Sonntag, 8. Februar 2009

The Big Lebowski

"What the fuck?!" Das Gesicht spricht Bände. Der Dude (Jeff Bridges) sitzt an der Bar und gönnt sich eine Pause. Immerhin führt er ein anstrengendes Leben. Bowlen, nichtstun und entführte Millionärsgattinnen retten fordert seinen Preis.

6 Sterne

Kultfilme im negativen Sinne wurden an dieser Stelle ja bereits mit Plan 9 from Outer Space abgehandelt. Sucht man nach Kultfilmen, die sich aufgrund ihrer Genialität grosser Beliebtheit erfreuen, landet man schnell bei The Big Lebowski von Joel und Ethan Coen. Als der Film 1998 erschien, war er ein enormer Flop und Filmfreunde allüberall fragten sich, was nach dem hochgelobten Fargo schiefgelaufen sei. Doch nach und nach bildete sich eine riesige Fangemeinde, die die Sprache und die Sprüche aus dem verqueren Anti-Abenteuer übernahm und so den Film zu einem definierenden Werk der 1990er Jahre machte.

Stellt man The Big Lebowski in einen grösseren Zusammenhang - in die Filmografie der Coens, die bis heute 13 Filme zählt - weiss man zunächst nicht, was daran so besonders speziell ist. Thematisch vereint er fast alle stilistischen Faktoren, die das Werk der beiden Regisseure einzigartig machen. Die Charaktere haben nicht die geringste Ahnung, worum es gerade geht, Geld spielt eine Rolle, eine Entführung findet statt - oder etwa doch nicht? - und finstere Machenschaften sind am Werk - die Pornoindustrie in diesem Fall. Nimmt man den Film aber genau unter die Lupe, erkennt man, dass die Faktoren hier einerseits schamlos bis ins Extreme gesteigert wurden und dass andererseits hier die buchstäbliche Verrücktheit der Coens einen Höhepunkt erreicht hat. Zwar ist das Prinzip der Verdummung bei den beiden schon seit ihrem ersten Film bekannt, doch The Big Lebowski schlägt dem Fass wohl den Boden aus. Auf ernstere Projekte folgten meistens lustige, eher unkonventionelle Streifen, deren Hauptzweck einzig und allein darin zu bestehen schien, die Regisseure zu erheitern. Diese Einstellung gegenüber dem Filmemachen ist wohl auch einer der Gründe, wieso die Coen-Brüder eine derart grosse Gefolgschaft hinter sich wissen. Dies ist auch hinter The Big Lebowski spürbar. Der Film dauert fast zwei Stunden und er läuft ohne grössere Pausen mit einem sehr hohen Tempo. Wenn man ihn sich nur einmal zu Gemüte führt, ist es ein hoffnungsloses Unterfangen, die Geschichte gänzlich nachzuvollziehen. Es wird zwar nicht aus verschiedenen Perspektiven erzählt und keiner der Akteure hat einen mentalen Schaden, was vielleicht die chaotische Story erklären könnte, aber dennoch ist die Geschichte derart vertrackt angelegt, dass man sich beim erstmaligen Visonieren vielleicht etwas dumm vorkommt. Fragen wie "Wer war jetzt der Böse?", "Gab es überhaupt einen Bösen?", "Was hat der Pornoproduzent mit der Sache zu tun?" und "Was hat jetzt das Wiesel im Bad verloren?!" sind nur natürlich. Nach und nach, ein erneuter Blick auf den Film sei jedem empfohlen, klaren die Wolken auf und man erkennt, dass sich The Big Lebowski, grob gesagt, um nichts dreht. Aber dieses Nichts wird mit einer Genialität präsentiert, dass einem der Atem stocken kann. Das Drehbuch der Gebrüder Coen schafft es, den Zuschauer in ein surreales, von schrägen Typen bevölkertes Los Angeles zu entführen, in dem es ausser Reichen und Schönen, der Pornoindustrie, einer Bowlingbahn und ein paar Nihilisten nichts zu geben scheint. Auch die Einführung zahlloser Nebenfiguren - die Rolle des Detektivs dürfte noch lange ein Rätsel bleiben - macht The Big Lebowski zu dem, was er ist: Ein undurchsichtiges, durchgeknalltes Ideenfeuerwerk, welches seine Wirkung nicht verfehlt. Und wer sich sagt, die von Quentin Tarantino konzipierten Dialoge seien meisterhaft, dem sollte einmal The Big Lebowski vorgelegt werden. Das Skript ist ein Beispiel meisterhafter schriftlicher Balance. Hauptdarsteller Jeff Bridges erinnert sich einem Interview, dass es bei den Coens unmöglich sei, ein "Fuck!" dazuzudichten, ohne den Satz unausgewogen klingen zu lassen. Zudem gibt es auch so schon mehr als genug Fucks zu bejubeln. Doch nicht nur die perfekte Wortsetzung des Drehbuchs begeistert. Sprüche wie "Over the line!!!", "Shut the fuck up, Donny!" oder "This is what happens when you fuck a stranger in the ass!" sind längst in die Alltagssprache gewisser Leute eingegangen, wurden allerdings nach dem Erscheinen des Films vornehmlich in Universitäten gehört. Denn bevor der Film zum allgemeinen Kulturgut wurde, geisterte er in den USA durch die Colleges und fand dort gehörigen Anklang. Jüngere Komiker wie beispielsweise Seth Rogen oder Jonah Hill erinnern sich, dass dieser Film ihr Leben auf irgendeine Weise verändert hat und dass sie ihm dafür dankbar seien. Wenn ein solcher Film nicht Kult ist, dann ist nichts Kult.

