Mittwoch, 11. Juni 2014

La belle et la bête

Ein längst nicht nur unter Disney-Skeptikern verbreiteter Witz besagt, dass Beauty and the Beast, der Zeichentrick-Meilenstein aus dem Jahr 1991, basierend auf einem französischen Volksmärchen, auch als verfilmtes Stockholm-Syndrom betitelt werden könnte. Die schöne Belle wird von einem Prinzen, der durch einen Fluch in ein haariges Biest verwandelt worden ist, in seinem Schloss eingesperrt, wo ihre Angst nach und nach der Faszination und schliesslich der Liebe weicht.

An sich scheint das zynische Bonmot durchaus seine Berechtigung zu haben. Doch es ist kein Zufall, dass das Musical zur ersten vollständig animierten Produktion avancierte, die eine Oscarnomination für den besten Film erhielt, auf rangierten Disney-Retrospektiven immer wieder unter den Spitzenplätzen zu finden ist und nicht selten in einem Atemzug mit Jean Cocteaus legendärer Adaption des Stoffs genannt wird. Die belesene Belle gehört nach wie vor zu den ausgereiftesten Disney-Heldinnen; dem Verlauf ihrer Beziehung mit dem monströsen Königssohn wurde die nötige Aufmerksamkeit geschenkt; die Figurenentwicklungen sind nachvollziehbar und vermögen der potentiell verdächtigen Prämisse mühelos entgegen zu wirken.

Als weitaus würdigerer Adressat für den Vorwurf der Romantisierung des Stockholm-Syndroms bietet sich die von Christophe Gans (Le pacte des loups, Silent Hill) inszenierte Neuverfilmung an, eine französisch-deutsche Koproduktion, reich an CGI (35 Millionen Euro kaufen viele Pixel), arm an Substanz. La belle et la bête stellt ein eindrückliches Fallbeispiel dafür dar, wie eine unbeholfene Konzeption eine simple, inhaltlich verständlicherweise nur begrenzt ausgearbeitete Fabel in eine unangenehme Entführungs-Romanze verwandeln kann, wie Fantasie zu Firlefanz und Poesie zu blankem Humbug werden kann.

Der Film besteht nicht so sehr aus einer stringenten Handlung als vielmehr aus einer heterogenen Ansammlung von Szenen, zwischen denen sich anscheinend Entwicklungen abspielen, welche für den Verlauf des Plots zwar alles andere als unwichtig wären, Gans und Co-Autorin Sandra Vo-Anh aber nicht für essentiell genug befunden haben, um das Publikum damit zu belästigen. Eine überzeugende Geschichte kommt somit natürlich kaum zustande. Tatsächlich schafft es der knapp zweistündige Film, gefühlte fünf Handlungsstränge aufrecht zu erhalten, ohne auf einen einzigen zufrieden stellend einzugehen.

Belle (Léa Seydoux) wird vom Biest in einem verwunschenen Schloss festgehalten.
© Pathé Films AG
Da wäre der Ruin eines napoleonischen Kaufmannes, gespielt von André Dussollier, dem beim besten Willen nicht anzumerken ist, dass er in seiner Karriere unter anderen für Paolo und Vittorio Taviani, Costa-Gavras, Jacques Rivette, Éric Rohmer, Claude Chabrol, François Truffaut und Alain Resnais vor der Kamera gestanden ist. Nach einem Schiffsunglück sieht sich der Mann gezwungen, samt Nachwuchs aufs Land zu ziehen, um dem Hohn der Stadtbevölkerung zu entfliehen. Eines Nachts kommt er im Wald vom Weg ab und landet in einem verwunschenen Schloss, in dessen Garten er für seine jüngste Tochter Belle (Léa Seydoux) eine Rose pflückt, woraufhin er vom Schlossherren, einem haarigen Löwenmonster (Vincent Cassel), angegriffen und dazu gezwungen wird, ihm Belle als Opfer auszuliefern.

Ohne die Situation jemals zu hinterfragen, gehorcht der verängstigte Händler, und Belle begibt sich in die verzauberten Ländereien des sich stets verborgen haltenden Monsters, dessen verworrene Vergangenheit der jungen Frau im Traum offenbart wird: Der einstige Prinz verlor im selben Moment die Liebe seines Lebens (Yvonne Catterfeld), in dem er den Gott des Waldes gegen sich aufbrachte und in seine gegenwärtige Form verwandelt wurde. Dass seine Gefährten derweil in steinerne Riesen verwandelt wurden – der Grund dafür bleibt ein Rätsel –, trägt ebenso zur Lächerlichkeit des actionreichen dritten Aktes bei wie der Umstand, dass Belles Brüder bei nicht näher definierten Schurken, deren Anführer eine scheinbar bedeutungsvolle Beziehung mit einer Hellseherin verbindet, nicht näher definierte Schulden haben.

Vor seiner Verfluchung war das Biest (Vincent Cassel) ein angesehener Prinz.
© Pathé Films AG
Diese aufgeblähte, durch klaffende Löcher in der Erzählung unnötig verkomplizierte Geschichte verunmöglicht jegliche Form der Charakterisierung. Zwar kann man im Falle von Belles eingebildeten Schwestern noch darüber diskutieren, dass es sich bei diesen (unlustigen) Figuren um klassische Märchen-Stereotypen handelt; doch diese Eindimensionalität wiegt im Zusammenhang mit den beiden Hauptfiguren umso schwerer. Während das Biest über weite Strecken kaum nachhaltig in Erscheinung tritt, beschränkt sich Belles Entwicklung darauf, ihre zu Beginn gepriesene Bescheidenheit abzulegen und sich zu einer quengelnden Adligen mit einem bestenfalls losen Bezug zur Realität zu wandeln. Anders lässt sich ihr Voiceover-Kommentar, die nach dem Frevel des Prinzen zu bizarren kleinen – dramaturgisch sinnlosen – Anime-Monstern gewordenen Hofhunde seien im Schloss ihre besten Freunde gewesen, jedenfalls nicht deuten, denn sobald sie den Tieren gegenüber steht, ergreifen diese die Flucht.

Am schlimmsten steht es in La belle et la bête aber um die Vorstellung von Liebe. Nachdem die finale Schlacht geschlagen ist, Teile des in jeder Hinsicht wunderschön gestalteten Zauberschlosses in sich zusammengefallen sind, namenlose Nebenfiguren von plötzlich beseelten Steinriesen zu Tode getrampelt oder im Stile Wile E. Coyotes zu Boden geschleudert wurden, stehen sich Belle und Biest endlich auf mehr oder minder gleicher Ebene gegenüber. (Eine frühere Konfrontation auf einem zugefrorenen See führte zu einem versuchten Kuss seitens des Prinzen, der das Eis prompt zum Bersten und Belle an den Rand des Ertrinkens brachte.) "Mit genügend Zeit und etwas Geduld", haucht Vincent Cassel ins Ohr der das schauspielerische Mittelmass zelebrierenden Léa Seydoux, "werdet ihr vielleicht lernen, mich zu lieben". Damit treten Gans und Vo-Anh nicht nur den Märchen-Topos der einzig wahren Liebe mit Füssen – nicht auszudenken, was dies für den Tod von Yvonne Catterfelds Prinzessin bedeutet; sie bedienen damit auch ein plump reaktionäres Frauen- und Beziehungsbild, nach dem das weibliche Geschlecht keine andere Wahl hat, als sich einem Mann hinzugeben. Derart sexistische Anklänge mindern das Bisschen Freude, das sich diesem oft unfreiwillig komischen Film abgewinnen liesse.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen