Donnerstag, 9. Januar 2014

The Secret Life of Walter Mitty

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.


Mit wilden Satiren wie Reality Bites oder Tropic Thunder hat sich der Komiker Ben Stiller auch als Regisseur einen Namen gemacht. Mit der ambitionierten Tragikomödie The Secret Life of Walter Mitty, seiner fünften Regiearbeit, legt er seinen bislang reifsten und persönlichsten Film vor.

Obwohl die Figur schon längst ihren Weg in den Kanon der amerikanischen Populärkultur gefunden hat, existieren mittlerweile drei sich markant voneinander unterscheidende Walter Mittys: derjenige, welcher in James Thurbers Kurzgeschichte The Secret Life of Walter Mitty (1939) versucht, mittels aufregender Tagträume der Langeweile einer Einkaufstour entgegenzuwirken; derjenige, welcher sich in Norman Z. McLeods gleichnamiger Verfilmung aus dem Jahr 1947, gespielt von Danny Kaye, aus seinem tristen Alltag hinweg träumt, bis er unversehens in ein echtes Abenteuer stolpert; und derjenige, den Ben Stiller in seinem neuesten Film, dem Resultat eines gut 20 Jahre dauernden Produktions-Marathons, hinaufbeschwört. Anders als der Mitty von Thurber und McLeod/Kaye eträumt sich dieser, ein Fototechniker beim der Digitalisierung geweihten Life-Magazin, nicht etwa eine entrückte Alternative zur frustrierenden Realität, sondern eine Welt, in der er dazu fähig ist, die Initiative zu ergreifen und sich eine eigene Identität zu schaffen.

Das Finden – oder das Schaffen – der eigenen Identität entspricht im Zeitalter der sozialen Medien und der zunehmenden Technologisierung des Alltags ganz dem Zeitgeist und bildet den thematischen Kern von Stillers The Secret Life of Walter Mitty, welcher sprechenderweise damit beginnt, dass die Titelfigur (gespielt von Stiller selbst) versucht, eine Arbeitskollegin auf einer Online-Dating-Website zu kontaktieren. Der Versuch scheitert nicht etwa aus technischen Gründen, sondern weil Walters Lebenslauf, so die Telefonauskunft (der wunderbare Patton Oswalt), unspektakulärer als erlaubt ist. Auf die Herausforderungen des Alltags – etwa das Ansprechen der charmanten Cheryl (Kristen Wiig) oder die Gemeinheiten des neuen Vorgesetzten (Adam Scott) – vermag Walter nur imaginär zu reagieren. (Einige dieser fantasierten Sequenzen – allen voran die fehlgeleitete The Curious Case of Benjamin Button-Referenz – überzeugen nur teilweise.) Doch Stiller und Autor Steven Conrad (Wrestling Ernest Hemingway, The Pursuit of Happyness) gehen weiter und tiefer als ihre Vorgänger Thurber und McLeod: Nach rund der Hälfte der Laufzeit lässt ihr Mitty seine Träumereien hinter sich und bricht auf in die grosse weite Welt, um sich bei einem Fotografen (Sean Penn – hervorragend) nach jenem verschwundenen Schnappschuss zu erkundigen, der das Titelblatt der letzten gedruckten Ausgabe von Life zieren soll.

Der Tagträumer Walter Mitty (Ben Stiller) bricht auf in die grosse weite Welt.
© 2013 Twentieth Century Fox Film Corporation
Zugegeben, es ist eine hemmungslos idealisierte Welt, auf die Walter hier trifft – eine Welt, in der liebenswerte Betrunkene problemlos Hubschrauber fliegen können, afghanische Warlords Kuchen als Wegzoll gelten lassen und Sprachbarrieren mit Gesten, Tauschgeschäften und Fussballspielen überwunden werden. Doch es fällt schwer, nicht von der Leidenschaft und der Verve dieses virtuos komponierten, eindrücklich bebilderten, assoziativ-diskursiv aufgezogenen Films mitgerissen zu werden, welcher in seiner schwelgerischen Romantik nicht selten die Werke eines Ernst Lubitsch evoziert. The Secret Life of Walter Mitty ist eine faszinierende, über ihre unübersehbaren Defizite erhabene Ode an das Leben, das Opus magnum eines vielleicht nicht ganz grossen, wohl aber sehr talentierten Regisseurs.

★★★★

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