Mittwoch, 11. Januar 2012

Throne of Blood

Verfilmungen von den Theaterstücken William Shakespeares gibt es viele. Während sich einige ganz genau an Originaltext und -setting halten (Kenneth Branaghs Henry V, Laurence Oliviers berühmte Trilogie, bestehend aus Hamlet, Richard III und Henry V), interpretieren andere den zeitlichen Hintergrund wie die Figurenkonstellation um (Titus und The Tempest von Julie Taymor). Doch nicht nur die amerikanische und europäische Filmindustrie hat viele bemerkenswerte Adaptionen von Werken des Barden hervorgebracht. Zwei der bekanntesten aus einem "exotischen" Land stammen vom japanischen Meisterregisseur Akira Kurosawa (Rashomon, Seven Samurai), oftmals als "Tenno", Kaiser, des Kinos bezeichnet. Ran wurde 1985 gedreht und ist ein Jidaigeki-Epos nach King Lear; Throne of Blood erschien 1957 und basiert auf Macbeth – beide wurden ins feudale Japan der Samurais transponiert. Kumonosu-jō, wie Letzterer im Original heisst, ist nicht nur eine der besten Shakespeare-Interpretationen, sondern auch ein Musterbeispiel für die Klasse von Kurosawas Filmkunst.

Es beginnt mit der starken, von den traditionellen Klängen Japans inspirierten Musik Masaru Satōs, die einem einen Schauer über den Rücken laufen lässt. Das erste Bild ist unverkennbar eines von Kurosawa: eine karge, von Nebelschwaden verhangene Landschaft, im Hintergrund zeichnet sich ein Hügel ab, der Wind heult und ein gespenstischer Chor, begleitet von Satōs Score, führt mit einem Klagelied über Krieg, Verrat und Machtgier ein in die nachfolgende Geschichte. Die Generäle Yoshiaki Miki (Minoru Chiaki) und Taketoki Washizu (der legendäre Toshirō Mifune) haben einen Aufstand wider Erwarten niedergeschlagen und werden von Fürst Kuniharu Tsuzuki (Hiroshi Tachikawa) ins als unneinnehmbar geltende Schloss im Spinnwebwald gebeten. Auf dem Weg verlaufen sich die Freunde im dunklen Wald, welcher der Festung ihren Namen gibt, und stossen auf einen von Skeletten umgebenen Geist (Chieko Naniwa), der ihnen vorhersagt, beide Männer würden noch am selben Tag befördert – Miki zum Herrn der Ersten Feste, Washizu zum Vorsteher der nördlichen Befestigung – und Washizu würde in naher Zukunft sogar so weit aufsteigen, dass er Tsuzuki als Fürst des Spinnwebschlosses ablösen würde. Als die ersten Prophezeiungen tatsächlich eintreten, drängt Washizus Frau Asaji (Isuzu Yamada) ihren Ehemann dazu, Tsuzuki zu stürzen.

Chieko Naniwa als Waldgeist.
Einer der beachtlichsten Aspekte an Throne of Blood ist die Art, mit der hier drei unterschiedliche Theatertraditionen zusammengeführt werden. Die euopäische Grundlage trifft auf die fernöstlichen Kabuki- und Nō-Techniken, wodurch ein durch und durch harmonisches Ganzes entsteht. Die Geschichte weicht zwar in einigen Punkten von Shakespeares Original ab, bewahrt aber Sinn und Geist von Macbeth ohne jeglichen Verlust von Subtext. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Film kein eigenständiger ist. Im Gegenteil, das Motiv der Intrigen unter den herrschenden Kasten fügt sich hervorragend ins Feudalwesen des spätmittelalterlichen Japans ein, eines von Kurosawas bevorzugten Settings, welches hier mit grossartiger Ausstattung und elaborierten Kostümen rekonstruiert wird. Zudem ist Toshirō Mifune zweifelsfrei einer der stärksten Macbeths, die man je auf der Leinwand erleben durfte, auch wenn er hier Washizu heisst. Seine Performance ist nuanciert, kraftvoll und wahrhaft bedrohlich. In jeder Szene spiegeln seine sprichwörtlichen stechenden Augen Angst und Verunsicherung wider; jedoch werden diese Gefühle stets verschleiert, mal von Wut, mal von übertriebener Selbstsicherheit.

Die formalen Elemente wiederum, jedes einzelne, zeugen von der aussergewöhnlichen Gestaltungskraft des Regisseurs. Jede der meist langen Einstellungen von Kameramann Asakazu Nakai hat ihren Zweck und wirkt genauestens überlegt; die Ästhetik von Bildkomposition und Cadrage sind, wie üblich bei Kurosawa, unübertroffen; die Inszenierung ist magistral. Es wundert nicht, dass die ikonische, genial gemachte Schlussszene mit Washizu im Pfeilregen häufig zu den besten, weil eindringlichsten Todesszenen der Filmgeschichte gezählt wird. Überdies kreiert Throne of Blood mit seinen fesselnden Bildern und der brillanten Montage eine kraftvolle, gespenstische Atmosphäre. So erhalten vor allem die übernatürlichen sowie die übernatürlich anmutenden Szenen eine äusserst unheimliche Komponente – etwa wenn der Geist der Waldhexe, von Chieko Naniwa herausragend gespielt, seine Vorhersagen macht, sei es ruhig und scheinbar verträumt, worauf die Figur Boonsong in Apichatpong Weerasethakuls Uncle Boonmee Who Can Recall His Past Lives zurückgreift, sei es wild und dämonisch wie in seinem letzten Auftritt; oder wenn der Spinnwebwald in einer der beeindruckendsten, obgleich einfachsten Einstellungen schlussendlich tatsächlich wandert.

Der Macbeth-Charakter Washizu (Toshirō Mifune) kurz vor seinem Tod.
Was ist ein Meisterwerk? Ist es eine originelle Geschichte, meisterhaft inszeniert und präsentiert? Ist es das einwandfreie, aber gleichzeitig unabhängige Verfilmen von grandiosem Quellenmaterial? Im Falle von Throne of Blood trifft beides zu. Ob es sich dabei um Akira Kurosawas Besten handelt, darüber liesse sich lange diskutieren; immerhin weist das Œuvre des Regisseurs zahlreiche weitere Filme auf ähnlich hohem Niveau auf – man denke an Seven Samurai, Ikiru oder Yojimbo. Für sich alleine ist Kumonosu-jō jedenfalls eine der bedeutendsten cineastischen Shakespeare-Adaptionen sowie eines der grossen Werke des Kinos selbst.

★★★★★★ 

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