Donnerstag, 21. Mai 2015

Pepe Mujica – El presidente

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.

Im März endete die Präsidentschaft des Uruguayers José Mujica, des "ärmsten Präsidenten der Welt". In Heidi Specognas intimem Porträt Pepe Mujica – El presidente zeigt sich der 80-Jährige als visionärer Idealist, dessen unkonventioneller Stil einem ganzen Kontinent als Vorbild dienen könnte.

Auch gut 25 Jahre, nachdem in Südamerika die letzte faschistische Militärdiktatur gefallen ist, tun sich viele Staaten schwer damit, eine egalitäre Demokratie der breiten Partizipation aufrechtzuerhalten. Diverse selbsternannt "sozialistische" Regierungen pflegen keine zukunftsorientierten Kurse, sondern verfolgen eine dogmatische Machtpolitik. In Bolivien stösst Evo Morales die Opposition mit einer dritten Amtszeit vor den Kopf; Brasilien wird von anhaltenden Skandalen rund um Dilma Rousseffs Kabinett in Atem gehalten. In Venezuela setzt Nicolás Maduro den Radikalismus von Hugo Chávez fort, dessen Krebskrankheit, so die Meinung in Caracas, von Barack Obama in Auftrag gegeben worden sein soll; derweil die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner in stundenlangen Ansprachen diejenigen, die sie nicht gewählt haben, regelmässig als "Gorillas" bezeichnet.

Und wie sieht es in Uruguay aus, dem kleinen Land zwischen Brasilien und Argentinien, welches immer wieder gerne als "die Schweiz Südamerikas" bezeichnet wird? Dort regiert die Frente Amplio, ein Bündnis linksgerichteter Parteien, dem auch das Movimiento de Participación Popular angehört, die Partei von José Mujica und seiner Frau, der Senatorin Lucía Topolansky, die Mujica 2011 den Amtseid abnehmen durfte und die Heidi Specognas primäre Ansprechpartnerin in Sachen Politik ist, während ihr Ehemann sein Amt lieber vom philosophischen Standpunkt aus betrachtet. Die spaltende Rhetorik von de Kirchner und Maduro sucht man im palastartigen Parlament von Montevideo vergeblich. Im Gegenteil: "Wir müssen auch auf ihn hören, denn es gibt auch Leute, die ihn gewählt haben, selbst wenn ich mit ihnen nicht einverstanden bin", sagt Topolansky über den neoliberalen Oppositionellen Pedro Bordaberry, den Sohn von Juan María Bordaberry, welcher in den Siebzigerjahren der faschistisch geprägten Diktatur Uruguays vorstand. Und auch Bordaberry Junior weiss um die Wichtigkeit politischer Stabilität: "Ich unterstütze den Präsidenten, weil mein Land ihn gewählt hat und ich meinem Land dienen will."

"Ich bin ein Erdklumpen mit Füssen": Die eigenwillige sozialistische Politik von José Mujica, uruguayischer Präsident von 2011 bis 2015, sorgte weltweit für positive Schlagzeilen.
© filmcoopi
Dass in Uruguay mehr oder minder ideale Verhältnisse für konstruktives Regieren herrschen, ist nicht das Verdienst Mujicas, das macht El presidente klar. Die Vorreiterrolle, die das Land in Lateinamerika spielt, geht weiter zurück als 2011. Doch Mujica, den die Kamera zu diversen offiziellen Anlässen begleitet, steht sinnbildlich für die positive Entwicklung seit dem Ende von Bordaberrys Junta. Aufnahmen aus dem Jahr 1997 zeigen einen nachdenklichen Mann, der seine Vergangenheit noch immer nicht vollständig verarbeitet hat – als militanter Widerstandskämpfer gegen die Faschisten verbrachte Mujica insgesamt 13 Jahre im Gefängnis, wo physische und psychische Folterungen an der Tagesordnung waren –, seinen Blick aber in die Zukunft gerichtet hat.

2012 und 2013 stattete ihm Heidi Specogna erneut einen Besuch ab: Hier macht das Publikum Bekanntschaft mit "El viejo Pepe", wie ihn seine Genossen gerne nennen – einem milde lächelnden älteren Herrn, der sich selber als "Erdklumpen mit Füssen" bezeichnet und der, obschon mit sich mittlerweile im Reinen, nach wie vor erfüllt ist von seiner antikapitalistischen Ideologie. Der Film, voll und ganz fokussiert auf die einnehmende Persona Mujicas, ist durchsetzt von den verblüffenden und fesselnden Reden eines bescheidenen Visionärs – Emir Kusturica sieht in ihm "den letzten Helden der Politik" –, der es hervorragend verstanden hat, Uruguays ideale politische Voraussetzungen in einen funktionierenden, pragmatischen Sozialismus zu verwandeln. So steht am Ende dieser erhebenden, wenn auch etwas brav inszenierten Dokumentation über den Ex-Guerillero, der seinen Hof ausserhalb von Montevideo der Präsidentenvilla vorzieht und einen Grossteil seines Einkommens spendet, die Moral, dass gerade im Zeitalter des grassierenden Zynismus Werte wie Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Idealismus hoch gehalten werden müssen.

★★★★

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