Samstag, 4. Juli 2015

Taxi

Seit fünf Jahren ist es dem iranischen New-Wave-Regisseur Jafar Panahi gerichtlich untersagt, Filme zu drehen. Die islamische Obrigkeit, aufgrund deren Zensur Panahis Landsleute Abbas Kiarostami und Mohsen Makhmalbaf sich dazu entschlossen, ihre Heimat zu verlassen, glaubte in seinem Schaffen – darunter kritisch gefeierte Werke wie The White Balloon, The Mirror, Crimson Gold und Offside – unsittliche und staatsfeindliche Tendenzen festzustellen, weshalb sie ihm nach mehreren Verhaftungen im Dezember 2010 ein 20-jähriges Berufs- und Ausreiseverbot erteilte. Sein Schicksal steht sinnbildlich für das repressive Klima, mit dem iranische Künstler zu kämpfen haben.

Doch selbst unter solch prekären Umständen hat Panahi Mittel und Wege gefunden, seiner Leidenschaft für das Filmemachen Ausdruck zu verleihen – wenn auch unter beträchtlichem Risiko für seine eigene Sicherheit und jene aller Mitwirkenden. 2011 wurde This Is Not a Film, eine heimlich gedrehte Dokumentation über Panahis Warten auf seine Verurteilung, auf einem in einen Kuchen eingebackenen USB-Stick ans Filmfestival von Cannes geschmuggelt; kurz darauf wurde Kameramann und Co-Regisseur Mojtaba Mirtahmasb in Polizeigewahrsam genommen. Das Drama Closed Curtain führte 2013 zur Konfiszierung der Reisepässe von Hauptdarsteller und Co-Regisseur Kambozia Partovi sowie Schauspielerin Maryam Moqadam.

Im Unterschied zu seinen beiden Vorgängern ist Taxi mehr oder minder als Einmannprojekt verwirklicht worden: Panahi zeichnet für Regie, Drehbuch, Produktion und Schnitt; auf einen Abspann verzichtet er. Trotz einer Fülle von Figuren wird ausser Panahis Namen einzig derjenige seiner Nichte Hana Saeidi preisgegeben, welche ihren Onkel bei der diesjährigen Berlinale vertrat. Doch auch der Schauplatz hat sich im Vergleich zu This Is Not a Film und Closed Curtain verändert: Wurden diese beiden in Panahis Appartement sowie in einem anonymen Haus gedreht, wagte sich der 54-Jährige in Taxi, getarnt als Taxifahrer, auf die Strassen Teherans.

Trotz Berufsverbots drehte Regisseur Jafar Panahi (rechts) seinen neuen Film auf den Strassen Teherans, getarnt als Taxifahrer.
© filmcoopi
Es ist ein tollkühnes Unterfangen, das der Zuschauer hier vorgesetzt bekommt. Die Tatsache, dass Panahis mit Kameras ausgestattetes Gefährt jeden Moment von der Polizei hätte angehalten werden können – was zu seiner sofortigen Verhaftung geführt hätte –, lässt einen letztlich vergessen, dass Taxi weder schauspielerisch noch erzählerisch über sämtliche Zweifel erhaben ist. Ja, der Amateurstatus ist diversen Schauspielern anzumerken; derweil die Dialoge bisweilen ins allzu Künstliche und Konstruierte abzurutschen drohen. Doch den Eindruck, den dieses spielerisch vorgetragene Husarenstück hinterlässt, vermögen diese vereinzelten Störfaktoren kaum zu schmälern.

Taxi zeigt, wie Panahi Vertreter aller Gesellschaftsschichten durch die Teheraner Innenstadt chauffiert, vom bekennenden Strassenräuber und dem gesprächigen kleinwüchsigen Hehler verbotener Filme aus dem Ausland über den kürzlich ausgeraubten Geschäftsmann und zwei abergläubische Frauen mit einem Goldfischglas bis hin zum verunfallten Armen, der darauf besteht, vor einer iPhone-Kamera sein Testament abzulegen. Gesprochen wird über die Moral von Exekutionen, die rigorosen Regeln, denen iranische Schüler und Filmstudenten zu folgen haben ("Keine Guten mit Krawatten. Keine Guten mit persischen Namen"), die Nachfrage nach internationaler Filmkultur ("Once Upon a Time in Anatolia von Nuri Ceylan? Habe ich natürlich"), Panahis Alltag unter seinem Berufsverbot – mehr als einmal wird er gefragt, ob er nun als Taxifahrer endgültig am Boden angelangt sei.

Unter Panahis nicht namentlich erwähnten Fahrgästen befinden sich zwei alte Frauen, die zwei Goldfische in einer Quelle aussetzen wollen.
© filmcoopi
Durch seine augenscheinliche Skript-Dialog-Treue büsst der ausgesprochen selbstreflexive Film zwar etwas von seiner suggerierten Unmittelbarkeit ein – die Tatsache, dass man ihn als Kinozuschauer überhaupt zu Gesicht bekommt, belegt, dass Panahi während der Dreharbeiten nicht erwischt wurde –, wirft jedoch gleichzeitig spannende Fragen über die Natur der Wirklichkeit auf, mit der man konfrontiert wird. Basieren die gespielten Diskussionen auf realen Konversationen? Wie viel davon, wenn überhaupt, ist improvisiert? Es sind Ansätze, wie man es von Abbas Kiarostami kennt: Wie wahr war die unglaubliche, aber angeblich faktenbasierte Verwechslungsgeschichte in Close-Up (1990)? Kann eine Fälschung wirklich ein eigenständiges Original sein, wie in Copie conforme (2010) postuliert wurde?

Letztendlich pflegt Panahi, wie schon so oft in seiner Karriere, hier die "sanfte Subversion", vergleichbar etwa mit derjenigen Luis Buñuels. Gerade in seiner Figurenzeichnung balanciert sein Film mit makelloser Eleganz auf dem schmalen Grat zwischen realitätsnahem Naturalismus und überspitzter Persiflage. Viele der Charaktere bewegen sich nahe an der Karikatur, ohne jedoch ins Lächerliche gezogen zu werden; ihre Marotten werden mit wohlwollender Ironie inszeniert. Taxi ist ein hochgradig unterhaltsamer, nicht selten urkomischer, von Galgenhumor durchsetzter Querschnitt durch die vielfältige Teheraner Gesellschaft, die sich zwar mitunter auf Religion und Scharia beruft, schlussendlich aber, so scheint es, kaum Interesse daran hat, Künstler hinter Gittern zu sehen. Panahi begegnet der iranischen Zensur einmal mehr nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit hintersinnigem Humor. Bravo.

★★★★★

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