Dienstag, 29. Januar 2013

Quartet

Gut Ding will Weile haben. Besser lässt sich die Geschichte von Dustin Hoffmans Regiedebüt kaum umschreiben. Erstmals nahm der Schauspieler im Alter von 41 Jahren auf dem Regiestuhl Platz, 1978 auf dem Set des Krimidramas Straight Time. Nachdem dieses Experiment misslang und er seinen Posten an Ulu Grosbard weitergegeben hatte, vergingen 34 Jahre, bis er es erneut versuchte. Und dieses Mal hielt er durch. Quartet heisst der Film, eine milde Alterskomödie mit dem Herz auf dem rechten Fleck.

So wie es in Mailand die von Giuseppe Verdi höchstselbst gegründete Casa die Riposo per Musicisti gibt – das Thema von Daniel Schmids Dokumentation Il bacio di Tosca –, steht in Quartet irgendwo im ländlichen England das Beecham House, das es pensionierten Stars aus der Welt der klassischen Musik ermöglicht, ihren Lebensabend unter ihresgleichen zu verbringen. Unter den Bewohnern befinden sich auch die drei Freunde Wilf (Billy Connolly), Reg (Tom Courtenay) und Cissy (Pauline Collins), die sich, wie ihre Kollegen, auch dieses Jahr auf Giuseppe Verdis Geburtstag freuen. Zu dessen Ehren findet nämlich jeweils ein Konzert unter der Regie des selbstgefälligen Cedric (Michael Gambon) – Aussprache: "Ceedric" – statt, mit dessen Einnahmen das Fortbestehen von Beecham House gesichert wird. Als die berühmte Ex-Diva Jean Horton (Maggie Smith) einzieht, kommen Wilf und Cissy auf die Idee, mit ihr und Reg das Rigoletto-Quartett zum Besten zu geben. Doch nicht nur hat sich Jean geschworen, nie mehr zu singen; Reg ist seinerseits nie darüber hinweggekommen, dass Jean ihm einst das Herz gebrochen hat.

Das Alter ist jüngst unverhofft zu einem beliebten und überraschend lukrativen Filmthema geworden – von den Alters-WGs in The Best Exotic Marigold Hotel und Et si on vivait tous ensemble? bis hin zu ernsthaften Auseinandersetzungen wie Amour, A Late Quartet oder Quelques heures de printemps. Dustin Hoffmans Projekt gehört zu Ersteren. Die Adaption des Theaterstücks von Ronald Harwood, der auch gleich die Verantwortung für das Drehbuch übernahm, ist zwar voller bittersüsser Melancholie, doch wirkliche Konsequenzen werden nicht gezogen. Jean schmerzt zwar die Hüfte, Wilf kann seit einem leichten Schlaganfall nicht mehr kontrollieren, was er sagt – sagt er zumindest –, Cissy wird zunehmend vergesslicher und verwirrter; einzig Reg ist der Meinung, den Übergang vom Mann zum "Old Fart" einigermassen würdevoll hinbekommen zu haben – von der enttäuschten Liebe einmal abgesehen. Doch der Tod ist in Quartet so fern wie allfällige Verwandte: Man weiss, dass es ihn gibt und dass er eines Tages kommen wird, aber man weiss auch aus eigener Erfahrung, dass dies noch ein Weilchen dauern könnte.

Das ehemalige Ehepaar Jean (Maggie Smith) und Reg (Tom Courtenay) wird im Beecham House, einer Altersresidenz für Musiker, wieder zusammengeführt.
Doch zu sagen, der Film sei in seiner Leichtigkeit, Oberflächlichkeit und relativen Konfliktlosigkeit nicht mindestens unterhaltsam, würde der Wahrheit nicht gerecht. Der unerschütterliche britische Schauspiel-Adel, der sich hier die Ehre gibt, ist Grund genug, Quartet zu loben, auch weil Hoffman seinen Cast sinnvoller und weniger verschwenderisch einsetzt als etwa John Madden in The Best Exotic Marigold Hotel. Manche Witze sind nicht lustig, manche Situationen und Figuren sind längst ausgereizte Klischees und dem Ganzen haftet eine Atmosphäre des Antiquierten an, die mal für, mal gegen den Film spricht. Aber wenn Billy Connolly und Tom Courtenay (Billy Liar) wieder zu ihrem bewährten Geflachse anheben ("Rap's here to stay" – "I don't think so" – "That's what you said about The Beatles"), Pauline Collins und Maggie Smith sich über andere Operndiven auslassen oder der wunderbar unerträgliche Michael Gambon dem armen Andrew Sachs (Hotelpage Manuel aus Fawlty Towers, mittlerweile 82 Jahre alt) im Stile Basil Fawltys die Ideen klaut, dann fällt es schwer, nicht in gute Laune versetzt zu werden.

Trotz einiger wahrlich berührender Momente, überwiegend mit der streckenweise an Gloria Swansons Norma Desmond in Sunset Boulevard erinnernden Maggie Smith im Mittelpunkt, ist Quartet in erster Linie eine Komödie, eine laue Brise von einem Film: angenehm, unerheblich, harmlos. Als etwas anderes als Dustin Hoffmans lange verschobenes Regiedebüt wird sie nicht in die Filmgeschichte eingehen. Für seinen Regisseur darf der Film vorsichtig als Erfolg gewertet werden, wenn auch am Schluss, vor allem im Hinblick auf das abrupte Non-Ende, die – erhebende – Erkenntnis bleibt, dass man auch mit 75 Jahren noch Anfängerfehler machen kann.

★★★

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