Samstag, 14. November 2009

District 9

"Sie haben 24 Stunden, um ihr Haus zu verlassen": Der Staatsangestellte Wikus van de Merwe (Sharlto Copley, 2 v.l.) streift mit Feuerschutz durch den Slum District 9 und zwingt die Aliens aus ihren Häusern. Bald wird sich sein Leben aber dramatisch verändern.

5 Sterne

Die südafrikanische Filmindustrie ist alles andere als weltbewegend. Hie und da macht ein Film über soziale Probleme oder die Apartheid auf sich aufmerksam - etwa der von allen Seiten gelobte Tsotsi aus dem Jahre 2005 oder Clint Eastwoods neustes Projekt, Invictus, der den Amerikanern Ende Jahr ins Haus steht. Aber ein Science-Fiction-Film aus Südafrika? Das gab es noch nie. District 9 überraschte an den Kinokassen und lenkte den Blick der Kinowelt auf den Regisseur Neill Blomkamp und den Hauptdarsteller Sharlto Copley. Vermarktet wurde der Film in bewährter Cloverfield-Manier: Kurze Clips wurden ins Internet gestellt, der Plot vielfach nur angedeutet und noch bevor auch nur ein Normalsterblicher den Streifen gesehen hatte, redeten alle darüber- Dies liegt wohl nicht zuletzt auch am populären und berühmten Produzenten Peter Jackson, der bekanntermassen eine Ader fürs Exzentrische und Spezielle hat - siehe seine ersten Gehversuche als Regisseur (Stichwort Meet the Feebles). Aber trotz der neuseeländischen Unterstützung ist District 9 ein eindringlicher, hintergründiger und vor allem sehr südafrikanischer Action-Science-Fiction-Film geworden.

Das Sci-Fi-Genre läuft sich langsam zu Tode. Klischees häufen sich, die Filmemacher wiederholen sich zu oft und ein neues Epos à la Star Wars taucht auch nicht mehr auf. Vielleicht brauchte es gerade deshalb einen Produzenten wie Peter Jackson, der sich in der boomenden Fantasy-Abteilung gerade häuslich eingerichtet zu haben scheint. Dank seiner Hilfe bekam District 9 die finanzielle Unterstützung - das Budget belief sich immerhin auf 30 Millionen US-Dollar (eingespielt hat er bisher ungefähr 200 Millionen) -, die er benötigte, um visuell ansprechend zu erscheinen. Um den nicht uninteressanten Inhalt war Neill Blomkamp besorgt, der gemeinsam mit Terri Tatchell das Drehbuch verfasste. Die Art, in der District 9 angelegt ist, mag nicht neu sein, aber allein schon das Setting Johannesburg verleiht dem Film einen besonderen Touch. Aber auch die Idee, das Ganze in eine Art Dokumentarfilm einzubetten, hat durchaus ihren Reiz. Anfangs hüllt sich der Film in Schweigen, worauf man in der Exposition eigentlich hinauswill. Verschiedene Bekannte eines gewissen Wikus van de Merwe, der selbst auch in einigen Aufnahmen zu sehen ist, reden über etwas, das ihm angeblich zugestossen ist. Gleichzeitig erklären einem ein paar Experten, dass 1982 ein ausserirdisches Raumschiff über Johannesburg gelandet ist und dass die Besatzung, seltsame Wesen, die aufgrund ihres Aussehens "Prawns" (Crevetten) genannt werden, nachdem entdeckt wurde, dass sie weder eine Bedrohung darstellen noch den Fortschritt vorantreiben können, in den Soweto-Slum "District 9" verfrachtet wurden. Und danach nimmt District 9 volle Fahrt auf, die bis gut 20 Minuten vor dem Ende durchhält. Am Ende scheint Blomkamp leider etwas zu verschwenderisch mit dem ihm zur Verfügung stehenden Geld umgegangen zu sein, da die finale Actionsequenz stark an (gute) Szenen aus Transformers erinnert. Trotzdem bekommt man als Zuschauer etwas geboten und darf sich an recht expliziter Gewalt "erfreuen". Aufs Ganze gesehen, ist District 9 recht flott geschrieben. Die Story ist originell und trägt zuweilen auch satirische Züge. Der Rassismus, der gegenüber den Aliens praktiziert wird, soll natürlich Erinnerungen an die Zeit der Apartheid wecken, und einen mahnen, dass soziale Verwahrlosung auch eine Folge von Vorurteilen und staatlicher Vernachlässigung ist. Es ist Blomkamp und Tatchell auch zugute zu halten, dass die heikle Thematik auch immer wieder mit bitterem Humor angegangen wird. Die Aliens verhökern die Waffen, die nur sie bedienen können, für Katzenfutter, es gibt Prostitution zwischen den Spezies, die führende nigerianische Slum-Bevölkerung fürchtet sich vor einem Putsch der "Prawns" und die Menschen, die einmal unter dem Regime der Apartheid gelitten haben, scheinen überhaupt nichts dazugelernt zu haben.

