Donnerstag, 5. Februar 2015

Foxcatcher

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.

Im auf wahren Begebenheiten beruhenden Foxcatcher erzählt Regisseur Bennett Miller nicht nur ein subtiles, unterschwellig brodelndes Charakterdrama um Ambition, Rivalität und Hybris; er findet darin auch eine beklemmende Parabel auf die Illusion des amerikanischen Traumes.

Miller ist ein Spezialist des faktenbasierten Kinos. 1998 legte er mit der Dokumentation The Cruise über einen New Yorker Fremdenführer ein gefeiertes Debüt vor. 2005 rekonstruierte er in Capote mit einem grandiosen Philip Seymour Hoffman in der Titelrolle die Entstehungsgeschichte von Truman Capotes Tatsachenbericht In Cold Blood. 2011 drehte er in Zusammenarbeit mit Aaron Sorkin, dem Autor des Facebook-Porträts The Social Network, das Sportdrama Moneyball, in dem neuartige Scouting-Methoden den amerikanischen Traditionssport schlechthin zum Sprung ins 21. Jahrhundert zwingen.

Und nun also Foxcatcher – die Geschichte der Brüder Mark (Channing Tatum) und Dave Schultz (Mark Ruffalo), welche bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles beide eine Goldmedaille im Ringen gewinnen und daraufhin vom sportbegeisterten Krösus John du Pont (Steve Carell) darum gebeten werden, sich auf seinem Anwesen, genannt "Foxcatcher", unter seiner Führung auf Olympia 1988 vorzubereiten. Dave lehnt aus familiären Gründen ab, doch der jüngere Mark erhofft sich vom Szenerie-Wechsel die Chance, endlich aus dem Schatten seines Bruders treten zu können.

Was in der Folge geschieht – Weltmeistertitel, Foxcatcher-Expansion, Wahnsinn, ein Verbrechen –, arbeitet Miller mit Hilfe eines soliden Skripts von Dan Futterman und E. Max Frye minutiös auf. Ohne grosse Gesten entwickelt Foxcatcher die sich verschiebenden Beziehungen unter den Figuren; viele Szenen leben nicht vom Dialog, sondern von aufgeladenem Schweigen. Die eindringlich aufspielenden Darsteller deuten durch Blicke, Pausen und Bewegungen Gedanken und Motivationen an, die erst viel später offenkundig werden. Gerade Steve Carell, der nach seinen Leistungen in Little Miss Sunshine und Dan in Real Life nun endgültig sein beträchtliches Talent ausserhalb des reinen Komödiengenres unter Beweis stellt, ist eine einnehmende, unheimliche Präsenz – ein vom eigenen Reichtum Geblendeter, der alles will, alles kann ("Ornithologist, philatelist, philanthropist"), alles darf und selbst in seinen grosszügigen Momenten wie ein eiskaltes, gnadenloses Raubtier wirkt.

Der steinreiche Sportfanatiker John du Pont (Steve Carell, links) nimmt Mark Schultz (Channing Tatum), Olympiasieger im Ringen, unter seine Fittiche.
© Ascot Elite Entertainment Group
Coach du Pont, der Schosshund seiner missbilligenden Mutter (Vanessa Redgrave), ist es auch, der dem Film seine sozialkritische Note verleiht. Miller, ganz der scharfsinnige Ikonoklast, erzählt hier von der Absurdität des "American Exceptionalism", von der Legende der Meritokratie Amerika, in der Athleten wie Mark oder Dave zwar dank Selbstinitiative und harter Arbeit reüssieren, letztendlich aber dennoch dem Joch des Mammons unterworfen sind – selbst während der individualistischen Reagan-Jahre. Du Pont, ja der ganze leere, tot scheinende Foxcatcher-Komplex, ist ein Überbleibsel aus der alten Welt; der Geldadel, blind gegenüber seinen eigenen Einschränkungen, beherrscht in den angeblich klassenlosen Vereinigten Staaten Politik, Kultur und Gesellschaft. Foxcatcher, obschon nicht ganz so packend wie Moneyball, ist eine zeitgemässe Dekonstruktion der US-Oligarchie, welche die eigene Allmächtigkeit der Welt als Gipfel des Patriotismus verkauft.

★★★★

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