Sonntag, 21. Dezember 2014

Maps to the Stars

Irgendwann in den 2000er Jahren fand David Cronenberg das, was seine Investoren wohl als goldene Mitte bezeichnen würden. Mit den relativ geradlinigen Dramen A History of Violence und Eastern Promises entfernte er sich stilistisch und dramaturgisch gerade weit genug von früheren, radikaleren Werken wie Videodrome, Crash oder eXistenZ, um ein breiteres Publikum anzusprechen, blieb aber gleichzeitig seinem Hang zur intelligenten Provokation ausreichend treu, damit Kritiker seine Filme gemeinhin als kreative Reifung bewerteten.

Diese Interpretation mag wohl nicht gänzlich unzutreffend sein – sowohl History als auch Promises sind einem Crash oder einem eXistenZ cineastisch letztendlich überlegen –, doch besteht die Gefahr, Reifung mit publikumswirksamer Einmittung gleichzusetzen. Cronenberg, nicht selten zu Unrecht als David Lynch zweiten Grades katalogisiert, wird nie ein Regisseur des klassischen Erzählkinos sein; ein Verharren im vermarktbaren Psychodrama-Genre wäre seinem künstlerischen Anspruch nicht gerecht geworden.

Entsprechend folgte ein Bruch: 2012 verfilmte er Don DeLillos einst verlachten Roman Cosmopolis und verschmolz darin seine alten transhumanen Obsessionen mit der Dekonstruktion menschlicher Ideale, wie sie in A History of Violence und Eastern Promises figurierten. Cosmopolis ist eine brillante, abgründige Satire auf eine Gesellschaft, welche bereitwillig genuine Menschlichkeit durch bedeutungslose Abstraktion ersetzt hat. Die Kritik fiel jedoch vernichtend aus.

Beeindruckt hat das Cronenberg offenbar nicht. Das Nachfolgewerk Maps to the Stars, nach einem Drehbuch von Bruce Wagner, folgt zwar einer narrativ weniger reduzierten Handlung, macht aber ansonsten weiterhin unbeirrt Gebrauch von all jenen Stilmitteln, die seinem Vorgänger zum Vorwurf gemacht wurden: Die Grenze zwischen Tragödie und Farce ist fliessend, der Tonwechsel oft irritierend abrupt; die Figuren sind bewusst flache Konstrukte, humanoide Hüllen, welche hauptsächlich leere Woorthülsen austauschen. Robert Pattinson, der in Cosmopolis die Hauptrolle des egomanischen Multimilliardärs Eric Packer übernahm, ist sogar erneut in einer Limousine unterwegs.

Agatha Weiss (Mia Wasikowska, links) findet in Hollywood Unterschlupf bei der von Wahnvorstellungen geplagten Schauspielerin Havannah Segrand (Julianne Moore).
© Pathé Films AG
Hier sitzt er jedoch als erfolgloser Schauspieler und angehender Drehbuchautor Jerome am Steuer und chauffiert zu Beginn die junge Agatha Weiss (Mia Wasikowska) durch ein geradezu grotesk hyperrealistisches Beverly Hills, wo unter den weissen Buchstaben des Hollywood-Schriftzuges Menschen mit überdimensionierten Egos an fataler Hybris und megalomanischen Selbstzweifeln zu Grunde gehen. Unter ihnen befindet sich die alternde Diva Havannah Segrand (Julianne Moore), die sich um einen Part in einem Arthouse-Remake jenes Films bemüht, für den ihre inzwischen verstorbene Mutter, von deren Geist (Sarah Gadon) sie verfolgt wird, einst eine Oscarnomination erhielt. Anderswo erfahren Stafford (John Cusack) und Cristina Weiss (Olivia Williams) von der Ankunft ihrer entfremdeten Tochter Agatha, die, so fürchten sie, zurückgekommen ist, um ihrem 13-jährigen Bruder Benjie (Evan Bird) etwas anzutun. Dieser, ein verwöhnter, arroganter Teenie-Filmstar, versucht indes nach einem Drogenentzug sein Management wieder von seiner Verlässlichkeit zu überzeugen.

Es ist schwer, eine so grossartige, eigensinnige Tour de force wie Cosmopolis zu überbieten; es überrascht also kaum, dass der philosophisch und ideologisch weniger weit reichende Maps to the Stars bei aller satirischer Verve schlussendlich nicht ganz so tiefe Spuren hinterlässt. Dennoch vertieft Cronenberg hier seine sardonische Abrechnung mit einer Menschheit, die ihre Gefühle auf widersinnige Konstrukte wie Prominenz, materielle Werte und eine idealisierte Vergangenheit projiziert. Die Mischung aus überspitztem Melodrama und unverhohlener Persiflage – die beiden klimaktischen Akte der Gewalt wirken beinahe wie eine bizarre Form von Slapstick – widerspiegelt die zugleich bemitleidenswerten und geradezu schmerzhaft amüsanten Charaktere, die sich in ihren überwiegend selbstverschuldeten Situationen als hilflose Opfer grosser kosmischer Verschwörungen sehen, allen voran die schrille Havannah, welche von Julianne Moore grandios als zu gross geratener – oder auch: niemals erwachsen gewordener – Teenager verkörpert wird.

Stafford Weiss (John Cusack) befürchtet, seine Tochter Agatha ist nach Beverly Hills gekommen, um Rache an ihrem Bruder, dem Teen-Star Benjie (Evan Bird), zu nehmen.
© Pathé Films AG
Cronenbergs Hollywood ist ein Ort der hohlen Retorten-Gefühle, wo weder im öffentlichen noch im privaten Raum jemals die Wahrheit gesagt und die menschliche Interaktion von nichts anderem als mehr oder weniger erfolgreich aufrecht erhaltenen Fassaden bestimmt wird. Die logische Folge davon ist, dass dem Film somit selber die emotionale Dimension fehlt, was ihm aber im Ganzen kaum schadet. Denn an tröstlichen Lichtblicken hat Cronenberg kein Interesse. Hinter seinen eigenen Genre-Fassaden ist Maps to the Stars kalte, berechnende, herausfordernde Subversion.

★★★★

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