Montag, 14. Dezember 2015

Rams

Kaum zwei Jahre nach Benedikt Erlingssons Of Horses and Men beehrt mit Grímur Hákonarsons Rams erneut ein isländischer Film die Kino-Weltbühne, in dem die Beziehung der Isländer zu ihren Tieren behandelt wird. Anders als Hákonarson vermag dabei mehr aus der Prämisse herauszuholen als platte Absurditäten über Sex und Tod, die bei Erlingsson überwogen.

Das wortkarge, lakonische Minimal-Drama, das stark an die Filme Aki Kaurismäkis und Dagur Káris erinnert, spielt in einem abgeschiedenen Tal im dünn besiedelten Osten Islands. Dort lebt eine kleine Gemeinde von Schafzüchtern, deren unangefochtene Könige die zerstrittenen Brüder Gummi (Sigurður Sigurjónsson) und Kiddi (Theodór Júlíusson) sind. Jahr für Jahr machen ihre Böcke beim lokalen Zuchtwettbewerb die ersten beiden Ränge unter sich aus. So auch dieses Jahr: Mit einem halben Punkt Vorsprung entscheidet der ältere Kiddi das Duell einmal mehr für sich – sehr zum Ärger des gewissenhaften Gummi.

Doch es scheint, als müsste das schon 40 Jahre währende Schweigen zwischen den beiden bald gebrochen werden. Gummi entdeckt bei Kiddis Siegerbock Symptome der Traberkrankheit, was bald von den Behörden bestätigt wird. Um der unheilbaren Viehkrankheit Herr zu werden, wird angeordnet, dass alle Züchter im Tal ihren ganzen Bestand notschlachten müssen.

Gerade auch im Vergleich mit Of Horses and Men ist Rams ein bemerkenswerter Film. Während Ersterer sich in seinen schrägen Episoden anzumassen schien, etwas von Bedeutung über das Menschsein auszusagen, verweigert sich Hákonarson derartigen Bemühungen – und hat letztlich dennoch den tiefsinnigeren, nachdenklicher stimmenden Film gemacht.

Zwischen den Schafzüchter-Brüdern Gummi (Sigurður Sigurjónsson, 3. v. l.) und Kiddi (Theodór Júlíusson, 7. v. l.) herrscht seit Jahrzehnten eisiges Schweigen.
© Xenix Filmdistribution
Man kann hier ohne weiteres einzelne Elemente symbolisch auffassen. Die krankheitsanfälligen, nach genetischen Vorteilen gezüchteten Schafe könnten sich auf das relativ isolierte isländische Volk beziehen, dessen begrenzter Genpool unter anderem zur Entwicklung von Apps geführt hat, auf denen angehende romantische Partner überprüfen können, ob sie nicht versehentlich Inzest begehen. Der abgeschiedene Schauplatz – mit seiner faszinierenden Wildromantik, aber auch seinen dezent angedeuteten menschlichen Abgründen – lässt sich problemlos als Mikrokosmos der ganzen Insel lesen.

Doch das liegt beim Betrachter. Selber bleibt Rams in seinem Kern durchgehend ein einfühlsames Drama über zwei entfremdete Brüder, die sich im Angesicht des Untergangs ihres traditionellen Lebensstils langsam wieder annähern müssen. Ohne viel Dialog, sondern mit lang ausgehaltenen, einfallsreich konzipierten, oft wunderschön symmetrischen Einstellungen porträtiert Hákonarson die komplexe Beziehung zwischen Gummi und Kiddi, die in einem offenen, den einen oder anderen Betrachter bestimmt irritierenden Ende perfekt kulminiert.

Rams ist ein leiser, in sich geschlossener Film, der mit seiner erzählerischen Bodenständigkeit und seiner formalen Eleganz bleibende Spuren hinterlässt. Nach Spektakel und ausufernder Dramatik sucht man hier vergeblich; was man bekommt, ist ein Musterbeispiel für jene Art von menschlichem Weltkino, dem der absehbare Erfolg an den Kinokassen von Herzen zu gönnen ist.

★★★★

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen