Samstag, 26. Januar 2019

Mary Poppins Returns

"Basierend auf den Mary Poppins-Büchern von P.L. Travers", heisst es im Vorspann von Mary Poppins Returns. Dass es sich dabei um nicht viel mehr als ein urheberrechtliches Feigenblatt handelt, ist selbstverständlich, ist das familienfreundliche Musical von Rob Marshall (Chicago, Nine, Into the Woods) doch das Werk einer Walt Disney Company, die seit einigen Jahren eine aggressive Nostalgieoffensive fährt: Animierte Publikumslieblinge wie Beauty and the Beast (1991/2017) oder Dumbo (1941/2019) werden als Realspielfilme neu aufgelegt; ein Studio-Klassiker wie Mary Poppins (1964) erhält eine späte Fortsetzung.

Doch obwohl Mary Poppins Returns 25 Jahre nach dem ersten Film spielt, wirkt das Ganze weniger wie eine Weiterführung und mehr wie ein ratloses Remake – ein verzweifelter Versuch, die Magie von damals wieder aufleben zu lassen, indem man das gleiche Programm noch einmal abspult. Gleichzeitig aber scheinen Marshall und Drehbuchautor David Magee (Finding Neverland) den Sinn ihrer Vorlage nicht verstanden zu haben.

Ging es in Robert Stevensons originaler Travers-Adaption etwa noch um Solidarität, Familie und die von Grund auf dubiose Finanzwelt, erweist sich der schnöde Mammon bei Marshall und Magee als Retter in der Not. So müssen hier George (Ben Whishaw) und Jane Banks (Emily Mortimer), die inzwischen erwachsen gewordenen Schützlinge des magischen Kindermädchens Mary Poppins, beweisen, dass sie Anteile an der Bank besitzen, der George seit dem Tod seiner Ehefrau ein kleines Vermögen schuldet und die ihm deshalb mit einer Hausenteignung droht. Zur Hand gehen dem überforderten Geschwisterpaar dabei Georges Kinder Annabel (Pixie Davies), John (Nathanael Saleh) und Georgie (Joel Dawson), der Lampenanzünder Jack (Lin-Manuel Miranda) und – natürlich – die zurückgekehrte Mary Poppins (Emily Blunt).

Dass der Gegenspieler der Protagonisten ein hinterhältiger Bankier (Colin Firth) ist, ist letztlich ein bedeutungsloses Lippenbekenntnis, da sich George schliesslich – mit der Hilfe eines alten Bekannten – trotzdem aus seinen Problemen herauskaufen kann. 1964 sang Julie Andrews' Mary Poppins in der Geschichte der Vogelfrau noch das Hohelied der Almosen: "All around the cathedral the saints and apostles / Look down as she sells her wares / Although you can't see it, you know they are smiling / Each time someone shows that he cares". Heute kann George von Glück reden, dass er sein Geld als Kind investiert und nicht gespendet hat.

Sie ist wieder da: Mary Poppins (Emily Blunt) kehrt nach 25 Jahren zur Banks-Familie zurück.
© Disney
Mary Poppins Returns ist voll von solchen nachlässigen Interpretationen der eigenen Franchise. Das gesunde Selbstbewusstsein der Titelfigur sowie ihre augenzwinkernde Art, die eigene Magie abzustreiten, wirken bei der insgesamt solide aufspielenden Emily Blunt schnippisch und bisweilen sogar ein wenig beängstigend.

Das musikalische Finale "Nowhere to Go But Up" wiederum zitiert zwar die zum Kult gewordene Schlussnummer des Originals ("Let's Go Fly a Kite"), missversteht aber deren Sinn. Beide Songs begleiten Mary Poppins' Abreise, doch während in "Kite" nichts Übernatürliches geschieht – weil eine glückliche Familie, die gemeinsam einen Drachen steigen lässt, per se ein Stück Alltagsmagie ist –, fliegen die Figuren in "Up" mit Ballons durch die Luft, was hübsch aussehen mag, emotional und thematisch aber, gelinde gesagt, Unsinn ist.

Zusammen mit den Banks-Kindern erlebt Mary Poppins wieder magische Abenteuer.
© Disney
All das ist das Resultat einer Produktion, die einen heiss geliebten Klassiker nicht mit Füssen treten will und ihn deshalb ohne Rücksicht auf Stimmigkeit und innere Kohärenz nachzuäffen versucht. Die beste Illustration dieses fragwürdigen Konzepts ist der Soundtrack: Anstatt eine neue Generation mit originellem Liedmaterial zu begeistern, gibt man sich mit minderwertigen Kopien der ursprünglichen Sherman-Brothers-Gassenhauer zufrieden. Von wenigen Ausnahmen abgesehen ("A Conversation", "The Place Where Lost Things Go"), ist hier nichts berührend oder mitreissend, sodass sich die Frage stellt, wer in 20 Jahren noch "Can You Imagine That?", "The Royal Doulton Music Hall" oder "Trip a Little Light Fantastic" vor sich hin summen wird, wenn die weit überlegenen Vorlagen ebendieser Lieder – "A Spoonful of Sugar", "Supercalifragilisticexpialidocious", "Chim Chim Cher-ee" – weiterhin auf jedem Mary Poppins-Soundtrack erhältlich sind.

Dies ist denn auch das Fragezeichen, das über dem ganzen Konstrukt Mary Poppins Returns hängt: Warum soll man sich diesen Film ansehen, wenn Mary Poppins bereits existiert? Marshalls schön ausstaffiertes, aber lebloses und nur sehr lose zusammenhängendes Sequel-Remake bleibt die Antwort schuldig.

★★

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