Samstag, 12. Dezember 2015

Bridge of Spies

Glaubt man der Rezeption, so zieht es Steven Spielberg seit einigen Jahren vom massentauglichen Blockbuster zu politisch expliziterem Kino. Sein Lincoln (2012) wurde als verdeckte Aufforderung an Barack Obama aufgefasst, sich mit präsidialem Vertrauen in die eigene historische Rolle über die Einschränkungen der Tagespolitik hinwegzusetzen. Mit Bridge of Spies präsentiert Spielberg nun ein vielleicht etwas gar ausladendes Plädoyer gegen staatlich geförderte Vorurteile und isolationistisches Blockdenken.

Eines jedoch vorweg: Wie Saving Private Ryan, Catch Me If You Can, The Terminal und nicht zuletzt Lincoln ist auch Bridge of Spies, bei aller unterschwellig geäusserten Kritik an der Geschichte Amerikas, ein unzweifelhaft patriotischer Film. Mit fast schon libertarischem Eifer besingen Spielberg und das Drehbuchautoren-Trio, bestehend aus Matt Charman und den Coen-Brüdern, die Macht des findigen privaten Geschäftsmannes, den Karren aus dem Dreck zu ziehen, den eine unbeholfene Regierung mit kurzsichtigem Fanatismus darin versenkt hat.

Der amerikanische Jedermann, der hier mit Pragmatismus und Menschlichkeit zwei entgegengesetzten gesichtslosen Systemen die Stirn bietet, ist der Anwalt James "Jim" Donovan, der auf der Höhe des Kalten Krieges vom unverhofften Verfechter der Rechtsstaatlichkeit zum Unterhändler zwischen den USA und der Sowjetunion "befördert" wurde. Gespielt wird der 1970 verstorbene Donovan – wie könnte es auch anders sein? – von Tom Hanks, für den das vorliegende Rollenmuster so etwas wie eine Karriere-Grundlage darstellt. (Big, Philadelphia, Forrest Gump, Apollo 13, Saving Private Ryan, The Green Mile, Road to Perdition, Charlie Wilson's War, Captain Phillips – die Liste liesse sich beliebig erweitern.)

Donovan wird 1957 dazu verdonnert, die gesetzlich vorgesehene Verteidigung für den in England geborenen sowjetischen Spion Rudolf Abel (ein grossartiger Mark Rylance) anzutreten. Pflichtbewusst nimmt der auf Versicherungsfälle spezialisierte Anwalt die undankbare Aufgabe an und bemüht sich in der Folge leidenschaftlich darum, seinen Klienten vor der Todesstrafe zu bewahren.

Anwalt James Donovan (Tom Hanks, rechts) erhält den Auftrag, dem ertappten sowjetischen Spion Rudolf Abel (Mark Rylance, links) vor Gericht als Pflichtverteidiger zu dienen.
© 2015 Twentieth Century Fox Film Corporation
Während die Verhandlung in den amerikanischen Medien breit getreten wird – und Donovan hinter Abel zum Volksfeind Nummer zwei "avanciert" –, trainiert die CIA auf einem Stützpunkt in Pakistan ausgewählte Kampfpiloten, darunter Francis Gary Powers (Austin Stowell), mit einem hoch entwickelten Beobachtungsflugzeug Spionageflüge über der UdSSR zu unternehmen. Während eines solchen Einsatzes wird Powers prompt abgeschossen und gerät in sowjetische Gefangenschaft.

Der Kalte Krieg ist in Bridge of Spies nicht primär ein Konflikt der polaren Ideologien, sondern zweier ähnlich strukturierter und funktionierender Blöcke. Beide Seiten verfügen über ein nukleares Arsenal; beide entsenden Spione, um einander Geheimnisse zu stehlen; beide sind daran interessiert, die Gegenseite im Verborgenen zu destabilisieren. Gerade in der ersten Hälfte des Films erlauben sich Spielberg, Charman und die Coens in diesem Zusammenhang einen für Hollywood-Verhältnisse fast schon satirischen Blick auf die amerikanische Seite: Wie eine Horde willenloser Kommunisten-Aliens aus Invasion of the Body Snatchers stellt sich eine Schulklasse samt Lehrerin morgens vor die US-Flagge, um wie aus einem Mund den "Pledge of Allegiance" aufzusagen. Zeigen sich die Amerikaner empört ob des verfassungskonformen Prozesses, den Abel erhält – was nach der Strafmass-Verkündung (30 Jahre Haft) in blanke Lynchjustiz-Gelüste übergeht –, erntet das beinahe identische Urteil für Francis Powers stehende Ovationen des russischen Publikums.

Um mit sowjetischen Unterhändlern über einen Gefangenenaustausch zu verhandeln, wird Donovan kurz nach Errichtung der Berliner Mauer in die geteilte deutsche Metropole geschickt.
© 2015 Twentieth Century Fox Film Corporation
Fast alle diese einnehmenden Feinheiten fallen in den ersten Akt eines Films, der nach einer guten Stunde seinen Helden die Koffer packen und ins geteilte Berlin reisen lässt, um dort als nichtstaatlicher Vertreter der USA um einen Gefangenenaustausch zu feilschen: Abel für Powers und den an der neu errichteten Berliner Mauer festgenommenen Studenten Frederic Pryor (Will Rogers). Was danach kommt, schlägt ziemlich schnell die Route eines konventionelleren Spionagedramas mit Kalter-Krieg-Thematik ein. Das glänzt zwar ebenfalls mit beeindruckenden Kulissen, atmosphärischen Bildern – die für Kameramann Janusz Kamiński so typische grelle Gegenbeleuchtung erreicht hier neue Höhepunkte –, trockenem Humor und einem relativ hohen Unterhaltungswert; die beträchtliche Länge wirkt jedoch kaum gerechtfertigt. Ein gewissenhafterer Schnitt hätte die Irrungen und Wirrungen in West- und Ost-Berlin straffen und den Film auf schlanke zwei Stunden reduzieren können.

Bridge of Spies bleibt somit eine anregende, aber leicht aufgeblähte Angelegenheit, die sich mitunter in ihrer Mischung aus Humanismus und amerikanischem Exzeptionalismus verheddert. Denn am Ende bleibt der Ostblock ein nebliges, graues, verfallendes Niemandsland – und damit dem in Hunderten von Filmen etablierten Klischee treu. "Dort" werden Mauerkletterer gnadenlos erschossen; derweil dieselbe Tätigkeit "hier" in den USA noch ein scheinbar unschuldiges Kinderspiel ist, wie es in einer der letzten Szenen zu sehen ist. Doch dank des vergleichsweise differenzierten Gesamtprodukts, ist man durchaus gewillt, in diesem Bild eine Vorahnung auf den nahenden Vietnamkrieg zu sehen.

★★★★

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