Donnerstag, 14. Februar 2013

Hannah Arendt

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Margarethe von Trotta, die Grande Dame des Neuen Deutschen Films, platzt mit ihrem neuen Projekt mitten in die neu entfachte Antisemitismus-Debatte in Deutschland. Hannah Arendt ist ein gewagtes Porträt der grossen jüdischen Philosophin – jedenfalls bis der Mut es verlässt.

1961 wird in Argentinien der ehemalige SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann vom israelischen Geheimdienst Mossad gefasst und nach Jerusalem überführt, wo ihm der Prozess gemacht werden soll. Weil sie als Exil-Jüdin ein persönliches Interesse am Fall hat und weil viele ihrer Freunde nach dem Zweiten Weltkrieg nach Israel gezogen sind, bittet die mittlerweile mit ihrem Mann Heinrich Blücher (Axel Milberg) in New York lebende Philosophin, Autorin und Professorin Hannah Arendt (die famose Barbara Sukowa, die unter der Regie von Trottas auch schon Rosa Luxemburg verkörperte) das Magazin New Yorker erfolgreich darum, sie als Reporterin nach Jerusalem zu schicken. Doch während die meisten ihrer Freunde und Bekannten Eichmann als personifiziertes Böses sehen, erkennt sie in ihm lediglich einen obrigkeitshörigen Bürokraten, dessen Verbrechen auf einen Denkverzicht zurückzuführen sind. Als ihr 300 Seiten umfassender Prozessbericht erscheint, sieht sich Arendt schärfster Kritik ausgesetzt.

Die Behandlung von Hannah Arendts wohl umstrittenster Publikation ist per Definition ein Wagnis, ungeachtet des gegenwärtigen sozipolitischen Hintergrundes. Immerhin beinhaltet die 1963 auch als Buch (Eichmann in Jerusalem: A Report on the Banality of Evil) veröffentlichte Artikelserie der Denkerin verwegene Äusserungen wie etwa die These, dass Hitlers Vernichtungspolitik ohne die Kooperation der Judenräte keine sechs Millionen Opfer gefordert hätte. Aussagen dieser Art sind der Stoff hitziger Diskussionen, heute genauso wie 1962.

Europäische Intelligentsia in New York: Hannah Arendt (Barbara Sukowa) und Ehemann Heinrich Blücher (Axel Milberg).
Doch Margarethe von Trotta geht – über weite Strecken zumindest – mutig ihren Weg und identifiziert viele der schwerwiegendsten Anschuldigungen von Arendts zeitgenössischen Kritikern als reine Hysterie: Weder hat sie in ihren Artikeln den Verbrecher Eichmann verteidigt, noch war sie der Meinung, die Juden trügen die Schuld für ihre eigene Zerstörung. Auch die Tatsache, dass sich Arendt nicht als Zionistin verstand, umgeht von Trotta nicht: Hochgradig emotionale Zeugenaussagen am Jerusalemer Gericht – alles authentisches Archivmaterial –, die vage Claude Lanzmanns Shoah in Erinnerung rufen, kontrastiert sie mit Linien wie "Ich habe doch noch nie ein Volk geliebt". Leider aber scheint es, als mache der Film im letzten Moment einen Rückzieher. In zwei kurzen Minuten wird aus der starrsinnigen Hannah Arendt eine Zweiflerin am eigenen Werk; ihre Position weicht auf, sie widerruft den Standpunkt, für den sie bislang so entschieden eingetreten ist. Dies mag historisch verbrieft und womöglich sogar richtig sein, doch dramaturgisch ist es fatal: Ein stimmiger Film ändert in seinen Schlusssekunden nicht die Meinung, die er zuvor 110 Minuten lang vertreten hat.

Dieses Defizit weist denn auch auf ein zusätzliches, weitaus banaleres Problem der Autorinnen von Trotta und Pamela Katz hin, fernab der inhaltlichen Tragweite: Zwischen den – zweifellos überzeugenden – Einzelteilen des Films herrscht ein akutes Missverhältnis. Obwohl die persönliche Dimension, vorab das lebendig eingefangene Eheleben von Arendt und Heinrich Blücher, durchaus zu gefallen weiss, übertönt sie doch zu oft die historischen Fakten. Indem sie etwa den Philosophen Martin Heidegger (Klaus Pohl) prominent in ihre Erzählung mit einbezieht, tut sich von Trotta wahrlich keinen Gefallen, da dieser keinen sichtbaren Einfluss auf die Handlung hat. Lässt sie die Geschichte schliesslich doch zu ihrem Recht kommen, droht das Ganze ins Moralisierende abzudriften. Hannah Arendt kommt so einer guten Philosophiestunde gleich: interessant, anregend, informativ, mitunter sogar inspirierend, doch schlussendlich kein Vergleich zum Originaltext.

★★★

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