Samstag, 11. April 2009

Je ne suis pas là pour être aimé

Tanzschritte wollen geübt sein: Jean-Claude (Patrick Chesnais) lässt sich einen besonders schwierigen Schritt von Françoise (Anne Consigny) erklären.

6 Sterne

Eines der am meisten verkanntesten Filmländer Europas ist zweifellos Frankreich. Das Land, welches uns Regisseure wie Marcel Carné, Jean-Pierre Melville, Claude Chabrol oder René Clément - eine mehr als nur unvollständige Aufzählung - gebracht hat, führt neben der amerikanischen und britischen Filmindustrie ein unverdientes Schattendasein. Besonders auch im deutschsprachigen Raum stossen französische Projekte gerne auf taube Ohren. Die Ausnahme bildete 2008 Bienvenue chez les Ch'tis, da dieser in Frankreich alle Rekorde brach. Stéphane Brizés kleiner Film Je ne suis pas là pour être aimé hingegen ist ein Beispiel eines französischen Films, der erst spät in der Schweiz ins Kino kommt und dann erst noch keine Seele anlockt - was nur einmal mehr beweist, dass sich Qualität nicht am Umsatz messen lässt.

Die Story von Je ne suis pas là pour être aimé mag einem auf den ersten Blick etwas einfach, wenn nicht sogar banal vorkommen. Ein Mann hat kein besonders tolles Leben, er nimmt Tanzstunden und lernt eine jüngere verlobte Frau kennen. Dass allein dies den durchschnittlichen Kinogänger schon abzuschrecken vermag, ist eine traurige Entwicklung.
Je ne suis pas là pour être aimé ist Geschmackssache, keine Frage. Der Film schlägt ein gemächliches Tempo an und geht es einmal rasant zu und her, dann wird Tango getanzt. Jede einzelne Tanzszene ist ungeschnitten und wird bis zum letzten Schritt gezeigt. Was sich während des Tanzens abspielt, zeugt von einer meisterhaften Regie. Die Gefühle der Protagonisten werden einem in diesen Szenen sehr subtil vor Augen geführt. Auch beim Drehbuch hat Stéphane Brizé, gemeinsam mit Juliette Sales, ganze Arbeit geleistet. Der Film kommt mit relativ wenig Dialog aus und setzt gekonnt auf das Mienenspiel der einzelnen Darsteller. In dieser Beziehung ist Patrick Chesnais schlichtweg umwerfend. Sein Jean-Claude ist ein schüchterner, innerlich aber sehr temperamentvoller Gallier der alten Schule. Chesnais und dem Nebendarsteller Lionel Abelanski ist es zu verdanken, dass einem Je ne suis pas là pour être aimé immer wieder ein Lächeln auf die Lippen zaubert. Ausserdem geht es hie und da mit einer herrlichen Lakonie zu, die nur die Franzosen (und vielleicht noch die Briten) derart trocken hinbekommen. Unterstützt wird Chesnais von einer starken Anne Consigny, mit der er bereits in Le scaphandre et le papillon vor der Kamera stand, und einem grummligen Georges Wilson. Besonders letzterer trägt viel zur Überzeugungskraft des Films bei. Brizé hat mit Jean-Claudes Vater, gespielt von Wilson, eine Figur geschaffen, die - analog zum Film selber - sehr nah am wahren Leben ist. Der Vater, der seine Gefühle, die er seinem Sohn gegenüber hegt, nicht zeigen kann, ist zwar kein neues Prinzip, wird in diesem Film aber auf eine derart intensive, tragische, doch gleichzeitig auch berührende Weise präsentiert, dass man Brizé dankbar ist, dass er diese Facette des Lebens ebenfalls anspricht. Das überzeugende Spiel von Georges Wilson setzt diesem Aspekt des Films letztendlich noch die Krone auf. Man kann vorbehaltlos zugeben, dass Chesnais, Consigny und Wilson ihre César-Nominationen mehr als verdient haben.

Das Erstaunliche an Je ne suis pas là pour être aimé ist, dass es Stéphane Brizé und Juliette Sales geschafft haben, in einen nur 93-minütigen Film so viele Seiten des Lebens zu packen, ohne dass dieser überladen wirkt. Brizés Film strotzt nur so vor Menschlichkeit und geht sorgfältig auf die verschiedenen Themen ein und behandelt sie alles andere als oberflächlich. Während des ganzen Films ist auch nie etwas von Kitsch oder Heuchelei zu spüren - eine grosse Leistung für einen Film, der unter anderem eine Romanze ist. Die Liebesgeschichte, die in Je ne suis pas là pour être aimé erzählt wird, erinnert sehr an Billy Wilders Meisterwerk The Apartment. In beiden Filmen wird in einer Art, die noch jeden mitzureissen vermag ohne grosse Sentimentalität die Möglichkeit einer unmöglichen Liebe thematisiert. Während The Apartment aber vor allem auf der satirischen Ebene funktioniert, legt Stéphane Brizé mehr Wert auf die Gefühlsentwicklung seiner Protagonisten. Auch in diesem Punkt ist sein Film sehr nah am wahren Leben. Sobald man einen verloren geglaubten Gegenstand wiederfindet, büsst dieser einen grossen Teil seines emotionalen Werts ein. Wie Patrick Chesnais diese komplizierte, aber dennoch höchst reale Entwicklung spielt, zeugt von seinem riesigen schauspielerischen Talent. Ein weiteres Kompliment verdiente sich die Person, die für die Choreografie zuständig war. Die Tanzszenen wurden nämlich mit viel Fachverstand inszeniert, das dürfte auch einem Laien, zu denen auch dieser begeisterte Kritiker gehört, auffallen.

Je ne suis pas là pour être aimé ist französisches Auteur-Kino auf höchstem Niveau. Regisseur Stépahne Brizé entführt den Zuschauer für 93 Minuten in die triste Welt von Jean-Claude und konfrontiert uns mit dessen Problemen und seinen Lösungen dafür. Den Film darf man wohl getrost als bisherigen Höhepunkt in Brizés Filmschaffen werten, da sein letzter Film - Entre adultes - angeblich nie die Klasse von Je ne suis pas là pour être aimé erreicht. Sollte jemand der Hollywood-Romanzen überdrüssig sein, dem sei Brizés Meisterstück von Herzen empfohlen. Grosse französische Gefühle im bescheidenen Rahmen - wie gemacht für den beginnenden Frühling.

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