Donnerstag, 28. Februar 2013

Les Misérables

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.


Die 1980 uraufgeführte Bühnenbearbeitung von Victor Hugos historischem Epos Les Misérables gehört zu den erfolgreichsten Musicals aller Zeiten. Nun wurde das weltweite Phänomen im grossen Stil verfilmt. Herausgekommen ist ein langfädiges Edel-Singspiel.

Frankreich, 1815: Fast 20 Jahre hat Jean Valjean (der beherzte Hugh Jackman) wegen eines geringfügigen Diebstahls im Straflager verbracht. Auch nach seiner Begnadigung wird er seines Lebens nicht froh: Staat und Gesellschaft verstossen den Verurteilten. Als er eines Nachts einen gutmütigen Bischof bestiehlt, erhebt dieser keine Anklage und bewahrt ihn so vor einer erneuten Gefängnisstrafe. Inspiriert von diesem Akt der Barmherzigkeit, schwört sich Jean, fortan ein ehrliches Leben zu führen. Dieses ist ihm unter neuem Namen in einer neuen Stadt vergönnt, wo er binnen acht Jahren zum reichen Unternehmer und Bürgermeister aufsteigt. Als solcher hilft er der sterbenden Fantine (eine masslos theatralische Anne Hathaway) und adoptiert deren uneheliche Tochter Cosette. Durch das plötzliche Auftauchen seines alten Gefängniswärters Javert (Russell Crowe) sieht sich Valjean jedoch gezwungen, mit dem Mädchen nach Paris zu fliehen. 1832 sammeln sich dort die Studenten zur Junirevolte, unter ihnen der junge Marius (Eddie Redmayne), der sich in Cosette (Amanda Seyfried) verliebt.

Eines der grundlegenden Probleme des Musical-Genres ist der Einfluss, den spontane Gesangseinlagen auf den Fluss einer Geschichte ausüben. Fängt eine Figur an, opernhaft ihre Gefühle und Gedanken singend zu äussern, steht die Dramaturgie still. Entsprechend überraschend ist es, dass Les Misérables diese Schwierigkeit mühelos überwindet. Indem sich Regisseur Tom Hooper (The King's Speech) an das originale Konzept des Musicals von Alain Boublil, Claude-Michel Schönberg und Herbert Kretzmer – alle drei wirkten auch am Drehbuch mit – hält und überwiegend auf gesprochenen Dialog verzichtet, wird der Gesang zum narrativen Medium, wodurch die Handlung gar nicht erst unterbrochen werden kann.

Spiel mir das Lied vom Tod: Der Ex-Sträfling Jean Valjean (Hugh Jackman) versucht vergeblich, die arme Fantine (Anne Hathaway) zu retten.
Doch bekanntlich hat jede Medaille zwei Seiten. Während der Erzählfluss zwar davon profitiert, dass sich die Darsteller mittels – mitunter arg gestelztem – Sprechgesang austauschen, verliert die Victor Hugos Geschichte innewohnende Tragödie jegliche Geltung. Wenn Fantine im internationalen Hitsong "I Dreamed a Dream" von ihrem Elend singt, dann täuschen weder ihre schrille Alt-Stimme noch ihre prominent in Szene gesetzten Tränen über die offenkundige Künstlichkeit der Szene hinweg; die Emotion wirkt zu unecht, um wirklich zu bewegen.

An diesem Manko scheitert letztlich der ganze Film. Als nach rund der Hälfte der Laufzeit (geschlagene 158 Minuten) die Exposition endgültig abgeschlossen ist, stellt sich Langeweile ein. Die Handlung verlagert sich von Valjean und Javert auf die eher eindimensionalen Figuren Marius und Cosette; das oberflächliche Charakterdrama macht einer schleppenden Kriegsromanze Platz, in der Politisches wie Privates stets uninteressant bleibt. Einzig die opulenten Designs von Ausstattung und Kostümen vermögen in der zweiten Hälfte zu erfreuen, obgleich ihr Wert unter Danny Cohens unausgeglichener Kameraarbeit leidet. Ist die ganze Chose schliesslich zu Ende, bleibt die Erkenntnis, dass die Tragödie als Filmmusical einfach schlecht funktioniert (anders als die Oper in der Künstlichkeit der Bühnenwelt). Wie definierte doch Donald O'Connor in Singin' in the Rain einst die Aufgabe des Genres? "Make 'em laugh!".

★★

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