Donnerstag, 13. August 2015

La rançon de la gloire

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.

Nach intensiven Dramen wie Le petit lieutenant (2005) und Des hommes et des dieux (2010) widmet sich der Franzose Xavier Beauvois in La rançon de la gloire vorsichtig der leichteren Muse. An die Qualität seiner vorangegangenen Werke kann er damit nicht anknüpfen; enttäuscht wird man aber dennoch nicht.

Rund zwei Monate nach seinem Tod am Weihnachtstag 1977 in seiner Villa im waadtländischen Vevey, stand Charlie Chaplin – die Stummfilm-Ikone, der Komödiant und Meisterregisseur hinter Werken wie The Gold Rush, City Lights, Modern Times oder The Great Dictator – noch ein letztes Mal im medialen Rampenlicht. In einer Spätwinternacht begaben sich der Pole Roman Wardas und der Bulgare Gantcho Ganev auf den Friedhof in Corsier-sur-Vevey, machten sich mit Pickel und Schaufel an Chaplins Grab zu schaffen und vergruben seinen Sarg darauf in einem Feld in der Nähe des Dorfes Noville; für die Rückgabe forderten sie ein Lösegeld von 600'000 Franken. Bis im Mai hielt der Fall die Westschweizer Behörden in Atem, bevor Ganev und Wardas schliesslich gefasst werden konnten. "Es war surreal, hatte aber auch komische Seiten", gab Chaplins Tochter Geraldine später zu Protokoll.

Diesen surreal-komischen Aspekt versucht Xavier Beauvois in La rançon de la gloire während 114 Minuten herauszuarbeiten, doch die absurde Essenz dieses bizarren Verbrechens bleibt letztlich leider ausserhalb seiner Reichweite. Trotz zweier engagierter Hauptdarsteller wirken die komödiantischen Einschläge nicht selten ein wenig unsicher. Im Ganzen mag der Film amüsant sein, doch bleibt er in erster Linie auf Grund seiner Auseinandersetzung mit der Immigranten-Erfahrung seiner beiden Protagonisten in Erinnerung. Aus Wardas und Ganev werden Eddy (Benoît Poelvoorde), ein trickreicher Belgier, und Osman (Roschdy Zem), ein hart arbeitender Algerier, der dringend Geld benötigt, um den Spitalaufenthalt seiner Frau (Nadine Labaki) zu finanzieren. (Indem er den Nicht-Europäer in seinen komischen Stellen zum seriösen "Straight Man" macht, widersetzt sich Beauvois löblicherweise einem etablierten Stereotypen in der französischen Komödie.)

Nach einem Gefängnisaufenthalt quartiert sich Eddy (Benoît Poelvoorde, rechts) bei Osman (Roschdy Zem) und dessen Tochter Samira (Séli Gmach) ein. Dort heckt er einen Plan aus, wie er und Osman zu Geld kommen können.
© Why Not Productions
Es ist dieser märchenhaft gebrochene Sozialrealismus, der dem Film über seine Probleme – darunter eine allzu verästelte Erzählung, was eine leichte Überlänge zur Folge hat – hinweg hilft. Wie Samba (Omar Sy) und Wilson (Tahar Rahim) in Samba von Éric Toledano und Olivier Nakache sind Eddy und Osman ein sympathisches Duo, dessen Flucht in die – zugegebenermassen beinahe opferlose – Illegalität man als Zuschauer, auch dank der einnehmenden Darbietungen Zems und Poelvoordes, durchaus nachvollziehen und unterstützen kann. Beauvois inszeniert die beiden geradezu als Chaplin'sche Helden, zwei eingewanderte "Tramps", die den täglichen Kampf ums Überleben nach bestem Wissen und Gewissen zu meistern versuchen – sei es als Tagelöhner, als Zirkusartisten oder eben als amateurhafte (Leichen-)Diebe, die mit dem progressiven Exil-Briten Chaplin einen "ihresgleichen" entführt haben.

Stilistisch unterstreicht der Film diese Assoziation mit vereinzelten "stummen" Szenen, in welchen die Musikuntermalung dermassen anschwillt, dass sie alle anderen Geräusche übertönt und nur noch die Gesten von Eddy und Osman zu sehen sind; derweil in der letzten Einstellung auf das fast quadratische Bildformat des frühen Kinos zurückgegriffen wird. Wie so manches in La rançon de la gloire fügen sich zwar auch diese Versatzstücke nicht zu einem harmonisch-stringenten Ganzen zusammen, tragen aber zum anregenden Gesamtbild eines Regisseurs bei, der sich filmisch weiterzuentwickeln versucht.

★★★

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