Montag, 21. Dezember 2009

Looking for Eric

Psychotherapie einmal anders: Eric Bishop (Steve Evets, links) unterhält sich mit einem imaginären Eric Cantona (Eric Cantona) über alles, was mit seinem Leben falsch läuft.

5 Sterne

Spielfilme über Berühmtheiten, die sich tatsächlich selber spielen, sind nichts Neues. Qualitativ variieren die Beispiele aber gewaltig. Sidekicks war eine peinliche Idealisierung von Chuck Norris, während Being John Malkovich weithin als Perfektionierung der Idee angesehen wird. In diesem breiten Spektrum gibt es viele Filme, die unterschiedlich stark und auf verschiedene Weise mit ihren berühmten Figuren umgehen. Ken Loach benutzt seinen Star, Manchester-United-Legende Eric Cantona, in seinem neusten Werk, Looking for Eric, als skurrilen Verfremdungseffekt, Handlungskatalysator und sogar Deus ex machina. Gleichzeitig ist es dem 73-jährigen Sozialisten aus Überzeugung gelungen, eine zutiefst menschliche Geschichte zu erzählen, in der sein Lieblingsthema, die britische Working Class, auch seinen Platz findet. Was man letzten Endes zu sehen bekommt, ist ein tragikomischer Film über das Leben, Familienwerte, Loyalität und, nicht zuletzt, den Fussball - die schönste Nebensache der Welt.

Es ist die traurige Wahrheit, dass man als Zuschauer bei Filmen, die auf prominente Cameos zugeschnitten sind, oft das Spielchen "Finde den Plot" spielen darf. Häufige Probleme sind unnötiges Beweihräuchern der auf der Leinwand agierenden Grösse oder die Stlisierung derselben zur heldenhaften Ikone. Looking for Eric geht aber einen erfrischend anderen Weg. Eric Cantona hält sich im Hintergrund und berät die Hauptfigur. Dabei beschränken sich seine Äusserungen in manchen Dialogen auf französische Sprichwörter, die man sich problemlos in einem chinesischen Glückskeks vorstellen könnte. Die daraus resultierende Absurdität ist urkomisch. Drehbuchautor Paul Laverty, der nicht zum ersten Mal mit Ken Loach kollaboriert, weiss sehr wohl, wie man die unterschiedlichen Zielgruppen von Looking for Eric angehen muss. Fussballfans und -aficionados würden am liebsten ins Fachsimpeln der Titelfigur Eric mit Eric Cantona mit einstimmen, während Freunde von Loachs ernsteren Filmen vor allem in der zweiten Hälfte voll auf ihre Rechnung kommen. Was bemängelt werden muss, ist, dass der ernste Teil der Geschichte, der selbst den letzten von Laverty geschriebenen Film, das Drama It's a Free World... (Regie: Ken Loach), an Intensität übertrifft, zu abrupt einsetzt und so gar nicht zum im Grunde genommen nachdenklichen und melancholischen Ton von Looking for Eric passen will. Urplötzlich werden kriminelle Gangs und gnadenlose Polizeigewalt thematisiert. Doch wer den Regisseur kennt, weiss, dass auch das kein Beinbruch ist. Spätestens beim Dénouement ist man den Verantwortlichen dankbar für den etwas unbeholfenen Schlenker ins Genre des Sozialdramas. Hier soll nichts über das Ende verraten werden, nur soviel: Die Schlussszene ist lustig, einfallsreich, pragmatisch und erinnert einen an die Solidaritätsbekundung von George Baileys Freunden und Sympathisanten in It's a Wonderful Life.

