Montag, 11. Dezember 2017

The Square

Als im Mai 2016 die Festivaljury von Cannes die Goldene Palme an I, Daniel Blake vergab, wurde das gemeinhin als politisches Statement gedeutet. Zu Recht, ist Ken Loachs Sozialdrama doch ein unmissverständliches Plädoyer für Menschlichkeit im Zeitalter des gnadenlosen Turbokapitalismus.

Ein Jahr später ging Cannes' höchste Ehre an The Square, den neuen Film des Schweden Ruben Östlund (Force Majeure). Und auch hier kam die Politik ins Spiel – unmissverständlich sogar: In seiner Laudatio nannte Jurypräsident Pedro Almodóvar die zweieinhalbstündige Satire ein Porträt der "Diktatur der Political Correctness".

Diese Beschreibung erinnert ein wenig an Östlunds Hauptfigur, den Stockholmer Museumskurator Christian (Claes Bang), der in einem Interview mit der Journalistin Anne (Elisabeth Moss) die Frage nach einem pseudointellektuell formulierten Katalogeintrag mit einem unzusammenhängenden Wortschwall beantwortet, der komplett am Thema vorbeizielt. Das ist The Square – ein pseudointellektueller Film, der seinem Publikum selbstzufriedenen Zynismus und pubertäre Apathie als politische Haltung zu verkaufen versucht.

Er erzählt von der Titel gebenden Ausstellung, an deren Planung Christian beteiligt ist. "The Square", eine klar gekennzeichnete Fläche von 16 Quadratmetern, soll "ein Ort des Vertrauens und der Fürsorglichkeit" sein. Innerhalb des Vierecks "haben wir alle dieselben Rechte und Pflichten".

Östlund, der Kritik an seinem Schaffen – gerade seinem Umgang mit geistig behinderten Figuren – gerne mit dem Verweis beiseite wischt, seine Satire richte sich gegen alles und jeden, parodiert in The Square einerseits die moderne Kunstwelt. Diese ist bekanntermassen ein leichtes Ziel: Hier werden horrende Summen für bisweilen frustrierend simple Bilder, Skulpturen und Konzepte hingeblättert. Hier können Künstler reich werden, ohne je Hand an ihre Werke gelegt zu haben. Hier sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt, lebt die Szene doch nicht zuletzt von der verschwurbelten Abenteuerlichkeit, mit der ihren Objekten Bedeutsamkeit eingeimpft wird. Der Schmähspruch "Es sagt so viel, indem es so wenig sagt" ist längst zum geflügelten Wort geworden.

Christian (Claes Bang) arbeitet als Kurator eines Stockholmer Kunstmuseums.
© Xenix Filmdistribution GmbH
Alle diese Punkte hakt der Film denn auch pflichtbewusst ab, ohne dabei aber wirklich die Oberfläche zu durchbrechen. Ein wackeliger Stuhlturm oder ein Raum voller Sandhügel dienen als satirisch aufgeladene Requisiten; die Planungssitzungen, denen Christian beiwohnt und in denen nach möglichst reisserischen Vermarktungsstrategien gesucht wird, zeichnen das Bild eines Milieus, in dem selbst die viel gelobte Spontaneität der Kunst einstudiert ist. Weh tut das niemandem. Es ist die "liberale Elite" – die biedere, nette, moderate Bourgeoisie –, die ein wenig über sich selbst lächelt, sich dabei aber zugleich für ungemein subversiv hält.

Ideologisch wenigstens ein bisschen fokussierter kommt der Teil des Films daher, in dem sich Christian mit Stockholms Unterschicht auseinandersetzen muss. Als ihm ein Trickbetrüger Handy und Portemonnaie stiehlt, lokalisieren er und sein Assistent (Christopher Laessø) Ersteres dank GPS in einem Wohnblock. Daraufhin schreiben die beiden einen Drohbrief, in dem sie die Wertgegenstände zurückverlangen, und verteilen ihn im entsprechenden Haus.

Im Zuge dieser Operation kommt Christian wiederholt mit Bedürftigen in Kontakt, denen er, wenn überhaupt, nur äusserst widerwillig hilft. Hier lotet The Square die angebliche Scheinheiligkeit der liberalen, bildungsbürgerlichen Oberschicht aus. Sie singt das hohe Lied von der Solidarität der Menschen, jedoch nur im theoretisch-künstlerischen Sinne: Sobald ausserhalb eines kontrollierten Rahmens wie "The Square" Nächstenliebe gefragt ist, verhalten sich Christian und Konsorten genauso kalt und abweisend wie die Konservativen, die sie dafür so gerne kritisieren.

Die neueste Ausstellung, für die Christian verantwortlich ist, nennt sich "The Square".
© Xenix Filmdistribution GmbH
Das Problem mit diesem Argument – und das Problem mit Östlunds Anspruch, Satire gegen alle zu machen – ist, dass The Square hochgradig absurder Strohmänner bedarf, um es überhaupt erst nachvollziehbar wirken zu lassen. Christians höfliche Gleichmut grenzt mitunter an Soziopathie; sein Verhalten wirkt dermassen künstlich, so sehr der Stossrichtung der Erzählung unterworfen, dass die daraus folgenden Interpretationen kaum von allgemeingültigem Wert sind. Östlund persifliert nicht die Gesellschaft, wie sie ist; er veräppelt die Gesellschaft, die er sich selber zurechtlegt. Wo Almodóvar einen Aufstand gegen die politische Korrektheit erkennt, findet sich hier lediglich eine ideologische Bankrotterklärung.

Darüber hinaus fehlt auch diesem Aspekt des Films jegliche Finesse, jegliche Subtilität. In zweieinhalb Stunden lernt das Publikum, dass Christian eine Ausstellung über menschliche Einigkeit kuratiert, diese Ideale in seinem Privatleben aber beharrlich ignoriert. Hier ist keine Tiefe zu finden, keinerlei Doppelbödigkeit – was man sieht, ist alles, was man bekommt. Und viel gibt es hier nicht zu sehen.

Während die Vorbereitungen auf "The Square" auf Hochtouren laufen, kommen sich Christian und die Journalistin Anne (Elisabeth Moss) näher.
© Xenix Filmdistribution GmbH
Insofern ist die Laufzeit von 150 Minuten nichts anderes als ein Akt der Selbstverliebtheit. Neben der offensichtlichen und uninspiriert vorgetragenen Satire wartet The Square vorab mit langen, peinlich berührenden Dialogszenen auf, die sich an der Cringe-Comedy Judd Apatows (Knocked Up, This Is 40, Trainwreck) zu orientieren scheinen. Einige davon mögen durchaus amüsante Momente enthalten, doch insgesamt blähen sie einen Film, der bestenfalls Stoff für 90 Minuten in petto hat, auf eine durch nichts zu verantwortende und ermüdende Länge auf.

Den einzigen Beleg, dass er der Palme d'or würdig ist, liefert The Square in seinem letzten Drittel. Eine aus praktisch jedem Zusammenhang gerissene Szene, in der ein Schauspieler (Hollywood-Stuntdarsteller Terry Notary) im Rahmen eines Performance-Kunstwerks einen aggressiven Menschenaffen mimt und auf die Gäste eines Gala-Banketts losgeht, liefert mehr an potenziellem Diskussionsstoff als alle anderen Sequenzen zusammen. Auf sich allein gestellt, gäbe sie einen brillanten Kurzfilm ab. So aber bleibt sie der einzige Höhepunkt in einem Langfilm zum Vergessen.

★★

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