Donnerstag, 7. November 2013

The Fifth Estate

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.

Hollywood konnte nicht warten: Noch während der australische Hacker und WikiLeaks-Gründer Julian Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London festsitzt, ist bereits ein Film über ihn erschienen. The Fifth Estate ist dynamisch, aber erwartungsgemäss halbgar.

Noch vor drei Jahren war die WikiLeaks-Website, auf der Whistleblower aus aller Welt streng geheime, weil belastende, Regierungs-, Militär- und Geschäftsinterna ohne Furcht um ihre persönliche Sicherheit ausplaudern konnten, in aller Munde. Es schien, als würde wöchentlich wieder ein Staatsoberhaupt oder ein Unternehmensmogul durch die Enthüllungen der Seite in Bedrängnis gebracht. Die Leaks der US-Soldatin Chelsea Manning deckten hässliche Episoden aus den amerikanischen Kriegen im Irak und in Afghanistan auf. Julian Assange, so schien es, war einer der einflussreichsten Männer der Welt, unterstützt in seiner Mission für totale Informationsfreiheit von hochrangigen Publikationen wie Guardian und Spiegel. Inzwischen hat der Wind gedreht: Vergewaltigungsvorwürfe und ein internationaler Haftbefehl zwangen den weisshaarigen Exzentriker ins politische Exil; das Bild des Kämpfers für transparente, rechenschaftspflichtige Politik wich dem des egomanischen Frauenfeindes; der Amerikaner Edward Snowden stieg zur neuen Gallionsfigur der Leaker-Gemeinde auf.

Man kann dies, wie viele WikiLeaks-Verehrer, für eine perfide Hetzkampagne halten; man kann darin auch die (gerechtfertigte?) Entthronung eines heuchlerischen Moralapostels sehen. Dass sich The Fifth Estate in dieser Frage nicht endgültig festlegt, gehört zu seinen grössten Verdiensten. Für Regisseur Bill Condon und Autor Josh Singer ist Assange (der den Verfassern beider Bücher, auf denen der Film basiert, mit einer Klage drohte) zugleich ein Pionier und eine Ikarus-Figur: Mit der Gründung von WikiLeaks hat er eine revolutionäre "fünfte Gewalt" geschaffen, welche ihren Teil zu einer besseren, offeneren Welt beitragen kann, gegen deren Maximen er mit seinem beträchtlichen Ego – und seinem Beharren darauf, Dokumente ohne Kürzungen, also ohne Schwärzung der Namen gefährdeter Personen, zu veröffentlichen – verstossen hat.

Daniel Domscheit-Berg (Daniel Brühl, rechts) geht dem WikiLeaks-Gründer Julian Assange (Benedict Cumberbatch) beim Veröffentlichen von Whistleblower-Berichten zur Hand.
© Ascot Elite
Dramaturgisch folgen Condon und Singer dabei der Formel des IT-Biopics, wie sie David Fincher und Aaron Sorkin 2010 in The Social Network etabliert haben. Ohne jemals das Niveau dieses Subgenre-Meisterwerks zu erreichen – aber auch ohne sich je den Tiefen von Joshua Michael Sterns amateurhaftem Schmierentheater Jobs zu nähern –, erzählen auch Condon und Singer vom Zerwürfnis zweier einst befreundeter Mitstreiter. 2007 schliesst sich der deutsche Hacker Daniel Domscheit-Berg (Daniel Brühl) dem Feldzug Assanges (brillant verkörpert vom Briten Benedict Cumberbatch) an, beflügelt von den frühen Erfolgen von WikiLeaks, darunter der Aufdeckung illegaler Machenschaften bei der Schweizer Privatbank Julius Baer. Doch Assange ist, anders als Domscheit-Berg, nicht gewillt, dauerhaft mit grossen Zeitungen zu kooperieren und sich mit deren Redaktionsauflagen zu arrangieren. Im Laufe der Manning-Affäre kommt es zum Bruch.

The Fifth Estate ist ein rasant vorgetragener Politthriller Marke Hollywood: Condon, der das unfilmische Milieu mit oft bizarren Spielereien – darunter der Entscheidung, Cumberbatch als Assange die Schluss-Texttafeln kritisieren zu lassen – attraktiv auf die Leinwand zu bannen versucht, schneidet im Eiltempo zwischen unzähligen Schauplätzen hin und her; innert weniger als zehn Minuten hat man als Zuschauer Berlin, London, Zürich, Liège und Nairobi besucht. Am Rande der Erzählung drängeln sich eine unnütze Liebesgeschichte, ein Subplot beim Guardian (mit Peter Capaldi und David Thewlis) sowie Schaltungen ins US-Aussenministerium, wo eine Beamtin (Laura Linney) ihren Kollegen (Stanley Tucci, Anthony Mackie) den Einfluss Assanges erläutert ("It's a huge media empire!", "Welcome to the revolution!"). Condon und Singer mag es damit zwar gelingen, die Faszination WikiLeaks zumindest ansatzweise wieder aufleben zu lassen, doch eine sonderlich befriedigende Geschichte finden sie nie.

★★★

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