Donnerstag, 20. August 2015

Trainwreck

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.

Dank Filmen wie The 40-Year-Old Virgin oder Knocked Up gilt Judd Apatow als Begründer der neuen US-Komödie des 21. Jahrhunderts und gehört somit zu den einflussreichsten Regisseuren Hollywoods. Dass das ein Anlass zur Sorge ist, wird einem in Trainwreck einmal mehr schmerzlich klar.

Um das Phänomen Apatow richtig zu verstehen, muss man es erst in seinem zeitlichen und medialen Kontext betrachten, wodurch man auch zur Erkenntnis gelangen muss, dass es durchaus nicht falsch ist, den 47-jährigen New Yorker als Visionär zu bezeichnen. Zu einer Zeit, als im amerikanischen Komödienkino ein tiefer Graben klaffte zwischen infantilen Parodien wie Date Movie oder Epic Movie sowie gleichförmigen Liebeskomödien von der Stange und anspruchsvollerer, ambitionierterer Kost aus der Independent-Gemeinde (I Heart Huckabees, Sideways, Little Miss Sunshine), machte sich Apatow die bestehende Marktlücke geschickt zu Nutze. Er adaptierte die Rom-Com-Formel, übernahm die Vorliebe der ... Movies für kurzlebige popkulturelle Anspielungen und derbe Sexwitze, vermengte beides mit den gewichtigen Motiven der Indie-Komödien – Familie, Identität, Midlife-Crisis – und besetzte die Mixtur mit aufstrebenden Akteuren aus den Comedy-Clubs und Impro-Theatern von New York (darunter Steve Carell, Seth Rogen und Paul Rudd). Das Resultat war The 40-Year-Old Virgin (2005), eine nicht unintelligente Sexkomödie, deren ausschweifende, frei laufende, oft improvisierte Dialoge sich äusserst wirkungsvoll von der immergleichen Hollyood-Skripttreue abhoben.

Seitdem hat Apatow, Trainwreck eingerechnet, noch vier Filme gemacht (Knocked Up, Funny People, This Is 40) und zahlreiche produziert (Superbad, Forgetting Sarah Marshall, Step Brothers, Bridesmaids); wenige sind im US-Filmgeschäft so gut vernetzt wie er. Und das wird immer mehr zu einem Qualitätsproblem. Denn inzwischen ist in seinen Projekten nichts mehr von Innovation zu spüren; er ruht sich auf seinem etablierten – besser gesagt: festgefahrenen – Stil aus und treibt ihn zunehmend ins unlustige Extrem. Das war im katastrophalen, irritierend ichbezogenen This Is 40 zu spüren, und der Trend setzt sich auch im wenigstens sporadisch von witzigen Lichtblicken durchsetzten Trainwreck fort – obschon Apatow hier nicht einmal für das Drehbuch verantwortlich war. Verfasst wurde dieses von Stand-Up-Comedienne Amy Schumer, welche hier die überzeugte Monogamie-Gegnerin Amy spielt. Begeistert frönt die Klatsch-Journalistin ungezwungenen One-Night-Stands, bis sie während eines Auftrags ihrer Chefredaktorin (Tilda Swinton – brillant bis zur Unkenntlichkeit geschminkt) den Sportchirurgen Aaron (Bill Hader) kennen lernt und sich zu ihrem eigenen Schrecken in diesen zu verlieben scheint.

"Girl, Interrupted": Die Monogamie-Gegnerin Amy (Amy Schumer) scheint sich in den Sportchirurgen Aaron (Bill Hader) zu verlieben.
© Universal Pictures Switzerland
Eine Stunde lang muss man sich in diesem mit 124 Minuten viel zu lang bemessenen Film mit Apatows mittlerweile zweifelhaftem Verständnis von Humor-Inszenierung begnügen. Praktisch jeder Satz enthält eine erzwungene sexuelle Bemerkung ("Mom was so fuckable then"), die nur in den seltensten Fällen als Witz zu werten ist. Szenen dauern auf Grund miserabel geschnittener, uninspirierter Improvisation um ein Vielfaches länger als sie sollten, was das Publikum, so scheint es, selber als Gag auffassen soll. Die Popkultur-Zitate wirken willkürlich und deplatziert ("Your penis is like Game of Thrones"); die Cameo-Auftritte – von unzähligen Sportlern und Komödianten bis hin zum 100-jährigen Hitchcock-, Renoir- und Chaplin-Veteranen Norman Lloyd – tragen nur wenig zum Gesamteindruck bei und machen eher den Anschein, als brüste sich Apatow lediglich mit seinem erlesenen Freundeskreis.

In der zweiten Stunde verschiebt sich der Fokus von Trainwreck auf die emotionalen Konflikte, die sich zwischen Amy und Aaron, ihrer monogamen Schwester (Brie Larson) und dem Rest ihrer Bekannten anbahnt, beginnend mit dem Tod ihres Vaters (Colin Quinn). Es ist ein ebenso fragwürdiges wie zweckloses Erzählmittel, da diese Verlagerung in Richtung emotionaler Ernsthaftigkeit angesichts der geschmacklos-derben ersten Hälfte zum einen unehrlich wirkt und man als Zuschauer zum anderen nur wenig Sympathien für irgendeine der eindimensional dargestellten Figuren hegt. Dem könnte eine einnehmende Darbietung Schumers in der Hauptrolle einigermassen entgegenwirken, doch die Tatsache, dass sie vom als Gast auftretenden Basketballstar LeBron James komödiantisch an die Wand gespielt wird, zeigt schön, auf welch verlorenem Posten sie und Apatow in Trainwreck stehen.

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