Donnerstag, 23. Mai 2013

The Great Gatsby

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

F. Scott Fitzgeralds The Great Gatsby gilt als der vielleicht beste Roman aller Zeiten. Der fünfte Versuch einer Filmadaption, inszeniert von Baz Luhrmann, ist ein zeitgemässes Porträt einer von Prunk und Pomp besessenen Gesellschaft – aber auch eine Bankrotterklärung seines Regisseurs.

Im Sommer 1922 ist New York das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum der Welt: Die Börse boomt, am Broadway schwingen die "Ziegfeld Follies" die Beine, Bewunderer(innen) von Douglas Fairbanks und Rudolph Valentino füllen die Lichtspielhäuser; der billige, weil illegale, Alkohol fliesst in den zahllosen Speakeasys in Strömen; wer es sich leisten kann, feiert jede Nacht bis zum Morgengrauen durch. Fasziniert davon ist auch der junge Weltkriegsveteran und angehende Schriftsteller Nick Carraway (Tobey Maguire), der ein kleines Haus auf Long Island bezieht und an der Wall Street sein Glück versuchen will. Von seiner Cousine Daisy (Carey Mulligan) und deren Ehemann Tom (Joel Edgerton) erfährt er von einem stadtbekannten Lebemann namens Gatsby (Leonardo DiCaprio), der, wie sich herausstellt, die Villa neben Nicks Hütte bewohnt. Während einer von Gatsbys rauschenden Partys treffen sich die beiden erstmals und werden zu Freunden. Bald schon bittet Gatsby Nick, der nach und nach auch die dunklen Seiten von New Yorks Hautevolee kennenlernt, darum, ein Treffen mit Daisy, seiner einstigen Geliebten, zu arrangieren.

"What's all this for?", fragt der überwältigte Nick seinen neuen Freund, das dekadente Spektakel betrachtend, welches sich in dessen mit imposanten Memorabilia aus aller Herren Länder ausgestatteten Schloss abspielt. Es ist eine der zentralen Fragen aus F. Scott Fitzgeralds Jahrhundertroman, verfasst im Jahr 1925 – bevor die Weltwirtschaft kollabierte, bevor Fitzgeralds Ehe zu bröckeln begann, bevor er sich um seine Gesundheit trank. Wozu der besinnungslose Überfluss, das Leben, als gäbe es kein Morgen? Diese Frage im Jahr 2013 zu stellen, nach der "grossen Rezession", die ganze Staaten an den Rand des Ruins getrieben hat, hat etwas erfrischend (sic) Zynisches; sie verleiht dem Film eine gesellschaftskritische Dimension, wie man sie seit Romeo + Juliet (1996) bei Baz Luhrmann (Moulin Rouge!, Australia) nicht mehr gesehen hat. Ganz bewusst stellt er eine Verbindung zwischen Fitzgeralds New York, wo sich in den gesetzeswidrigen Bars Politiker und Gangster die Hand reichen, und der Gegenwart her, in der, keine fünf Jahre nach dem Kollaps, die Banker-Boni und die Spekulation wieder ins Kraut schiessen.

Der junge Autor Nick Carraway (Tobey Maguire, links) wird vom Lebemann Jay Gatsby (Leonardo DiCaprio) in die New Yorker Hautevolee eingeführt.
© 2013 Warner Bros. Ent.
Doch man könnte sie auch an Luhrmann selbst richten: "What's all this for?" Denn der australische Regisseur ergötzt sich in The Great Gatsby einmal mehr an seinem hyperaktiven, in opernhaftem Exzess schwelgenden Stil. Knapp 45 Minuten lang bombardiert er sein Publikum mit rasanten Schwenks, schwindelerregenden Kamerafahrten und Einstellungen, welche kaum je länger als zwei Sekunden ausgehalten werden. Kombiniert mit überwiegend zwecklosem 3-D, führt dies nicht nur zu akuten Kopfschmerzen, sondern auch zu rascher Übersättigung; bald wirkt der ganze Zirkus mitsamt seinen kunstvollen Schauwerten, so sehr er auch zum Quellenmaterial passen mag, ermüdend.

Als endlich Fitzgeralds Geschichte die Überhand gewinnt, weicht Luhrmanns fast unerträgliche Vision einem nüchterneren Tonfall, durch den The Great Gatsby von der überdrehten Effektorgie zum blutleeren, bleiern vorgetragenen Pseudo-Kammerspiel wird; jegliches Leben verfliegt. Und da sich hinter Luhrmanns Glitzer-Fassade kein wirklich begabter Regisseur verbirgt, hält sich der viel zu lange Film einzig und allein deshalb über Wasser, weil er an strategischen Punkten Fitzgeralds atemberaubende Prosa direkt zitiert. Vielleicht ist der Roman gerade deshalb grosse Literatur: Seine ganze Wirkung entfaltet er nur in geschriebener Form. Und dagegen kommt auch Baz Luhrmanns seelenloses (dekadentes?) Spektakel nicht an.

★★

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