Stars, die nicht dank ihren schauspielerischen Fähigkeiten berühmt geworden sind, werden oft auf übelste Weise von den Kritikern demontiert, wenn sie sich auf der Leinwand versuchen. In manchen Fällen hat das sicher seine Berechtigung, doch in anderen ist die spöttische Kritik nichts weiter als ein Vorurteil. Vielleicht hat Eric Cantona Glück, dass er in Looking for Eric einerseits keine Hauptrolle spielt und andererseits bereits in mehreren Filmen sein Können unter Beweis gestellt hat, am prominentesten wohl als Monsieur de Foix in Shekhar Kapurs Historienfilm Elizabeth. Zwar wird Cantona nie einen grossen Preis für seine Schauspielkunst erhalten, doch er spielt solide und vermag, wahrscheinlich auch weil er sich selber spielen darf, durchaus zu überzeugen. Seine Sprüche sitzen, er wirkt sympathisch und man erkennt auf den ersten Blick, warum es in Manchester auch heute noch zu einem Verkehrschaos kommt, wenn er durch die Stadt spaziert. Cantonas Selbstironie, grösstenteils in Bezug auf seine schwierige Persönlichkeit als Fussballer, wirkt nicht gezwungen und er enthüllt sogar, dass sein Lieblingsmoment in seiner Karriere kein selber erzieltes Tor, sondern eine geniale Vorlage war. Ob dies nun der Wahrheit entspricht oder nicht, sei dahingestellt, eine nette Metapher und eine hervorragende Szene ist es allemal. Dass sein unrühmlichster Moment, sein Sprungkick gegen einen Crystal-Palace-Fan, fast gänzlich ausgelassen wird - im Abspann bekommen wir immerhin die dazugehörige Pressekonferenz, die nur aus einem Satz bestand, zu sehen -, sei dem Regisseur, dem Drehbuchautoren und dem grossen Fussballer verziehen.

Die weiteren Darsteller, die tragenden Figuren, sind erstklassig besetzt. Steve Evets verkörpert die Hauptfigur Eric mit viel Herz, Humor und britischen Lower-Class-Charme. Der vorab aus dem Fernsehen bekannte Schauspieler hat einige umwerfende Szenen mit Cantona zu meistern. Doch auch im dramatischen Teil vermag das Manchester-Fast-Original - er stammt aus dem Arbeiter-Vorort Salford - mühelos zu begeistern. Stephanie Bishop, eine Debütantin im Schauspielfach, spielt die von Eric begehrte Frau, die er vor 30 Jahren verliess. Zwar hat man Typen ihresgleichen auch schon oft gesehen, eine bodenständige und moderne Frau, die alles im Griff hat (oder zu haben scheint), man denke an Emma Thompson in Last Chance Harvey, doch Bishops Performance lässt das altbekannte Muster in neuem Glanz erstrahlen. Ebenso überzeugend agiert Erics Jungmannschaft, die beiden Sprösslinge Ryan und Jess, gespielt von Gerard Kearns und Stefan Gumbs, sowie die selbstständige Tochter Sam (Lucy-Jo Hudson). Alle drei sind hierzulande noch unbeschriebene Blätter, doch die Leistungen des jugendlichen Trios sind nichtsdestoweniger beeindruckend.

Looking for Eric ist ein Film, der von seinen Charakteren angetrieben wird. Die sorgfältige Figurenzeichnung hat zur Folge, dass sich der Zuschauer wirklich mit den Protagonisten, vor allem Eric Bishop, identifizieren kann. Zudem thematisiert Ken Loach entfernt auch soziale und ethische Fragen wie Loyalität und Treue. "God once said: "Leave your wi... you can change your wife, change your politics, change your religion. But never, never can you change your favourite football team!"", sagt einer von Erics Kumpanen. Eine überaus wahre Lehre, welche moderne Fussballfans gerne vergessen.

Looking for Eric ist ein kleiner Arthouse-Film, dem nie so viel Aufmerksamkeit zuteil werden wird, wie er es verdienen würde. Als Zuschauer lacht und bangt man mit den Charakteren mit und freut sich über jede Szene mit Eric Cantona. Zugegeben, der Film ist nichts für die Geschichtsbücher. Bald wird Looking for Eric in Vergessenheit geraten und zur Randnotiz der Filmhistorie werden. Aus diesem Grund sollte man ihn sich ansehen, solange man kann. Es lohnt sich wirklich! Wo sonst hat man schon einmal einen kiffenden, Trompete spielenden Ex-Fussballstar gesehen, der sich selber spielt?

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