Donnerstag, 21. Februar 2013

The Master

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Sprechen Kritiker von Paul Thomas Anderson, schreiben sie ihm gerne die Rolle des grossen amerikanischen Autoren zu, des cineastischen Erben von Twain, Fitzgerald und Faulkner. The Master, der neue Film des Regisseurs, zeigt einmal mehr, dass in diesen Vergleichen prätentiöses Auteurkino mit grosser Kunst verwechselt wird.

USA, 1950: Der psychisch labile Weltkriegsveteran Freddie Quell (Joaquin Phoenix) versucht vergebens, sein Leben in geregelte Bahnen zu lenken. Ziellos irrt er durchs Land, wobei ihm seine Wutausbrüche und Alkohol-Eskapaden Stelle um Stelle kosten. Eines Abends findet er sich auf der Jacht des charismatischen Autoren Lancaster Dodd (Philip Seymour Hoffman) wieder, der ihn zu einer Schifffahrt von San Francisco nach New York einlädt. Dodd führt zusammen mit seiner Frau Peggy (Amy Adams) die esoterische Gruppierung "The Cause", deren Mitglieder in Gesprächstherapien vergangene Leben aufarbeiten und sich dadurch angeblich von Traumata befreien. Freddie ist fasziniert von Dodd, genannt "Master", der wiederum Gefallen am rast- und ruhelosen Herumtreiber findet und ihn unter seine Fittiche nimmt.

Der 2012 verstorbene Filmkritiker Andrew Sarris prägte in seinem grossen Werk The American Cinema, einer Evaluierung der Regisseure, die das US-Kino mitgestaltet haben, den Begriff "Strained Seriousness". Dieser, so Sarris, umschreibe "talentierte, aber unstete Regisseure, die der Todsünde der Anmassung verfallen sind". Ihre Filme seien "ambitioniert", würden aber ihre Grösse nicht durch wahres Wachstum, sondern durch künstliches Aufblähen erreichen. Auf kaum einen zeitgenössischen Regisseur passt diese Beschreibung besser als auf Paul Thomas Anderson. Während Werke wie Boogie Nights oder Magnolia dank eines reichen Fundus an illustren, manchmal sogar sympathischen Figuren überzeugen konnten, fallierte There Will Be Blood wegen seiner Gefühlskälte und der hemmungslos chargierenden Darsteller (vorab Daniel Day-Lewis und Paul Dano). The Master scheitert aus nämlichen Gründen.

Auch hier verfolgt Anderson seinen Stil, die Narration nach der Hälfte der Laufzeit mehr oder minder enden zu lassen und seine Figuren im von ihm geschaffenen Handlungsrahmen treiben und miteinander interagieren zu lassen. Dass dies funktionieren kann, hat die Filmgeschichte zur Genüge bewiesen; doch The Master fehlen die emotionale Zugkraft und die Dringlichkeit des Themas, welches die Biografien John Steinbecks, Jason Robards' und des Scientology-Gründers L. Ron Hubbard in sich vereint. Der Film ist ein schwergewichtiges, statisches Monstrum, in dem sich bedeutungsschwangere Bilder und Szenen scheinbar willkürlich mit alltäglichen Belanglosigkeiten abwechseln.

Meister und Jünger: Freddie Quell (Joaquin Phoenix, rechts) findet Halt in der esoterischen Sekte von Lancaster Dodd (Philip Seymour Hoffman).
Getragen wird das Ganze von zwei höchst unterschiedlichen Darbietungen, deren schiere Wucht die ohnehin schon skizzenhaften Nebenfiguren endgültig zur Staffage degradieren. Auf der einen Seite steht der hervorragende Philip Seymour Hoffman, stets eine dominante Leinwandpräsenz, der das zwielichtige Enigma des Lancaster Dodd punktgenau interpretiert. Ihm gegenüber agiert Joaquin Phoenix, dessen Manierismen ein Paradebeispiel für die berüchtigten Auswüchse der Schauspielmethode nach Stanislavski und Strasberg sind: Phoenix schreit, lallt und verzieht sein Gesicht im Glauben, so die Figur Freddie Quell konturenreicher darstellen zu können. Tatsächlich aber wirkt dieses frenetische Gebärdenspiel bestenfalls aufgesetzt, mitunter geradezu lachhaft.

Die wahre Tragödie dieses mängelbehafteten cineastischen Kunsthandwerks besteht darin, dass es den reichen Subtext von The Master überschattet. So wie Terrence Malick in seinen Epen den Weg der Natur dem der Gnade gegenüberstellt, so prallen hier zwei Menschenbilder aufeinander. Der wilde, unberechenbare Freddie vertritt jene animalische Seite des Menschen, welche "The Cause" auszurotten versucht. Der Scharlatan Dodd hingegen brüstet sich damit, in höheren Sphären zu schweben. Freddies triebgesteuerter Lebensentwurf bewegt sich demnach näher an der Wirklichkeit als Lancasters religionsorientierter, der leblosen Objekten eine grössere Bedeutung andichtet – auch der Meister ist nur ein Sklave. Frei ist, wer sich darauf einlässt. Kein Zweifel, The Master hat etwas zu sagen, doch Paul Thomas Andersons Prätention hindert ihn daran, sein Potential zu erfüllen.

★★

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