Montag, 28. Mai 2012

Dark Shadows

Zwischen 1966 und 1971 war auf dem amerikanischen TV-Sender ABC täglich die Serie Dark Shadows zu sehen. Die von Dan Curtis ersonnene Seifenoper avancierte nach einem plötzlichen Schwenk ins Paranormale zur ersten Serie, welche Geister im Tagesprogramm zeigte. Heute geniesst die Franchise Kultstatus. Zwei prominente Fans verhalfen ihr nun zum Sprung auf die grosse Leinwand: Tim Burton und Johnny Depp adaptierten Curtis' Erfindung mit viel, vielleicht zu viel, Begeisterung.

Im Jahre 1972 stösst eine Gruppe von Bauarbeitern auf einen mit Ketten verschlossenen Stahlsarg. Neugierig öffnen sie ihn, nicht ahnend, dass dies ihr Ende bedeutet: Aus der Kiste entsteigt nämlich der verfluchte Vampir Barnabas Collins (Johnny Depp), der 200 Jahre auf seine Befreiung gewartet hat. Die neue Epoche verwirrt das galante, wortgewandte Monster aber derart, dass er Zuflucht in seinem alten Anwesen sucht: Collinwood, im Städtchen Collinsport, Maine, gegründet von Barnabas' Familie. Seine Nachfahren, die er in seinem Haus antrifft, sind aber weit weniger erfolgreich als er es sich erhoffte: Die Familie hat das Fischereimonopol längst verloren; Mutter Elizabeth (Michelle Pfeiffer), ihr Bruder Roger (Johnny Lee Miller) sowie die Kinder Carolyn (Chloë Grace Moretz) und David (Gulliver McGrath) hängen antriebslos in der verfallenden Villa herum. Barnabas interessiert sich aber besonders für eine Bewohnerin Collinwoods: das frisch angestellte Kindermädchen Victoria (Belle Heathcote), welche er als Reinkarnation seiner Verlobten Josette aus dem 18. Jahrhundert wieder erkennt. Und sein Kampfgeist wird erst recht geweckt, als er erfährt, dass Collinsport immer noch von Angelique Bouchard (Eva Green) terrorisiert wird – der Dame, welcher er sein Vampirdasein zu verdanken hat.

Eine Serie wie Dark Shadows zu verfilmen, ist weitaus schwieriger als man zunächst vermuten könnte. Zwar waren Tim Burton und sein Drehbuchautor, der Romancier Seth Grahame-Smith (Abraham Lincoln: Vampire Hunter), in der Lage, auf einen Episodenfundus von über 1'200 Episoden zurückgreifen, doch diese zeichnen sich nicht in erster Linie dadurch aus, Meisterwerke der Erzählung zu sein. Viel vom Kult um Dan Curtis' Kreation ist auf die überdramatischen Darbietungen, die grosse Menge an Figuren, die von einer kleinen Truppe von Schauspielern verkörpert wurde, und die manchmal allzu wilden Storylines, sprich die Affektiertheit, den "Camp", zurückzuführen. Das Problem ist offenkundig: Kann man einen im klassischen Sinne guten Film produzieren, wenn gleichzeitig darauf geachtet werden muss, den Charme des Originals, das Vergnügen auf der Meta-Ebene, mit einzufangen? Im Fall von Dark Shadows kann man die Herausforderung zumindest als einigermassen gelungen betrachten. Wie schon im auf Kaugummisammelkarten basierenden Mars Attacks! hält er auch hier die Balance zwischen Story und quellenbezogener Ironie ganz ansprechend, wenn auch nicht durchgehend, zumal er auch das Unmögliche versucht und die Essenz aus 1'225 Folgen in einem knapp zweistündigen Film unterzubringen.

Der Vampir Barnabas Collins (Johnny Depp) ist zurück in seinem – mittlerweile heruntergekommenen – Anwesen.
Entsprechend ist Burtons 17. Regiearbeit eine ziemlich chaotische Angelegenheit und insofern wohl die werkgetreueste Adaption, die man von einem Film erwarten konnte, der ein Budget von 150 Millionen Dollar wieder einspielen muss. Diverse Nebenplots werden nicht richtig aufgelöst, die Geschichte wartet mit immer wieder neuen, unerwarteten – vielleicht auch weil nicht allzu sinnvollen – Twists auf, die Ausstattung ist ungemein kreativ und die Schauspielleistungen, welche sich allesamt durch ihren herrlich Deklamations-Stil auszeichnen, variieren in ihrer Qualität. Während Johnny Depp in der Rolle des Barnabas, seinem Idol aus Kindertagen, aufblüht und Eva Green und Jackie Earle Haley – Letzterer als ebenso zwielichtiger wie einfältiger Hausmeister – sichtlich Spass an ihren Figuren haben, verblassen Johnny Lee Miller und Bella Heathcote. Als Ausgleich zu den weniger mitreissenden Darbietungen bietet Dark Shadows jedoch zwei äusserst amüsante Gastauftritte: einerseits den 90-jährigen Christopher Lee als Meisterangler A.D., andererseits den Rocker Alice Cooper als sich selbst (Barnabas: "Ugliest woman I've ever seen"). In Sachen Humor wiederum pendelt der Film ständig zwischen schwarzhumorig-absurd und infantil-abgedroschen. Auf hintergründige Anspielungen auf Klassiker der Horrorgenres-Historie, seien sie cineastischer – Nosferatu, eine Symphonie des Grauens – oder literarischer – The Fall of the House of Usher – Natur, folgen eher laue Gags über Sex.

Die Hexe Angelique (Eva Green) terrorisiert das von Barnabas' Familie gegründete Städtchen Collinsport auch nach 200 Jahren noch.
Letztendlich aber ist es beruhigend zu wissen, dass es im Zeitalter von Ironie und Zynismus noch Regisseure wie Tim Burton und Filme wie Dark Shadows gibt. Mit hemmungslosem, ja fast schon kindlichem Enthusiasmus gibt sich Burton seinem Thema hin und zelebriert mit sichtbarer Aufrichtigkeit – dem sich in The Avengers altmodischem Heroismus verschreibenden Joss Whedon nicht unähnlich – die wunderbare Welt des TV-Camps, wie er in Curtis' Serie zu sehen war. Insofern ist der Streifen wohl die kongeniale Verfilmung des Originals, wenn auch nicht ein perfekter Film. Er offeriert ein Stelldichein von Geistern, Vampiren, Zauberern und Werwölfen, und es gelingt ihm tatsächlich, wie eine Fernsehsendung zu wirken, deren Episoden von Tag zu Tag zusammengeschustert werden. Und das ist im besten Sinne gemeint.

★★★

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