Donnerstag, 24. Juli 2014

Blue Ruin

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.

Mit Hilfe der Internet-Plattform Kickstarter ist es Regisseur, Autor und Kameramann Jeremy Saulnier gelungen, seinen neuesten Film fast ausschliesslich über Crowdfunding zu finanzieren. Das Resultat der innovativen Kampagne ist das archaische Rachedrama Blue Ruin.

Saulniers zweite Regiearbeit wirkt wie ein geistiger Verwandter von Jeff Nichols' Debüt, dem ausserhalb der USA kaum beachteten Arkansas-Familiendrama Shotgun Stories, welches, wie auch Saulniers Erstling, die Horrorkomödie Murder Party, 2007 erschien. Beide zeigen ein Amerika, das sich an die Visionen anlehnt, welche John Steinbeck und William Faulkner in ihren Romanen prägten – ein Amerika der Familienfehden, der Waffensammlungen und der Geister der Vergangenheit, die das Land unentwegt heimsuchen. Nichols' Film beeindruckte mit seiner dichten Atmosphäre, seinem düsteren Blick auf die geradezu biblischen Verhältnisse im Herzen der Vereinigten Staaten und mit dem Kunststück, die zentralen Konflikte so aufzulösen, dass – trotz des Titels – während der gesamten 90 Minuten Laufzeit nicht ein einziger Schuss fiel.

Blue Ruin übernimmt Stimmung und Subtext von Shotgun Stories, doch eine gewaltlose Beilegung ihrer Differenzen bleibt Saulniers Protagonisten nicht vergönnt. Vielmehr beleuchtet der Film die tragische Spirale der Gewalt, in die sie mit ihren alttestamentarischen Vorstellungen von Schuld und Sühne geraten (und der wohl auch Nichols' Figuren anheim gefallen wären, hätten sie jemals Gebrauch von ihren Flinten gemacht). Stein des Anstosses ist hier die Ermordung eines Ehepaars in den frühen Neunzigerjahren. Die mittlerweile erwachsenen Waisen Sam (Amy Hargreaves) und Dwight (Macon Blair – hervorragend) sind mit dem Trauma unterschiedlich umgegangen: Während Erstere zwei Kinder hat und einer einträglichen beruflichen Tätigkeit nachgeht, ist Letzterer ein bärtiger Landstreicher, der in seiner mobilen Rostlaube schläft und in Mülltonnen nach Essbarem sucht. Als der für den Mord an seinen Eltern verurteilte Wade Cleland aus dem Gefängnis entlassen wird, stellt Dwight ihm nach und bringt ihn um. Damit setzt er nicht nur sich selber, sondern auch Sam und ihre Töchter, dem Zorn des Cleland-Clans aus.

Der Rachefeldzug von Dwight (Macon Blair) führt ihn in eine fatale Spirale der Gewalt.
© Praesens Film
Anders als etwa dem atmosphärisch vergleichbaren Out of the Furnace fehlt Blue Ruin eine explizit als solche erkennbare politische Dimension. Saulnier erweist sich hier nicht als soziokulturell motivierter Chronist, sondern als überaus begabter Geschichtenerzähler in der Tradition von Hitchcock und Ford. Sein wortkarger Thriller lebt von der beklemmenden Stimmung, dem Gefühl, dass die Hauptfigur – welche nach dem Mord an Wade sich beinahe zur Unkenntlichkeit frisiert – jeden Moment von seinen Verfolgern gestellt werden könnte. Reisserisch oder unnötig blutrünstig wird der Film trotz diverser schockierend drastischer Gewaltmomente indes nie. Und auch die moralische Problematik des Rachegedankens lässt Saulnier nicht aussen vor: Im letzten Akt blättert Dwight nachgerade melancholisch durch ein Fotoalbum der Clelands, in dem Schnappschüsse von Angel-Ausflügen, Hauskatzen und spielenden Kindern zu sehen sind.

Untermalt wird die gekonnt aufgezogene Handlung von überzeugender Kameraarbeit, deren Subtilität aber immer wieder einem etwas aufdringlichen Blaufilter zum Opfer fällt; derweil sich das begrenzte Budget des Projekts besonders im bisweilen unsauberen Tonschnitt bemerkbar macht. Doch dies sind geringfügige Probleme in einem ansonsten hochklassigen Stück Erzählkino.

★★★★

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