Donnerstag, 22. September 2011

Le chat du rabbin

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

In der Kunst sind Tiere der menschlichen Sprache schon lange mächtig. Doch was Aesop und La Fontaine als pointierte Sozialkritik einsetzten, haben Disney & Co. mittlerweile fast etwas verniedlicht. Da kommt Le chat du rabbin gerade recht; ein geistreiches Plädoyer für religiöse Toleranz.

Dass Katzen nicht wirklich ins klassische Heldenschema passen, ist keine neue Erkenntnis. Schon zu Zeiten Shakespeares fungierten sie oft als Helfer und Gefährten der Antagonisten. Auch im Kino ist diese Tendenz erkennbar; Bond-Bösewicht Blofeld ist stets mit weisser Perserkatze auf dem Schoss zu sehen, in Cats & Dogs wollen die kuscheligen Mäusejäger die Weltherrschaft an sich reissen (woran sie von den braven, Kommandos gehorchenden Hunden natürlich gehindert werden) und auch in den Tiertrickfilmen Disneys befinden sie sich meistens auf der Seite der Bösewichte. Johann Sfar (Serge Gainsbourg, vie héroïque) und Antoine Delesvaux versuchen in Le chat du rabbin, der Verfilmung von Sfars gleichnamigem Comic, gar nicht erst, die kätzische Hauptfigur in einen Vorzeigehelden zu verwandeln. Das namenlose Tier handelt eigennützig, ist verschlagen, frönt seinem Jagdinstinkt und ist, wie letztlich jede Katze, ein veritables Raubtier, ein frecher, unabhängiger Dämon, den nicht zu lieben aber gänzlich unmöglich ist.

Dies gilt auch für Rabbi Sfar und dessen Tochter Zlabya, die im Algier der 1920er-Jahre, also zur Zeit der französischen Kolonialherrschaft, leben. Als die Hauskatze eines Tages den Familienpapagei verspeist, geschieht ein Wunder: Das Tier beginnt zu sprechen. Doch was es von sich gibt, gefällt dem Rabbi nicht: Es lügt, es ist vorlaut und es zweifelt am Wahrheitsgehalt der Thora, woraufhin Sfar seiner Tochter weiteren Kontakt mit ihrem Schosstier verbietet. Also will die Katze ein guter Jude werden und besteht auf einer Bar Mitzwa. Und es warten weitere ungewöhnliche Abenteuer: Ein Flüchtling aus Russland kommt nach Afrika, um einen sagenumwobenen Stamm von äthiopischen Juden zu suchen. Bald schon brechen er, ein Millionär, ein muslimischer Weiser, der Rabbi und die Katze zu einer waghalsigen Wüstendurchquerung auf.

Die Katze debattiert mit ihrem Herrchen, dem Rabbi Sfar, über allerlei religiöse Themen.
Der Fokus von Le chat du rabbin liegt jedoch nicht ausschliesslich auf der exzellent charakterisierten Katze; die Sorgen des Rabbis kommen ebenso zum Tragen wie die des russischen Juden, der der kommunistischen Säuberung nur knapp entkommen konnte. Alle diese Anekdoten führen zwar zu einem Film mit eher unstetem Rhythmus, worüber man jedoch dank des stellenweise herrlich schwarzen Humors – Stichwort: die bitterböse Tintin au Congo-Persiflage – problemlos hinwegkommt. Und obwohl der Film oft den Standpunkt der Katze einnimmt und wie sie Witze über alle drei abrahamitischen Religionen reisst, liegt dem Ganzen das humanistische Anliegen der gegenseitigen Toleranz, welches sehr gut in die Geschichte integriert wird, zugrunde. Auch visuell überzeugt der Film: Es wird mit verschiedenen, alles sehr einfachen, Zeichenstilen gearbeitet, die der Erzählung eine wunderbar märchenhafte Atmosphäre verleihen.

Unmöglich, dieser ausgefallenen Pilgerreise in geschriebener Form gerecht zu werden. Einen vielschichtigeren und gleichzeitig abgedrehteren Trickfilm als Le chat du rabbin kann man zurzeit nirgends im Kino sehen.

★★★★½

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