Samstag, 19. Mai 2012

50/50

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Sich mit dem Thema Krebs im Kino auseinanderzusetzen, birgt immer Risiken. Ob Drama oder Komödie, Rührseligkeit ist kaum je zu vermeiden. Eine angenehm unsentimentale Ausnahme stellt nun aber der Indie-Grosserfolg 50/50 dar, der mit Herz, Hirn und Humor punkten kann.

Adam Lerner (der wundervolle Joseph Gordon-Levitt) ist 27 Jahre alt und hat sein Leben ganz gut im Griff. Zwar wird der sympathische Ordnungsfanatiker hie und da von seiner überängstlichen Mutter Diane (Anjelica Huston) genervt, doch er bewohnt ein schönes Haus, er arbeitet zusammen mit seinem besten Freund Kyle (ein diesmal sehr erwachsener Seth Rogen) bei einem Radiosender, er liebt seine Freundin Rachael (Bryce Dallas Howard) und er lässt sich vom draufgängerischen Kyle nie zu Alkohol- und Drogenexzessen überreden. Die Idylle wird aber jäh zerstört, als bei Adam eine seltene Krebsart diagnostiziert wird – Mortalitätsrate: fünfzig Prozent. Nun muss er Freunden, Bekannten und Verwandten die Neuigkeit beibringen ("Have you ever seen Terms of Endearment?"), was diese scheinbar mehr mitzunehmen scheint als ihn. Trotz der Hiobsbotschaft versucht er aber, weiterhin ein geregeltes Leben zu führen, neben Chemotherapie, wo er sich mit älteren Leidensgenossen anfreundet, und psychologischer Betreuung bei der unerfahrenen Therapeuthin Katherine (eine grossartige Anna Kendrick). Dabei ünterstützt ihn Kyle, der ihn zum Missbrauch medizinischen Marihuanas ermutigt und mit der Mitleidsmasche auf Frauensuche geht.

Der Humor stirbt zuletzt: Krebspatient Adam (Joseph Gordon-Levitt, links) amüsiert sich mit seinem besten Freund Kyle (Seth Rogen).
50/50 ist in vielerlei Hinsicht ein autobiografischer Film. Vor sieben Jahren wurde der TV-Autor Will Reiser wegen eines bösartigen Tumors am Rücken operiert, seither lebt er krebsfrei. In der schweren Zeit nach der Diagnose hat ihm besonders eine Person sehr geholfen: der Schauspieler und Komiker Seth Rogen (Knocked Up, Superbad), der sich hier im Grunde selber spielt. Reiser geht es in seinem Drehbuch zu gleichen Teilen um Rogens Rolle als Freund und den Status eines Krebskranken in der Geselllschaft. Die Vorgehensweise – eine Tragödie in ein Feel-Good-Film zu verpacken – erinnert dabei stark an Gus Van Sants Restless, die Umsetzung jedoch evoziert eher die Filme eines Alexander Payne oder eines Jason Reitman. Reiser zelebriert verlegenes Schweigen und unangenehme Situationen virtuos. Dieser leise Humor wird durch hervorragend eingesetzte rauere Töne wie Adams mal ironische, mal sardonische Bemerkungen oder Kyles derbe Einwürfe sehr effektiv kontrastiert.

Dabei verlieren aber weder Reiser noch Regisseur Jonathan Levine je den Realitätsbezug ihrer Geschichte und ihrer Figuren aus den Augen. 50/50 kippt nie ins Extreme; Komik und Tragik bleiben stets perfekt ausbalanciert. Die Charaktere wiederum haben alle ihre Stärken und Schwächen; ihre Interaktion ist phänomenal. Die Freundschaft zwischen Kyle und Adam ist sehr sorgfältig ausgearbeitet; ebenso die symbiotische, wenn auch komplizierte, Beziehung zwischen Adam und Katherine; Diane sprengt, nicht zuletzt dank der brillanten Anjelica Huston, im dritten Akt die Grenzen ihrer Rolle – zwischen sämtlichen Protagonisten spielt sich Berührendes, für den Fortgang des Plots Relevantes ab. So ist 50/50 letztendlich nicht nur ein ebenso komisches wie ergreifendes Filmerlebnis, sondern auch ein durch und durch befriedigendes, eines, bei dem am Ende das Gefühl bleibt, es sei in den vergangenen 100 Minuten etwas erreicht worden.

★★★★★

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