Montag, 30. November 2015

Sicario

Nachdem sein Incendies 2011 für den Fremdsprachen-Oscar nominiert wurde, empfahl sich der Frankokanadier Denis Villeneuve 2013 mit dem Kriminalthriller Prisoners einem noch breiteren Publikum. Zwei Jahre später legt er nun Sicario vor, eine nicht minder eindringliche Auseinandersetzung mit dem Drogenkrieg, der schon seit langem im amerikanisch-mexikanischen Grenzgebiet wütet.

Die eklatante Schwäche, die den exzellent aufgezogenen Prisoners letztlich an wahrer filmischer Grösse hinderte, macht sich auch in Villeneuves neuestem Projekt bemerkbar. Während Ersterer im dritten Akt den Fehler beging, sämtliche narrativen und moralischen Grautöne mittels eines frustrierend blitzsauberen Dénouements aus der Welt zu schaffen, lässt Sicario auf den letzten Metern eine Tendenz in Richtung erzählerischer Bequemlichkeit in Form einer etwas plumpen Verschwörungstheorie erkennen. Doch weil sich Drehbuchautor Taylor Sheridan mit seiner derartig formulierten Kritik am internationalen "War on Drugs" immer noch im Rahmen des überspannenden atmosphärischen Konzepts von Sicario bewegt, wiegt diese Entwicklung im Endeffekt deutlich weniger schwer als die unstimmige Kapitulation von Prisoners vor der Konvention.

Villeneuve und Sheridan erzählen von der FBI-Agentin Kate Macer (Emily Blunt), die nach dem Erstürmen eines Drogenkartell-Hauses in Arizona von der CIA angeheuert wird, um einer Spezialeinheit beizustehen, die in der texanischen Grenzstadt El Paso stationiert ist. Bald jedoch wird klar, dass Einsatzleiter Matt Graver (Josh Brolin) und Kartell-Experte Alejandro Gillick (Benicio del Toro) nicht auf US-amerikanischem Boden operieren: Ziel ihrer ersten Mission ist es, ein hochrangiges Bandenmitglied sicher vom mexikanischen Ciudad Juárez über die Grenze nach El Paso zu bringen, um ihn dort zu verhören und Informationen über einen mysteriösen Kartellboss zu erhalten.

Abgesehen von den letzten 20 Minuten, ist Sicario aber weit weniger handlungsorientiert als es die Synopsis vermuten liesse. Mehr noch als in Prisoners stehen hier die Atmosphäre und der einzelne Moment im Mittelpunkt. Die erste Hälfte allein wird von zwei grossartig in Szene gesetzten Geheimdienst-Einsätzen dominiert – Kates Einheit in Arizona sowie die CIA-Aktion in Juárez –, die konstant, und im besten Sinne, an die stilistisch ähnlichen Szenen in Kathryn Bigelows Terrorismus-Dramen The Hurt Locker und Zero Dark Thirty erinnern. Sheridans Plot trägt zwar genug, um diese zu Recht ausgedehnt dargestellten Passagen zielgerichtet wirken zu lassen, bleibt aber überwiegend suggestiv, sodass sich Villeneuves packende Inszenierung frei entfalten kann – eine Freiheit, die ihm Aaron Guzikowskis Skript in Prisoners nie gänzlich zugestand.

FBI-Agentin Kate Macer (Emily Blunt) wird von der CIA für den Kampf gegen Mexikos Drogenkartelle eingezogen.
© Impuls Pictures AG
Somit ist Sicario wohl am ehesten vergleichbar mit David Ayers Polizeidrama End of Watch, einem der wenigen US-Filme nach Steven Soderberghs Traffic (2000), einem vierfachen Oscargewinner (darunter Benicio del Toro als bester Nebendarsteller), in denen der mexikanische Drogenhandel thematisiert wird. Das filmische Erlebnis an sich, die Nähe an den Figuren, die Unmittelbarkeit der Konflikte, die intensive Bildhaftigkeit haben einen höheren Stellenwert als das Einhalten und Abarbeiten einer konventionellen Dramaturgie. Nicht nur fängt Kameramann Roger Deakins die Wüstenschauplätze mit einem bewundernswert scharfen Auge für Farben und Schatten ein – Erinnerungen an seine Arbeit in No Country for Old Men werden wach –; Jóhann Jóhannssons Musik entspricht mit ihren dumpfen, bedrohlichen Tönen perfekt der von den Kartellen kultivierten Totensymbolik.

Schliesslich bleibt das einzig wirklich enttäuschende Element in Villeneuves Film sein Umgang mit der Hauptfigur. Denn obwohl dem Entschluss, mit Emily Blunt eine stereotype Männerrolle mit einer Frau zu besetzen, viel Lob gebührt, wird Kate Macer Opfer einer unangenehm bevormundenden Geschichte. Mehrmals muss sie von ihren männlichen Kollegen gerettet werden; viele Szenen kommen erst dadurch zustande, dass sie einen Anfängerfehler begeht. In einem ansonsten überzeugenden Film ist dies der einzige Wermutstropfen – wenn auch einer, der sich dank Blunts starker Darbietung verschmerzen lässt.

★★★★

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