Donnerstag, 6. Juni 2013

Paradies: Glaube

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.


Nach seiner Abrechnung mit dem europäischen Sextourismus nimmt sich Ulrich Seidl im Mittelteil seiner nach den drei theologischen Tugenden benannten Paradies-Trilogie die Religion zur Brust: Glaube eckt mit der lakonisch-provokativen Darstellung einer katholischen Fundamentalistin an.

Während ihre Schwester in Kenia nach dem perfekten Liebesabenteuer sucht (siehe Paradies: Liebe), verbringt Anna Maria (Maria Hofstätter – hervorragend) ihren Sommerurlaub im heimischen Wien. Ihre freien Wochen nutzt die streng gläubige Katholikin zum Gebet, zur Selbstkasteiung und zur Missionierung aus Leidenschaft: "Ungläubigen" schenkt sie Rosenkränze und leiht ihnen Marienstatuen aus. Doch ihr Glaube wird mit der Rückkehr ihres seit zwei Jahren verschwundenen Ehemannes Nabil (Nabil Saleh – hervorragend), einem an den Rollstuhl gefesselten Muslim, auf eine harte Probe gestellt, pocht er doch auf seine Rolle als Herr des Hauses.

Dass ein derartiges Szenario irritiert, liegt auf der Hand; dass sich manche Kinogänger allzu hart angegangen fühlen, ist angesichts von Seidls vielschichtiger Provokation nicht überraschend. Wie schon Liebe wird auch Paradies: Glaube im Kino zu teils lautstarken Protesten von Seiten des Publikums führen. Niemals aber macht der Autor den Fehler, seine Figuren zu blossen Statthaltern ihrer Religionen zu degradieren; niemals verteufelt er sie. Für ihn sind Anna Maria und Nabil zwei verlorene, fehlgeleitete Seelen, welche das Heil im Glauben suchen, was ein harmonisches Zusammenleben letztlich verunmöglicht. Praktisch jede gemeinsame Szene der beiden endet in einem handfest geführten Konflikt; Zärtlichkeit, wenn sie denn stattfindet, hält nicht lange an. So wird der Kampf der Religionen zum gewöhnlichen Ehekrach uminterpretiert.

Der Fokus von Paradies: Glaube liegt indes eindeutig auf Anna Maria. Alte Protestschilder, Zeugnisse längst verlorener Schlachten ("Der Fernseher ist der grosse Verführer"), schmücken ihr Schlafzimmer. Anderswo prangen Ikonen und Kruzifixe in allen Grössen – eines davon wandert im kontroversesten (und unglaubwürdigsten) Moment des Films unter ihre Bettdecke. Zwar verzichtet Seidl, dessen Inszenierung sich wie gewohnt durch schnörkellose Geradlinigkeit und gnadenlose Direktheit auszeichnet, auf eine explizite Pathologisierung; doch es ist offensichtlich, dass Anna Marias Glaube gleichzeitig Symptom und Ventil tiefer liegender psychischer Probleme ist. Ihre Verehrung Jesu zeugt von unterdrückten sexuellen Fantasien und vielleicht sogar einer manisch-depressiven Störung. Religion, so Seidl, mag nicht grundsätzlich verrückt sein, doch sie bietet potentiell gefährdeten Menschen einen Zufluchtsort.

Eine Prüfung Gottes? Anna Maria (Maria Hofstätter) wird von der Rückkehr ihres verschwundenen Gatten (Nabil Saleh) überrascht.
© Praesens Film
In dieser Idee findet der Film durchaus Humor, etwa wenn seine Protagonistin an ein säkulares Rentnerpaar oder einen Messie gerät. Doch dass Seidl der Glaube einer nur scheinbar friedfertigen Wehr-Christin wie Anna Maria suspekt ist, zeigt seine Darstellung eines zunehmend irrelevanten Katholizismus, in dem die radikalen Strömungen wieder erstarken: Auf Annäherungsversuche des muslimischen Nabil reagiert Anna Maria mit Schlägen; mit ihrer Missionierung versucht sie, Immigranten für ihre Sache zu gewinnen; derweil sich ihr erzkonservativer Bet-Zirkel unter den Augen stummer Jesus- und Maria-Bildnisse auf nationalsozialistische Terminologie beruft ("Wir sind die Sturmtruppe der Kirche"). Kann die Welt vor dieser Religion noch gerettet werden?, scheint Seidl fragen zu wollen. Wäre das nicht ein Schritt in Richtung Paradies?

★★★★

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