Donnerstag, 3. September 2015

Straight Outta Compton

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.

Laut, wild und unberechenbar – so traten die Gangsta-Rap-Pioniere von N.W.A. ("Niggaz wit Attitude") in den späten Achtziger- und frühen Neunzigerjahren auf, und so präsentiert sich auch F. Gary Grays ausladendes Spielfilm-Porträt der Gruppe. Straight Outta Compton ist ein Musik-Biopic nach Mass.

Wie die beiden Alben, die N.W.A. während ihres fünfjährigen Bestehens (1986–1991) veröffentlichte, so sollte wohl auch diesen Film ein Warnhinweis zieren. Wurde auf den Musikträgern vor "explicit content", also vor Schimpfwörtern und nicht jugendfreien Themen gewarnt, stünde Straight Outta Compton, benannt nach dem legendären N.W.A.-Debütalbum aus dem Jahr 1988, etwas in der Art von "unsicherer Wahrheitsgehalt" gut zu Gesicht. Denn wie es bei den meisten Musik-Biografien Hollywoods der Fall ist – von Ray über Walk the Line bis hin zu Get on Up –, sind auch die "Fakten", die einem in F. Gary Grays Film vermittelt werden, mit Vorsicht zu geniessen. Entstanden ist dieser nämlich unter der Produktionshilfe der N.W.A.-Gründungsmitglieder Andre "Dr. Dre" Young (im Film gespielt von Corey Hawkins) und O'Shea "Ice Cube" Jackson (Sohnemann O'Shea Jackson Jr.) sowie Tomica Woods-Wright (Carra Patterson), der Witwe des 1995 an AIDS verstorbenen Eric "Eazy-E" Wright (Jason Mitchell), welcher der Band 1987 mit der Single "Boyz-n-the-Hood" erstmals landesweite Aufmerksamkeit verschaffte. Entsprechend überrascht es nicht, dass trotz einer Laufzeit von 147 Minuten Aspekte wie etwa das ganze Ausmass von Eazy-Es überbordendem Lebensstil oder Dr. Dres wiederholte Gewaltausbrüche gegenüber Frauen entweder marginalisiert oder gar unter den Teppich gekehrt werden.

Blendet man jedoch die Schönfärberei aus, der sich Regisseur Gray (The Negotiator, The Italian Job, Law Abiding Citizen) und die Autoren Andrea Berloff (World Trade Center) und Jonathan Herman zu einem gewissen Grad schuldig machen, und akzeptiert den Film als vereinfachte Nacherzählung, dann wird man mit einem mitreissenden, grossartig inszenierten Kinoerlebnis belohnt. Straight Outta Compton ist nicht nur ein herausragender Vertreter seines Genres, sondern ist, gerade vor dem Hintergrund der wieder aufflammenden Rassenkonflikte in den USA, ein legitimer Erbe von Spike Lees Do the Right Thing (1989) und John Singletons Boyz n the Hood (1991) und hat somit zweifellos das Zeug dazu, zu einem Meilenstein des modernen afroamerikanischen Kinos zu werden.


"Fuck tha Police": Die Rapper von N.W.A. sorgen um 1990 amerikaweit für Furore.
© Universal Pictures Switzerland
Grays umfassendes, linear erzähltes, aber dennoch ungezwungen-assoziativ wirkendes Porträt der Ära N.W.A. – vom Zusammenschluss des Hauptfiguren-Trios mit MC Ren (Aldis Hodge) und DJ Yella (Neil Brown Jr.) bis zum Tod von Eazy-E und dem Anfang der erfolgreichen Solo-Karrieren von Ice Cube und Dr. Dre – ist sowohl eine menschlich anregende Moralfabel um Freundschaft, Stolz und Hybris als auch eine scharfe Bestandsaufnahme der Doppelmoral, die in Amerika in Sachen Minderheiten bis heute herrscht. Selbst auf dem Höhepunkt ihres kommerziellen Erfolgs war die Gruppe aus Compton, einem Problem-Vorort von Los Angeles, noch jener Polizeiwillkür ausgesetzt, gegen die sie sich in "Reality Rap"-Songs wie "Gangsta Gangsta" oder "Fuck tha Police" zur Wehr setzten. Ihr Erfolg – geprägt von der ambivalenten Zusammenarbeit mit Manager Jerry Heller (Paul Giamatti) –, ihre Verwirklichung des sprichwörtlichen amerikanischen Traumes, die Armut hinter sich zu lassen, wurde vom Establishment mit Misstrauen, Zensur und Protestmärschen "besorgter Bürger"quittiert. So findet Straight Outta Compton die goldene Mitte zwischen musikalischem Blockbuster und – mit seiner perzeptiven Behandlung von institutionellem und sozialem Rassismus sowie der weissen Furcht vor schwarzer Kunst und Kultur – gesellschaftspolitisch hochgradig relevantem Kino.

★★★★

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