Donnerstag, 2. August 2012

The Dark Knight Rises

Als 2005 die Welt dem Kinostart von Batman Begins entgegenfieberte, dem ersten Wiederbelebungsversuch der Batman-Franchise seit Joel Schumachers katastrophalem Batman & Robin, machte unter Kritikern eine Nachricht von Warner Bros. die Runde. Das Studio verbat sich jeglichen Versuch, Christopher Nolans Neuanfang inhaltlich mit den früheren Einträgen Schumachers und Tim Burtons in Verbindung zu bringen; die Vision des Engländers sollte unabhängig und einzigartig sein. Und nun, sieben Jahre, drei Filme, zwei Oscars und fast zwei Milliarden Dollar Umsatz später, zeigt sich, dass diesem Anspruch Genüge getan wurde. Der chaotische, in jederlei Hinsicht überbordende The Dark Knight Rises, obwohl der schwächste Teil der Trilogie, ist ein Serienabschluss nach Lehrbuch.

Acht Jahre sind vergangen, seit der geachtete Staatsanwalt Harvey Dent ob des Todes seiner Freundin Rachel den Verstand verlor und als Bösewicht Two Face mehrere Menschen ermordete. Der "dunkle Ritter" Batman (Christian Bale) konnte ihn stoppen, indem er ihn tötete. Doch da Gotham City nach den Verbrechen des Jokers einen "weissen Ritter" wie Harvey nötiger hatte als einen maskierten Rächer, übernahm Batman die Verantwortung für die Dent-Morde und verschwand im Untergrund. Die Wahrheit kennen lediglich er selbst und Polizei-Commissioner James Gordon (Gary Oldman). Seitdem lebt Bruce Wayne alias Batman ein zurückgezogenes Leben in seiner einsamen Villa; er überlässt seine Firma ihrem Schicksal; er zelebriert sein Playboy-Image nicht mehr; seine Superhelden-Ausrüstung lagert unangetastet in seiner unterirdischen Höhle; und sein treuer Butler Alfred (Michael Caine) weist jeden Besucher ab. Bruce trauert immer noch um seine geliebte Rachel, was ihm jeglichen Ansporn raubt. Doch als Gotham City plötzlich vom maskierten Terroristen Bane (der beeindruckend aufspielende Tom Hardy, dessen ursprünglich nur schwer verständliche Grummelstimme ein wenig unbeholfen nachvertont wurde) attackiert wird, scheint die Zeit für die Rückkehr des dunklen Ritters gekommen. Unterstützung erhält Batman dabei von der eigensinnigen Meisterdiebin Selina Kyle alias Catwoman (Anne Hathaway) und dem jungen Polizisten John Blake (Joseph Gordon-Levitt).

Das Kreuz, welches der letzte Teil von Christopher Nolans Batman-Trilogie zu tragen hat, ist von beträchtlichem Gewicht. The Dark Knight Rises – der Filmtitel wird noch lange an den 20. Juli 2012 gekettet sein, an das Massaker in Aurora bei Denver, als bei einer Mitternachtspremiere des Films zwölf Kinogänger den Tod fanden. "Die Unschuld ist weg", schloss der SPIEGEL. Hat Nolans Leitmotiv des Chaos, welches auch schon durch Batman Begins und The Dark Knight geisterte und nun im Serienfinale vollendet wird, seinen Weg von der Leinwand in die Realität gefunden? Im Batman-Universum vergiftet ein fatalistischer Sektenführer den Wasservorrat einer parabelhaften Stadt, ein hochintelligenter Irrer mit Clownschminke hetzt die Bewohner jener Stadt gegeneinander auf, ein hünenhafter Terrorist will sie mittels nuklearem Sprengkopf dem Erdboden gleichmachen, um der wild wuchernden Dekadenz endlich ein Ende zu setzen. Ein 24-jähriger Neurowissenschaftler ohne Vorstrafen färbt sich die Haare orange, besorgt sich ein kleines Waffenarsenal, betritt einen Kinosaal in einem Einkaufszentrum nahe der Hauptstadt Colorados und schiesst wild um sich. The Dark Knight Rises erhält dadurch eine Tagesaktualität, die beunruhigender und unmittelbarer ist als die politische Debatte, die sich unlängst an den Motiven des Antagonisten Bane entzündet hat.

