Dienstag, 29. März 2016

Our Little Sister

Irgendwie kurios: Der japanische Autorenfilmer Hirokazu Koreeda, ein Experte für Existenzial- und Familiendramen wie Nobody Knows, Air Doll, I Wish oder Like Father, Like Son, präsentiert mit Our Little Sister eine Comicverfilmung.

Basierend auf Akimi Yoshidas Manga-Reihe Umimachi Diary, erzählt Koreeda von den Schwestern Sachi (Haruka Ayase), 29, Yoshino (Masami Nagasawa), 22, und Chika (Kaho), 19, die in der Stadt Kamakura zusammen ein Haus bewohnen. An der Beerdigung ihres Vaters Asano, den sie vor 15 Jahren zuletzt gesehen hatten, lernen sie ihre Halbschwester, die 14-jährige Suzu (Suzu Hirose) kennen, der sie anbieten, bei ihnen einzuziehen.

Genremässig bleibt sich Koreeda jedoch auch in Our Little Sister treu: Trotz eines überwiegend heiteren Tonfalls fusst die Handlung des Coming-of-Age-Dramas – auch Mittzwanziger können noch erwachsen werden – stark auf Konflikten sowie kleineren und grösseren Tragödien. Da wäre die Krankenschwester Sachi, die eine Beziehung mit einem verheirateten Arzt (Ryōhei Suzuki) eingeht; die Bankangestellte Yoshino, die ihrem Chef (Ryō Kase) bei deprimierenden Konkursgesprächen assistieren soll; die lebensfrohe Chika, die sich um ihren Freund (Takafumi Ikeda) sorgt, der seinem Leben als Bergsteiger nachtrauert; und das nagende Wissen, dass Suzu aus einer Affäre Asanos hervorgegangen ist.

Leichtfüssig arbeitet sich der Film durch die diversen Handlungsstränge und geht – ganz im Sinne einer Comicreihe – auch recht detailreich auf die Schicksale gewisser peripherer Charaktere ein. Die Erzähltradition Ozus, in die Koreeda gerne eingeordnet wird, trifft hier auf eine moderne Interpretation der jüngeren japanischen Generationen, wie man sie aus realistischeren Ghibli-Animes wie Isao Takahatas Only Yesterday oder Yoshifumi Kondōs Whisper of the Heart kennt.

Das weiss insbesondere dank des wunderbaren Zusammenspiels der vier Hauptdarstellerinnen zu gefallen, deren Beziehungsdynamiken untereinander von Koreeda hervorragend ausgelotet werden: Gegen die strenge Sachi wird gerne gestichelt, während Chika von ihren älteren Schwestern oft belächelt wird und sich wohl gerade deshalb mit der nur fünf Jahre jüngeren Suzu besonders gut versteht. Vor allem in den Szenen, in denen die vier Frauen unter sich sind, schwingen Erinnerungen an Mike Leighs ausgezeichnete Figurenzeichnung in Another Year mit.

Nach dem Tod ihres Vaters nehmen Schwestern Sachi (Haruka Ayase, links), Yoshino (Masami Nagasawa) und Chika (Kaho) ihre Halbschwester Suzu (Suzu Hirose) bei sich auf.
© trigon-film
Umso enttäuschender ist es, mit ansehen zu müssen, wie der Film mit zunehmender Laufzeit allmählich ausfranst. Obwohl ihm fünf bis sechs Ausgaben des Umimachi Diary zu Grunde liegen, rechtfertigt die Geschichte die 130 Minuten nicht, die er beansprucht. Zu gleichförmig sind dafür gewisse dramatische Fäden; zu lange verweilt Koreeda bei der einen oder anderen Episode; zu sehr fehlt dem Ganzen der Fokus, den auch ein assoziatives "C'est la vie"-Narrativ zu einem gewissen Grad braucht; zu bemüht zeigt sich Koreeda, sämtliche Nebenplots explizit aufzulösen.

In Our Little Sister zeigt sich der Auteur Koreeda zweifellos nicht auf der Höhe seines Könnens. Trotz einer gefälligen Inszenierung und eines zuweilen äusserst perzeptiven Skripts sind es letztlich primär Ayase, Nagasawa, Kaho und Hirose, die dem vielleicht etwas gar unspektakulären Film seine Seele verleihen.

★★★

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