gedreht und diesmal ist es kein reines Drama wie Cassandra's Dream oder Match Point, sondern eine hintergründige, lakonisch-frivole Mischung aus Romanze, Drama und Komödie. Natürlich spielt Allens neuste Muse Scarlett Johansson wieder mit und der Zuschauer wird wieder in eine bezaubernde Stadt versetzt - Barcelona diesmal. Alles wie immer? Oder: Neue Stadt, neues Glück?

Woody Allen ist nicht zuletzt wegen seinen Drehbüchern beliebt. Seine Skripts sind witzig, haben aber dennoch dramtische Stellen und enden in der Regel für die Protagonisten ziemlich fies. So auch bei Vicky Cristina Barcelona, ein Film, welcher sich um ein unterschiedliches Vierergespann dreht und das Leben, Lieben und Leiden der Personen mit der malerischen Kulisse von Barcelona verbindet. Entsprechend vergnüglich ist das Endprodukt. Offensichtliche Probleme wie zum Beispiel die Verständigung zwischen zwei Spaniern werden mit eleganten Kniffen behoben - im angeführten Beispiel mit Javier Bardems Catchphrase "Speak English", weil Cristina sonst nichts versteht. Nicht besonders raffiniert, aber wirkungsvoll. Irritiert ist man allerdings am Anfang des Films etwas, wenn die Charaktere von einem auktorialen Erzähler (Christopher Evan Welch) erklärt werden. "Wie plump", könnte man sich denken, doch nach und nach stört einen die Stimme nicht mehr - im Gegenteil, man empfindet sie als äusserst hilfreich. Es liegt nicht zuletzt am Erzähler, dass man samtweich durch die Handlung von Vicky Crsitina Barcelona getragen wird. Da macht man sich auch keine Gedanken darüber, dass Woody Allen keine exzeptionell tiefgründige Geschichte erzählt, sondern sich mehr um die Liebesspielchen von Juan Antonio, Maria Elena, Vicky und Cristina kümmert. Dass man damit keine Probleme hat, dafür sorgen die herausragenden Schauspieler. Javier Bardem spielt hier, nachdem er in No Country For Old Men einen kaltblütigen Killer spielte, einen heissblütigen Ladykiller. Seine Rolle wird einem Schritt für Schritt sympathischer, aber die anfängliche Aufdringlichkeit hemmt die vollständige Begeisterung. Hier ist die Welt bezüglich Charakterdarstellung noch in Ordnung. Anders verhält es sich mit Vicky und Cristina. Obwohl es zwar dem Lauf der Geschichte förderlich ist, ist die Unterscheidung der beiden Freundinnen etwas gar einfach ausgefallen. Beide mögen dieselben Dinge, nur ihre Auffassung von Liebe ist unterschiedlich. Diese fast schon schwarz-weisse Auseinanderhaltung löst sich zwar im Laufe des Films etwas auf, scheint aber trotzdem etwas zu viel der Vereinfachung zu sein. Dennoch brillieren Scarlett Johansson (Cristina) und Rebecca Hall (Vicky) in ihren Rollen und helfen einem so über die stark vereinfachte Charakterzeichnung hinweg. Begeisternd ist Maria Elena, gespielt von Penélope Cruz. Cruz setzt ihr Image der hinreissenden Femme fatale sehr geschickt ein und hat den Zuschauer gleich nach ihrem ersten Auftritt fest im Griff. Eine weitere Darstellerin, die man nicht vergessen sollte, ist natürlich die Stadt Barcelona. Selbstverständlich erleben wir hier ein Touristen-Barcelona, welches sich nicht in die dunklen Seiten der Stadt hineinwagt wie etwa Todo sobre mi madre - übrigens auch mit Penélope Cruz - doch Woody Allen versteht es wunderbar, eine Geschichte in ein so wunderbares, sommerliches Setting einzuweben. Vergleichbar dazu wäre möglicherweise Martin McDonaghs Meisterstück, in In Bruges Brügge den Tonfall des Films angeben zu lassen. Unterstrichen wird das wunderschöne Setting durch das immer wiederkehrende Lied "Barcelona" von Giulia y los Tellarini, dessen Klänge auch in tiefstem Winter noch nachhallen, und die stimmungsvolle Kameraarbeit von Javier Aguirresarobe.

Vicky Cristina Barcelona
weist gegen Ende zwar ein paar Längen auf, macht diese aber mit einem für Woody Allen typischen gemeinen Schluss wett und entlässt den Zuschauer mit einem Lächeln ins kalte Winterwetter. Man weiss, dass man gerade keine grosse Filmkunst, aber immerhin eine frivole Tragikomödie im Stile von Ernst Lubitsch oder Billy Wilder gesehen hat. Und man ist überzeugt, dass Barcelona die Bezeichnung "Stadt der Liebe" mehr vedienen würde als Paris.