Freitag, 3. Juni 2011

The Tree of Life

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Trotz einer Filmografie von nur fünf Filmen zählt Terrence Malick zu den grossen Filmästheten Hollywoods und wurde eben mit der Palme d'Or in Cannes für The Tree of Life ausgezeichnet. Darin stellt er die Frage nach dem Sinn des Lebens und zeigt einmal mehr, dass sein Stil Geschmackssache ist.

In seinem neuesten Werk gibt der enigmatische Kultregisseur Terrence Malick (The Thin Red Line, The New World) auf epische Art und Weise seine gottesfürchtige, pantheistisch anmutende Interpretation des Lebens zum Besten: Einerseits geht er auf das scheinbar idyllische Leben der texanischen 50er-Jahre-Vorstadtfamilie O'Brien ein, in dem der Konflikt zwischen Sohn Jack (Hunter McCracken) und dem herrischen Vater (Brad Pitt) schwelt, der Jack schliesslich dazu bewegt, Gottes Existenz anzuzweifeln. Andererseits lässt er in der Jetztzeit einen erwachsenen Jack (Sean Penn) sich auf die Suche nach spiritueller Erlösung begeben, da dieser von der Erinnerung an seinen im Vietnamkrieg gefallenen Bruder gequält wird. Zwischen diesen teils traumartigen Sequenzen – wunderschön gefilmt von Emmanuel Lubezki – finden sich ausufernde, teilweise sogar atemberaubende HD-Einstellungen von Galxien, Sternennebeln und irdischen Naturwundern wie Wasserfällen sowie (nicht sonderlich gut animierten) Dinosauriern. Nur leider genügen diese nicht als Ersatz für eine emotional wie intellektuell anregende Geschichte.

Anstatt seine philosophischen Ambitionen in eine Erzählung einzubetten – wie zum Beispiel ein Jim Jarmusch in The Limits of Control – belässt Malick es bei seinen Markenzeichen, denen er alles unterordnet: Szenen relativ lose aneinander zu reihen, Dialoge grossflächig durch geflüsterte Voiceovers zu ersetzen, symbolische Naturbilder in den Film zu integrieren und Charaktere nur sporadisch agieren zu lassen. Vor allem Letzteres ist dem Genuss des Films abträglich. Obwohl die Entwicklung der O'Briens en détail geschildert wird, angefangen bei der Geburt des ältesten der drei Söhne, hat man als Zuschauer keine emotionale Beziehung zu ihr, da sie einem nur schemenhaft bekannt ist. Auch Sean Penns Handlungsstrang vermag diesbezüglich nicht zu überzeugen: Penn verbringt seine spärliche Screentime vor allem damit, Lift zu fahren und mehr oder minder ziellos durch gläserne Bürogebäude und felsige Küstenlandschaften zu laufen. Dass dahinter kalkulierter Symbolismus steckt, ist offensichtlich, stärkt aber das Interesse des Kinogängers, der kein Malick-Fan ist, am Schicksal des erwachsenen Jack O'Briens nicht.

Mr. O'Brien (Brad Pitt) beschäftigt sich mit seinen Söhnen.
Diese Art des Erzählens geht stellenweise sogar so weit, dass The Tree of Life mehrmals wie die Parodie eines Autorenfilms wirkt. Dies liegt wohl auch daran, dass Malick sich in seiner Mission, das Leben, ja die Existenz von Zeit und Raum an sich, darzustellen, absolut ernst nimmt und sich konsequent gegen das Aufkommen jeglichen Humors und jeglicher Ironie stemmt. Dass das durchaus möglich wäre, haben die Brüder Joel und Ethan Coen vor gut einem Jahr mit A Serious Man bewiesen, der, genauso wie The Tree of Life, die Gottesfrage stellte. Doch Malick scheint sich in seiner Rolle als visionärer und tiefgründiger Filmkünstler zu sehr zu gefallen, um Leichtigkeit zuzulassen. Sporadische Lacher sind eher unfreiwilliger Natur und werden entweder durch eine der übertrieben bedeutungsschwangeren, mit esoterischem Gesang unterlegten Aufnahmen des Tierreichs oder die allzu gesuchte Symbolik provoziert.

In einigen Punkten weiss The Tree of Life durchaus zu gefallen. Obwohl seine Story das Interesse des Zuschauers nicht wirklich zu wecken vermag, hat Terrence Malick in seinem Drehbuch einen angenehm fliessenden Rhythmus hinbekommen, welcher dafür sorgt, dass der Film, ausser in den letzten zehn Minuten, nie richtig langweilt. Von den Schauspielern bleibt vor allem Brad Pitt in Erinnerung, der als autoritärer Vater der 1950er Jahre, der seine Kinder dazu erzieht, ihn "Sir" zu nennen, vollends überzeugt und so wohl endgültig sein Schönling-Image abgelegt haben dürfte.

Bei The Tree of Life trifft der Spruch "Über Geschmack lässt sich nicht streiten" fast noch mehr als bei anderen Filmen zu. Wer ein Freund von Terrence Malicks Filmen ist oder sich zumindest mit seinen religiösen und philosophischen Ansichten identifizieren kann, wird seinem Opus magnum bestimmt einiges abgewinnen können. Sonst aber ist der Gewinner der Goldenen Palme 2011 nicht viel mehr als ein prätentiöser Egotrip eines polarisierenden Regisseurs. Mit Dinosauriern und Sternennebeln.

★★½

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