Die Schauspieler, die in The Big Lebowski agieren, sind ebenfalls eine Sache für sich. Jeff Bridges als Jeffrey Lebowski, besser bekannt als Dude, lebt den Alt-Hippie in jedem Fluchwort und in jedem Joint, den er sich reinzieht. Er betont oft, dass im Dude viel von ihm selber steckt, was ihm die Darstellung einfacher machte. Seine Schauspielpartner wurden wurden ebenso gelungen gecastet. Für den cholerischen Vietnamveteranen und Möchtegern-Juden Walter Sobchak könnte man sich keinen besseren als John Goodman vorstellen, die Rolle des schüchternen Donny scheint Steve Buscemi auf den Leib geschrieben worden zu sein, Sam Elliott macht sich hervorragend als Erzähler und niemand wäre für den schleimigen Diener Brandt besser geeignet als Philip Seymour Hoffman. Die weiteren, weitaus kleineren Rollen vermögen ebenfalls zu überzeugen, besonders David Huddleston als Titelfigur und Namensvetter des Dudes und Julianne Moore als feministische Künstlerin. Die beste unwichtige Figur des Films ist aber sicherlich John Turturro als schwuler Kinderschänder und Bowler Jesus Quintana. Sein Spruch "Nobody fucks with the Jesus!" ist legendär und sein dreiminütiger Auftritt - vor allem der erste Teil - gehört zum besten, was sich im reichen Fundus an absurden Szenen bei den Coens finden lässt. Und wer sehr gute Augen hat, dürfte unter den deutschen Nihilisten sogar noch Flea von den Red Hot Chili Peppers und in Juliannes Moores Atelier David Thewlis erkennen.
Was wäre The Big Lebowski ohne seine Musik? Würden die Träume des Dudes ohne Bob Dylans "The Man in Me" (auch im Vorspann) oder Mickey Newburys "Just Dropped In (To See What Condition My Condition Was In)" in der Version von Kenny Rogers dieselbe Wirkung haben wie mit? Wohl eher weniger. Der Soundtrack wurde von T-Bone Burnett hervorragend ausgewählt und grandios eingesetzt. Kein Song erscheint überflüssig oder gesucht. Die Kameraführung, die sich meist mit der Musik verbindet, verdient ebenfalls eine Erwähnung, zumal es sich beim Kameramann um Roger Deakins handelt.

Eine zentrale Frage wurde bisher noch nicht beantwortet. Was ist The Big Lebowski? Eine Komödie, ein Thriller, ein Krimi, eine Satire oder eine Groteske? Und wie so oft muss die Antwort "Von allem etwas" heissen. Es gibt durchaus Zeitgenossen, die dem Film vorwerfen, er wäre weder Fisch noch Vogel. Doch ist es nicht genau das, was ihn so ungalublich einzigartig macht? Wäre er ohne seine Sprunghaftigkeit, seinen mannigfaltigen Humor und sein gemeines Ende nicht halb so genial? Wieder einmal lautet die Antwort "Jeder für sich selbst", denn The Big Lebowski ist in erster Linie Geschmackssache. Anders kann es gar nicht sein.

Die Meinung dieses Kritikers ist klar: The Big Lebowski gehört zu den besten Filmen aller Zeiten. Der Humor, die Figuren und die einzigartige Geschichte machen den Streifen zu einem einzigen Genuss und geben einem ein seltsam angenehmes Gefühl der Sinnlosigkeit. Wir sehen dem Dude und seinen Freunden zu, wie sie etwas anpacken, was eine Nummer zu gross für sie ist, sie merken es, machen aber trotzdem weiter, sie erleiden Verluste, doch ihre Stimmung wird im Grunde genommen nie getrübt. Es endet sowieso alles wieder auf der Bowlingbahn. Dass viele Menschen sich zu dieser Lebenseinstellung hingezogen fühlen, lässt sich problemlos nachvollziehen.

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