Donnerstag, 1. März 2012

Atmen

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Wenn Schauspieler auf dem Regiestuhl Platz nehmen, ist das immer eine heikle Angelegenheit. Nicht aber in Karl Markovics' Fall. Mit Atmen, einem naturalistischen Drama, durchsetzt von klassisch österreichischem Schalk, ist ihm ein fulminantes Debüt gelungen.

Vier Jahre schon sitzt der 19-jährige Roman Kogler (Thomas Schubert) in einer Jugendstrafanstalt bei Wien. Doch das stört den in Heimen aufgewachsenen jungen Mann überhaupt nicht. Während sich seine Mitinsassen darum bemühen, eine Arbeit zu finden und so frühzeitig entlassen zu werden, zeigt Roman nicht das geringste Interesse an einem Leben in Freiheit. Nach einigen harschen Worten seines Bewährungshelfers jedoch meldet er sich auf ein Stelleninserat eines Bestattungsinstituts. Nicht nur muss er dort anfängliche Berührungsängste mit Leichen ablegen, er muss sich auch an den rauen Umgangston seiner Kollegen, etwa dem distanzierten Rudolf (Georg Friedrich), gewöhnen.

Obwohl das Schreiben und Inszenieren von Filmen für Karl Markovics, der als Hauptdarsteller im bemerkenswerten, mit einem Oscar ausgezeichneten Kriegsdrama und Moralstück Die Fälscher internationale Bekanntheit erlangte, Neuland sind, legt er in Atmen eine beeindruckende Reife und Abgeklärtheit an den Tag. Mit spärlichen Dialogen, einigen durchaus warmen Momenten, durch rechtzeitige Schnitte ausgesparten Erörterungen – einem Nicolas Winding Refn (Drive) nicht unähnlich – und Martin Gschlachts langen Einstellungen, eingefangen von einer oft starren, dafür in ungewöhnlichen Positionen platzierten Kamera, erzählt er eine atmosphärische und enorm anregende Geschichte, der auch eine komische Komponente nicht abgeht. Markovics begibt sich dabei mehrmals auf die Spuren von Wolfgang Murnbergers Verfilmungen der Wolf-Haas-Krimis – speziell Komm, süsser Tod –, wo zwischen dem düsteren Thema Tod und der nonchalanten Art, mit der beruflich damit verbundene Menschen damit umgehen, ein ironischer Kontrast gebildet wird. Überdies besitzt Markovics ein ausgesprochenes Flair für elegante Bildsprache, die sich in beinahe magisch anmutenden Szenen wie die eines aus einem Metallsarg entfliegenden Vogels, dem daraufhin die Tür zur Freiheit geöffnet wird, oder eines unter Wasser verharrenden Roman niederschlägt.

Jungdelinquent Roman Kogler (Thomas Schubert) versucht, im Berufsleben Fuss zu fassen.
Und ebendieser Roman Kogler bildet das dramaturgische und emotionale Zentrum des Films, allerdings ohne je mehr als einen Satz am Stück von sich zu geben. Zwar wirkt der junge Mann auf den ersten Blick wie eine normale, wenn auch etwas unnahbare Figur, doch die Frage, die sich dem Zuschauer unweigerlich stellt, ist die nach seiner Vergangenheit, denn sein langer Verbleib im Gefängnis entbehrt sicherlich nicht eines triftigen Grundes. Dieses Rätsel ist eines der vielen Spannungsfaktoren des Films. Darsteller Thomas Schubert, ansonsten Stunt-Double, erweist sich als Idealbesetzung für die Rolle, da er mit einem einzigen melancholischen Blick viel mehr viel natürlicher zu sagen vermag, als Worte dazu in der Lage wären.

Filme wie Die Fälscher oder Der Knochenmann haben längst den Beweis für die ausserordentliche Qualität von Österreichs zeitgenössischer Filmindustrie erbracht. Mit dem grossartigen Atmen hat sich nun Karl Markovics ebenfalls in die Reihe von Austrias grossen Regietalenten eingefügt. Man darf gespannt sein, wie sich seine Zukunft als Regisseur und Drehbuchautor entwickeln wird.

★★★★★½

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