Auch der Cast agiert auf einem höheren Niveau als man es von einem knalligen Science-Fiction-Reisser erwarten könnte. Insbesondere der Hauptdarsteller, Sharlto Copley, zeigt eine extrem gute Leistung. Wikus' Angst, sich in ein Alien, die er aufgrund seines Berufs verachtet, zu verwandeln, wird von Copley überragend vorgetragen. Die Charakterentwicklung und die Gefühle der Figur wirken sehr glaubwürdig. Unterstützt wird der Hauptdarsteller von einer gut aufspielenden Vanessa Haywood, die Wikus' Ehefrau verkörpert, von Eugene Khumbanyiwa, der einen nigerianischen Warlord mimt, und von David James, der den von Hass gegen die Aliens zerfressenen Militärkopf Koobus Venter spielt. Der zweite Hauptdarsteller ist allerdings ein Ausserirdischer, der kluge "Christopher Johnson", der mit seinem Sohn an einem Plan zur Flucht von der Erde arbeitet. Die gurgelnde Sprache von ihm und seinen Artgenossen und der breite südafrikanische Dialekt der Menschen tragen viel zur Originalität von District 9 bei.

Lassen sich mit einem Budegt von 30 Millionen US-Dollar wirklich beeindruckende Spezialeffekte herstellen? Oder sind 200 Millionen, wie im Falle von Transformers: Revenge of the Fallen, nötig? Nun, die Art, in der die Actionszenen gefilmt wurden, trägt viel zur Wirkung der Effekte in District 9 bei. Oft stellt der Kameramann Trent Opaloch die Kamera direkt hinter die Person, die von einer Alienwaffe erschossen wird. Da diese Waffen ihre Opfer quasi zerspringen lassen, erzeugt dieser Kniff häufig die Illusion von 3D. Auch wussten Opaloch bzw. der Chef des Effektedepartements, David Barkes, den aus Splatterfilmen bekannten Effekt von Blutspritzern auf der Linse optimal einzusetzen. Fehlerlos wird einem auch die finale Materialschlacht präsentiert. Obwohl diese vielleicht etwas zu lang und - im Vergleich mit der vorangegangenen Action - konventionell geraten ist, sollte dabei dennoch keine Langeweile aufkommen. Auch die Aliens, die teils Puppen, teils computeranimiert, sind, wirken in jedem hässlichen Körperdetail echt. Die Charakterdesigns sind ebenso gelungen.

Man kann sich vielleicht vorstellen, dass eine Mixtur aus Science Fiction, Fantasy und Mockumentary schwierig zu beschreiben und sachlich zu kritisieren ist. District 9 ist in jedem Punkt Geschmackssache. Wer aber der formelhaften amerikanischen Grossproduktionen in diesem Genre überdrüssig ist, sollte einen Blick riskieren. Der offene Schluss entlässt einen auch mit genug Gesprächsstoff ins Foyer. Logiklöcher? Unrealistische Verhaltensmuster? Schwarzmalen der menschlichen Mentalität? Eine gewisse Berechtigung haben diese Vorwürfe ja, aber der cineastische Wert von District 9 wird dadurch kaum beeinträchtigt. Dafür ist dieser südafrikanische "Independent-Sci-Fi-Thriller" schlicht zu spannend und zu eindringlich.

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