Donnerstag, 3. April 2014

Her

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat. 

Drei Filme hat Spike Jonze in den letzten 15 Jahren gedreht, allesamt brillant; sie etablierten ihn als eines von Hollywoods grössten Regie-Talenten. Nun hat sich der einstige Videoclip- und Werbefilmer mit Her, einer ebenso emotionalen wie intelligenten Tragikomödie, selber übertroffen.

Der Realitätsbegriff zieht sich wie ein roter Faden durch das Œuvre des Spike Jonze. Während seine Langspielfilme sich in unterschiedlicher Form mit konstruktivistischen Ideen beschäftigten – in Being John Malkovich entdeckt John Cusack ein Tor ins Bewusstsein des Titel gebenden Schauspielers, in Adaptation sprengt ein Drehbuch den fiktiven Rahmen des Films, Where the Wild Things Are verlegt die Imagination eines Kindes in die Wirklichkeit –, verbindet er in seinen Kurzfilmen diese Ansätze mit einer Reflexion darüber, inwiefern die Liebe, deren Schönheit er genauso zelebriert wie ihre potentiell selbstzerstörerische Wirkung, damit zusammenhängt. Im animierten Mourir auprès de toi (2011) endet die von Moby Dick an den Rand einer Katastrophe gebrachte Beziehung zweier Buchdeckel-Figuren erst im Tod, nur um dann von der Unsterblichkeit der Fiktion errettet zu werden; in I'm Here (2010) kommt die Dimension der Technologie hinzu, als ein Roboter (Andrew Garfield) sich in eine zerbrechliche Artgenossin verliebt, welcher er nach und nach seinen ganzen Körper schenkt.

So gesehen, ist Her eine Verschmelzung dieser Themenbereiche. Theodore Twombly (Joaquin Phoenix mit einem Karriere-Glanzlicht), professioneller Briefschreiber bei "BeautifulHandwrittenLetters.com", lädt sich während der Scheidung von seiner Jugendliebe Catherine (Rooney Mara) ein neues personalisiertes Computer-Betriebssystem herunter. Das intuitive Programm nennt sich Samantha (famos gesprochen von Scarlett Johansson) und fasziniert den einsamen Theodore mit Charme und verblüffender Menschlichkeit. Bald schon nimmt er mit seiner nur stimmlich anwesenden Gefährtin eine romantische Beziehung auf. Jonzes Interesse an den Mechanismen der Liebe wird mit dem Sinnieren darüber verbunden, wie real der Dialog zwischen einem Menchen und einem gemeinhin als leblos erachteten Objekt – hier einer künstlichen Intelligenz – sein kann, inwieweit man von einem genuinen Austausch sprechen kann.

"Your Voice in My Head": Theodore Twombly (Joaquin Phoenix) verliebt sich in sein Computer-Betriebssystem, dessen Stimme (Scarlett Johansson) er per Kopfhörer empfängt.
 © Ascot Elite
Vorgetragen wird dies mit viel Witz, Feinsinn sowie darstellerischer und dramaturgischer Virtuosität (der Drehbuch-Oscar für Jonzes erstes alleine verfasstes Skript ist hochverdient). Jonze kreiert in Her eine stimmige nahe Zukunft, zirka 2025, deren Atmosphäre ohne jede Künstlichkeit, sondern mit erzählerischer Raffinesse und K. K. Barretts hervorragender Ausstattung vermittelt wird. Theodore lebt in einem freundlichen, überwiegend toleranten Los Angeles des weit verbreiteten Wohlstands, der funktional-eleganten Retro-Ästhetik, der weichen LED-Beleuchtung, der einfach zu bedienenden Touchscreens. Seine Mitmenschen sind wie er selber im Internetzeitalter aufgewachsen; Leute wie er, die im Zwiegespräch mit ihren per Kopfhörer stets erreichbaren Betriebssystemen, scheinbar mit sich selbst redend, durch den Tag gehen, sind die Norm.

Doch Jonze erhebt während seines Filmes nie den Zeigefinger. Die Liebe zwischen Theodore, der von menschlichen Partnerinnen überfordert und missverstanden wird – grandios die Gegenüberstellung des Chat-Sex, den er erst mit einer Frau und dann mit Samantha hat –, und der wissbegierigen Samantha wird, entgegen dem Trend thematisch ähnlicher Produktionen, nicht aus kulturpessimistischer Sicht gezeigt. Vielmehr nimmt Her seine zentrale Romanze – mit allen ihren Hochs, Tiefs und praktischen Schwierigkeiten – absolut ernst; die Dynamiken, die zwischen Theodore, Samantha, Catherine sowie Theodores bester Freundin (Amy Adams) wirken, werden in ihrer ganzen Komplexität ausgeleuchtet. Spike Jonze ist mit seinem neuesten Film ein anregendes, bewegendes Meisterwerk gelungen, vielleicht sogar ein künftiger Klassiker des Web-2.0-Kinos.

★★★★★

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