Die Rückkehr des dunklen Ritters: Bruce Wayne (Christian Bale) schlüpft nach acht Jahren Abstinenz wieder ins Batman-Kostüm.
Film und Attentat sind miteinander insofern verbunden, als letzteres die grausame, traurige, unnötige Bestätigung des düsteren Weltbildes ist, welches in den drei Filmen kolportiert wurde: Die Welt ist verrückt geworden. Nirgends ist dies so offensichtlich wie in The Dark Knight Rises. Bane tritt vor die Massen Gothams und ruft sie zur Revolution gegen die Reichen und Schönen auf, gegen den kapitalistischen Zynismus, dessen Existenz Nolan keinesfalls leugnet – im Gegenteil –, gegen die Entmündigung der kleinen Leute. Vertreter der Hochfinanz, der Industrie, der Polizei werden vor ein Tribunal gestellt – in einem feinen Rückgriff auf Batman Begins wird dieses von Dr. Jonathan Crane alias Scarecrow (Cillian Murphy) geführt – und im Schnellverfahren verurteilt. Banes Umsturz trägt Züge der Occupy-Bewegung, doch der echte historische Präzedenzfall ist die die französische Revolution; der proletarische Freiheitsgedanke wird korrumpiert, pervertiert und in Tyrannei uminterpretiert – Bane ist Gothams Robespierre. Der Niedergang der imposanten Metropole, schon immer ein amerikanischer Mikrokosmos, beginnt aber nicht mit Banes Machtergreifung, die von 9/11-Metaphorik durchsetzt ist: Häuser- und Strassenzüge explodieren, ein Footballfeld – nicht aber die Tribünen – sackt während eines Spiels in sich zusammen. Gotham wirkt in diesem dritten Teil wie eine vom Joker erträumte Welt: Das organisierte Verbrechen wurde durch den "Dent Act" quasi ausgerottet, doch das friedliche Miteinander ist mehr Schein als Sein – immerhin gründet es auf der Lüge von Harveys Unschuld –; es herrscht eine Zweiklassengesellschaft, angeführt von korrupten Offiziellen und mit dem Bösen paktierenden Opportunisten. Gotham ist ein Chaos aus Wucher-Kapitalisten, Terroristen, heillos überforderten Gesetzeshütern und apathischen Bürgern.

Terrorist Bane (Tom Hardy) droht, Gotham City zu zerstören.
Helden sind in dieser Welt rar. Es sind die Rollenmuster des klassisch amerikanischen Heroismus, die hier den optimistischen Kontrapunkt zum pessimistischen Welt- und Menschenbild setzen: Jim Gordon der prinzipientreue Sheriff, Alfred die Vaterfigur, John der junge Idealist, Selina der Outlaw, Bruces Freund Lucius Fox (Morgan Freeman) der verschmitzte Mitwisser. In diesem Raster sind sogar Batmans Auftritte eher spärlich – wohl auch, weil er von der Fülle an neuen Charakteren etwas an den Rand gedrängt wird und seine Figur an sich fast wie ein Fremdkörper in der auf hyperrealistisch getrimmten Geschichte wirkt. Tatsächlich macht sich in The Dark Knight Rises erstmals bei Nolan das Gefühl bemerkbar, Batman sei das Produkt einer Reihe von Bildergeschichten für Kinder, auch weil das Drehbuch, verfasst von den Nolan-Brüdern Christopher und Jonathan, ungewohnte Schwächen aufweist. Die relativ geradlinige, aber deutlich zu lang ausgefallene Geschichte ist durchsetzt von kitschigen Momenten, allzu offenkundiger Exposition, skizzenhaften Liebesgeschichten und hölzernen Dialogen. Zugleich aber erweisen sich die Nolans einmal mehr als talentierte Geschichtenerzähler mit einem Flair für Charakterentwicklung. So reüssieren sie etwa dabei, Alfred zusätzliche Tiefe zu verleihen – ein Versuch, der für Joel Schumacher kein gutes Ende nahm.

Zudem zeigt Nolan auch hier, dass er ein Regisseur mit einer ausgeprägten und substantiellen Vision ist. Es gelingt ihm, das Loch, welches Heath Ledgers charistmatischer Joker hinterlassen hat, mit Tom Hardys Bane zu füllen, selbst wenn dieser seinem Vorgänger nicht das Wasser reichen kann. Hardys intensive Darbietung wird durch Kamera, Musik und Inszenierung ergänzt; Bane wird in Untersicht gefilmt, er taucht plötzlich auf, er ist kein "wilder Hund" wie der Joker, sondern eine stets gefasste, würdevolle, brandgefährliche Präsenz. Und obwohl der ganze Film mit herausragenden Momenten gespickt ist, erreicht Nolans Regie ihren Höhepunkt im dritten Akt. Dann nämlich springt der Funke endgültig über. Das letzte Gefecht, nicht nur des Films, sondern der Trilogie, ist dann auch zweifellos der stärkste Teil des Films. Hier verschmelzen das brillante Sounddesign, Hans Zimmers wie gewohnt packender Score, Wally Pfisters famos geführte Kamera und die von panischer Dringlichkeit angetriebene Geschichte zu einem Musterbeispiel meisterhaften Filmemachens.

Zwielichtige Gehilfin: Die Juwelendiedin Selina Kyle (Anne Hathaway) alias Catwoman steht Batman in seinem Kampf bei.
The Dark Knight Rises ist ein Actionspektakel epischen Ausmasses. Dass dabei nicht alles gelingt, nicht alle Aspekte so wunderbar ineinandergreifen wie bei den beiden Vorgängern, war im Grunde abzusehen, muss der Film doch einen Schlussstrich unter eine von Fans auf aller Welt sieben Jahre lang fieberhaft mitverfolgte Serie ziehen. Diese Aufgabe löst er bravourös: Rückblenden, Anspielungen und Rückgriffe schlagen die Brücken zu Batman Begins und The Dark Knight; das kompromisslos inszenierte, apokalyptische Chaos in Gotham City schliesst den kraftvollen Subtext der Trilogie würdig ab. Dass in der Realität diesem Chaos nicht wie im Film mit einer "simplen" Heldentat Einhalt geboten werden kann, hat sich am 20. Juli 2012 in Aurora in furchtbarer Art und Weise gezeigt. Doch auf dem vorsichtigen Optimismus, der am Ende von The Dark Knight Rises anklingt, lässt sich aufbauen.

★★★

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